"Böhser Onkel" wegen Unfallflucht auf der Anklagebank
FRANKFURT/MAIN - Von hinten mit Tempo 230 gerammt: Ab Freitag muss sich der mutmaßliche Unfallverursacher vor dem Landgericht Frankfurt verantworten. Auf der Anklagebank sitzt Kevin Russell, ehemaliger Sänger der Rockband Böhse Onkelz.
Jamal und Fadi geht es seit dem Unfall sehr schlecht. Fadi hat eine verkrüppelte linke Hand und ist durch Brandwunden im Gesicht entstellt. Der 21-Jährige ist deswegen in psychiatrischer Behandlung. Der zwei Jahre jüngere Jamal hat nach massiven Kopfverletzungen schwere Gedächtnisprobleme, vergisst teilweise, was vor einer Stunde war. Die beiden Freunde aus Hattersheim waren in der Silvesternacht 2010 mit ihrem Kleinwagen und Tempo 100 auf der A 66 unterwegs, als sie von hinten mit Tempo 230 gerammt wurden. Der Wagen ging in Flammen auf. Beherzte Verkehrsteilnehmer zogen die beiden aus dem Autowrack. Ab Freitag muss sich der mutmaßliche Unfallverursacher vor dem Landgericht Frankfurt verantworten. Auf der Anklagebank sitzt Kevin Russell, ehemaliger Sänger der Rockband Böhse Onkelz.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 46-Jährigen Straßenverkehrsgefährdung, Unfallflucht sowie fahrlässige Körperverletzung vor und hat dafür ausreichend Indizien. Am Airbag des Unfallfahrzeugs, einem mehr als 400 PS-starken Sportwagen, fanden sich DNA-Spuren Russells. Die Überwachungskamera einer Autobahntankstelle zeigt zudem Aufnahmen, wie der Angeklagte Minuten vor dem Unfall unweit des Tatorts einkauft. Der Halter des Fahrzeug gab an, Russell den Wagen zur fraglichen Zeit geliehen zu haben. Die Staatsanwaltschaft geht außerdem davon aus, dass der 46-Jährige zum Zeitpunkt des Unfalls durch die Einnahme von Kokain und Methadon schwer berauscht war und nach dem Crash zu Fuß über die Felder flüchtete.
Doch Russell will es nicht gewesen sein. Tage nach dem Unfall erschien der Manager des Sängers bei der Anklagebehörde und präsentierte mit Thomas W. den vermeintlichen Unfallverursacher. Die Staatsanwaltschaft ließ sich nicht beirren. Nur gegen die Zahlung einer Sicherheitsleistung von 50 000 Euro blieb der irische Staatsbürger auf freiem Fuß. Seitdem hüllt sich der in einem Luxushotel in Königstein lebende Angeklagte in Schweigen und ließ ausrichten, er wolle nun eine Drogentherapie machen. "Offiziell hat er sich zu der Sache überhaupt noch nicht eingelassen", sagt eine Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft.
Die Fans der 2005 aufgelösten Band sind entsetzt. In den Foren auf der immer noch aktiven Homepage der Böhsen Onkelz schwanken die Einträge zwischen Verachtung und Mitleid für das einstige Idol. Die Band war 1980 gegründet worden und hatte recht bald durch gewaltverherrlichende und nationalistische Texte für Unmut gesorgt. In den Medien wurden die vier tätowierten Hallodris, die sich selbst als "Kneipenterroristen" oder "Priester der Gewalt" besangen, als Neonazis gebrandmarkt. Ende der 80er Jahre folgte dann der Imagewandel. Statt Skinhead-Frisuren trugen die Onkelz ihre Haar fortan lang und sangen von "brauner Scheiße", Zivilcourage und Aufrichtigkeit. Für manche Kritiker blieben die Vier "Wölfe im Schafspelz", doch mit der angeblichen Läuterung kam der Erfolg. Bis zu ihrer Auflösung verkaufte die Band rund fünf Millionen Platten, zum Abschiedskonzert auf dem Lausitzring kamen 100 000 Fans.
Jamal und Fadi würden sich von Russell sicherlich auch etwas Zivilcourage und Aufrichtigkeit wünschen. Laut ihrem Anwalt Michael Simon werden die beiden Nebenkläger zumindest zum Auftakt am Freitag vor Gericht erscheinen. "Meine Mandanten erhoffen sich von dem Prozess eine nicht bewährungsfähige Haftstrafe für den Angeklagten", sagt Simon. Damit müsste das Gericht auf eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkennen, für Straßenverkehrsgefährdung können bis zu fünf Jahre verhängt werden. Eine mögliche Geldstrafe würde Russell wohl nicht schrecken. "Kohle hat er wie Heu", glaubt Simon. Russell ist bereits einschlägig vorbestraft, seinen deutschen Führerschein verlor er 2004 wegen Straßenverkehrsgefährdung. Seitdem ist er mit einem irischen Führerschein unterwegs.
Wegen der Abwehrhaltung Russells rechnet das Gericht mit einem langwierigen Prozess. Bis in den November sind neun Verhandlungstage terminiert. In dem Sportwagen fanden die Ermittler übrigens eine Mütze mit Hakenkreuzsymbol. Aber wahrscheinlich will Russell auch damit nichts zu tun haben.
dapd
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