Begegnung am Berg: "Es war eine absurde Szene"

Audio von Carbonatix
Huch, ein Papagei! Dieser überraschte Ausruf war zuletzt in Südtirol häufiger zu hören. Im Internet sind einige Fotos von den bunten, tropischen Vögeln in der norditalienischen Bergwelt zu sehen. Was ist da los?
Wie die Zeitung "Il Dolomiti" berichtet, hat der Bergführer des italienischen Alpenvereins Roberto Rinaldi einen Touristen mit einem Papageien auf der Schulter beobachtet. "Der Tourist stieg von der Coston-Hütte kommend einen ziemlich anspruchsvollen Weg hinab, der nach Sulden führt", zitiert die Zeitung auf ihrer Webseite den Bergführer.
"Es war eine absurde Szene"
"Der Papagei war sichtlich verängstigt, denn er schlug aufgeregt mit den Flügeln. Es war eine absurde Szene, die ich fotografisch dokumentieren konnte." Tatsächlich ist auf den Bildern deutlich zu erkennen, dass ein Mann mit Basecap und Rucksack auf dem Rücken durch die felsige Umgebung spaziert, während das bunt gefiederte Tier auf seinen Schultern die Flügel weit ausbreitet und sich teilweise weit über den Kopf des Mannes beugt - vielleicht, um verzweifelt besseren Halt zu finden.
Auf den Fotos ist zu sehen, dass der Mann eine Sitzstange an seinen Rucksack montiert hat. Ob der Vogel daran festgekettet ist, bleibt hingegen offen. Wie auch immer. "Ein einziger plötzlicher Flügelschlag hätte wohl ausgereicht, um das Gleichgewicht des Wanderers auszuhebeln und einen Sturz zu verursachen", sagt Rinaldi. "Das ist kein gemütlicher Spazierweg im Park, sondern ein anspruchsvoller, steiler Anstieg."

Der Bergführer beklagt einen generellen Verlust von Respekt gegenüber der Natur. Täglich sehe er Menschen ohne Ausrüstung und in Turnschuhen auf oftmals anspruchsvollen Bergrouten. "Und es wird immer schlimmer." Auf der Strecke im Nationalpark Stilfser Joch, wo er den Touristen in Papageienbegleitung gesehen habe, sei das Wandern "ziemlich gefährlich", doch die Urlauber unterschätzten die Risiken zunehmend.
"Nie zuvor gesehen"
Die tierische Begleitung war daher auch für Rinaldi ein Novum: „Natürlich haben wir noch nie zuvor einen Papagei in den Bergen gesehen.“ Das Südtiroler Nachrichtenportal stol.it berichtet, auch ein Leser habe sich mitsamt einem weißen Papageien auf der Schulter in den Bergen ablichten lassen, "auf dem Gipfel des Sassongher".
Auf dem veröffentlichten Foto ist das schneeweiße Tier zu sehen, wie es auf der Schulter des Mannes in einer roten Jacke sitzt - offenbar etwas weniger in Aufruhr als sein Artgenosse im Nationalpark Stilfser Joch. Die beiden dürften eher unfreiwillig mit auf die Reise in die Alpen gegangen sein. Ganz anders dagegen geht es den Papageien in Südtirol, um die sich Petra Steiner in St. Georgen kümmert. Sie hat ein Artenschutzzentrum geschaffen, in dem sie Papageien versorgt. 2003 wurde der Verein SOS Papageien gegründet.
Er setzt sich für ein "Verbot des Imports von Wildfängen und des Verkaufs von Papageien zu kommerziellen Zwecken" ein - und sei deswegen schon öfters in Konflikte mit Zoohandlungen und Züchtern geraten, heißt es auf der Webseite des Artenschutzzentrums.

Dabei ist es in Südtirol relativ einfach, sich einen exotischen Vogel zuzulegen. Bereits 2017 hatte der damalige zuständige Landesrat eine Liste mit 59 Vogelarten genehmigt, die "allgemein verbreitet und in Gefangenschaft leicht zu vermehren sind" und keine spezielle Bewilligung benötigen. Aufgeführt werden hier etwa der Himalaya-Glanzfasan, der Grünwangen-Rotschwanzsittich, der Pflaumensittich und der Grünbürzel-Sperlingspapagei.
"Allgemeines Aufklärungsdefizit"
Der Verein SOS Papageien dagegen geht davon aus, dass "die derzeit bestehenden Bestimmungen beziehungsweise deren Umsetzung nicht den Anforderungen einer artgerechten Haltung" entsprechen. Er beklagt das "allgemein dieser Tiergruppe gegenüber herrschende Missverständnis und Aufklärungsdefizit".
Auch in Deutschland sieht man immer öfter Papageien in freier Wildbahn, sogar in Großstädten, darunter etwa Heidelberg. Auf 20.000 Exemplare schätzte der Biologe Michael Braun 2022 in "Geo" die Population der Halsbandsittiche in Deutschland. Er führte die Kolonien auf einen Papageien-Hype in den 60er und 70er Jahren zurück. Entflohene Vögel bildeten demnach die Grundlage für die heutige frei lebende Population.
Die standorttreuen Tiere seien quasi die neuen Spatzen, so Braun zu "Geo". Auch in anderen mittel- und südeuropäischen Ländern seien Papageien inzwischen heimisch geworden.
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