„Bitte Sünde eintippen": Die Beichte 2.0
Heiliger Ernst oder reiner Spaß? Im Internet boomen Seiten, auf denen reuige User ihre Verfehlungen preisgeben. Die schrägsten Bekenntnisse und was die Kirche dazu sagt
Die Stimme klingt nach einer Mischung aus Robocop und dem Außerirdischen E.T. – kein Wunder, gehört sie doch keinem Pater, sondern einem Roboter. „Im Namen des Vaters, des Sohnes und den heiligen Geistes“, tönt es blechern aus den Boxen, wenn man auf Beichte.de surft.
Dann läuten fünf Minuten lang Glocken. In ein rosafarbenes Feld kann der reuige User seine Missetat eintippen, den Button „Herr, ich habe gesündigt“ klicken, und ab geht die Post! „Wenn Sie Ihre Verfehlungen wirklich bereuen, wird Ihnen wahrscheinlich vergeben!“, steht im Kleingedruckten der privaten Seite, die nur eine von vielen ist, auf denen Menschen ihr Gewissen virtuell erleichtern können. In der Beichte 2.0.
Marktführer in Deutschland ist das originell gemachte Portal Beichthaus.com, 24526 Schäfchen zählt die Cybergemeinde inzwischen. Verständlich, dass die Kirche nicht so amused ist. „Das hat mit dem heiligen Sakrament der Buße und Versöhnung nichts zu tun“, sagt eine Sprecherin des Erzbistums München und Freising. „Nur ein Priester besitzt die Vollmacht Jesus Christus und kann nach einem Gespräch, das Möglichkeiten der Umkehr erörtert, Vergebung zusagen.“
„Ich bin Busfahrer und spreche mit Absicht undeutlich"
Auf Beichthaus.com sollen das andere User erledigen, die jeden veröffentlichten Frevel kommentieren und den Sünder freisprechen können – oder auch nicht. „Nach meiner Einschätzung geht es dort weniger um die Entlastung der Psyche, sondern vielmehr darum, mit möglichst grotesken Geschichten andere Benutzer zu unterhalten oder mit den eigenen Taten zu protzen“, sagt Medienwissenschaftler Tom Knieper, Professor an der Universität Braunschweig.
„Arm dran sind jene, die ihre Beichte ernst meinen. Denn durch die Kommentare kann sie eine neue Wendung erfahren, die Dekontextualisierung dazu führen, dass eigene Verfehlungen noch stärker auf der Seele lasten. Die hier absolvierte Laienbeichte – die Nutzer sind weder Seelsorger noch Therapeuten – wäre damit ad absurdum geführt.“
Heiliger Ernst oder reiner Spaß? Die AZ hat die schrägsten Bekenntnisse aus dem Beichthaus.com zusammengestellt, von denen etliche aus Bayern stammen:
* Ich war Telefonjoker bei „Wer wird Millionär?“ und habe mit Absicht etwas Falsches gesagt, damit der Blödmann die 16000 Euro nicht kriegt.
* Gestern ist das nie für möglich Gehaltene geschehen: Ich (20, m) habe in der Fußgängerzone eine Taube mit dem Fahrrad überfahren.
* Ich bin Busfahrer und spreche mit Absicht die Namen der Haltestellen falsch und undeutlich aus.
* In der Grundschule musste ich mal einen Clown häkeln, der nach Jahren immer noch bei mir im Schrank rumliegt. Manchmal hole ich ihn aus seinem Verließ und unterhalte mich mit ihm über die Politik eines fiktiven Staates, wo der Clown mal Innenminister war und wieder werden will. Ich bin 23, studiere Geschichte und denke nicht im Traum daran, wegen sowas zum Psycho-Onkel zu rennen, weil doch jeder eine Macke hat.
* Mein eineiiger Zwillingsbruder und ich haben seit zwei Wochen Sex mit derselben Frau, ohne dass sie den Unterschied merkt.
* Ich komme aus Sachsen.
* Wenn ich mich einsam fühle, nehme ich die Akkus aus dem Ladegerät und halte sie an meine Haut, um menschliche Wärme vorzutäuschen.
* Ich komme aus Bayern und habe nie Stoiber gewählt!
* Ich schlafe seit über drei Jahren mit meiner Schwester. Mein Vater hat es irgendwie rausgekriegt, keine Ahnung wie, denn wir sind meistens vorsichtig. Er hat mir voll eine reingehauen. Nun hängt der Haussegen extrem schief.
* Ich (heute 40) habe vor 25 Jahren in einem Wäldchen mit ein paar Freunden mal einige Kanister gefunden. Da das, was darin war, nicht nach Sprit für unsere Mofas roch, sondern eher nach Diesel, kippten wir diese einfach um und ließen sie auslaufen! Drei Tage später kam eine Trinkwasserwarnung für den besagten Ort und die Gemeinde musste für eine Woche von der Feuerwehr aus Tanks mit Trinkwasser versorgt werden!
* Seit Jahren dasselbe Ritual: Ich (22) beobachte meine gut aussehenden Nachbarn (rund 35) beim Sex. Ich habe auch schon eine Best-Of-DVD zusammengestellt und an meine Kumpels verkauft. Irgendwie schäme ich mich dafür.
* Ich muss zugeben, dass ich Fahrschulautos verfolge und bei jeder Kleinigkeit, die der Fahrschüler falsch macht, übertrieben genervt mit den Armen fuchtele und hupe.
* Ich könnte Leute, die „China“ wie „Khina“ aussprechen, jedes Mal hauen!
* Ich sollte meinem Freund Marihuana besorgen, habe ihm aber vier Gramm Petersilie für 35 Euro verkauft und gesagt, es sei sehr guter Stoff.
„Für jeden Comedian sind Seiten wie Beichthaus.com eine echte Fundgrube“, sagt Medienexperte Tom Knieper – und fügt ironisch hinzu: „Aber Achtung, eine zu intensive Nutzung zur Gag-Generierung wäre geistiger Diebstahl. Dann hat man selbst etwas zu beichten – und das kann's ja wohl auch nicht sein.“
Timo Lokoschat