Interview

AZ-Interview mit Dr. Martin Schlott: "Im Schlaf läuft Wichtiges ab"

Der Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin aus Bad Tölz ist zudem seit vielen Jahren Schlafcoach, etwa für Führungskräfte und Spitzensportler.
Ruth Schormann
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Eine Stunde länger schlafen! Am 30. Oktober wird die Uhr von 3 Uhr um eine Stunde auf 2 Uhr zurückgestellt.
Eine Stunde länger schlafen! Am 30. Oktober wird die Uhr von 3 Uhr um eine Stunde auf 2 Uhr zurückgestellt. © dpa

In seinem neuen Buch gibt Dr. Martin Schlott Tipps, wie man schlummernd fitter wird. Die AZ hat mit ihm gesprochen.

AZ: Herr Dr. Schlott, sind Schlafprobleme denn eine Volkskrankheit? Laut Krankenkassen-Statistiken geht zumindest die Zahl derer, die wegen Schlafstörungen ins Krankenhaus kamen, zurück.
MARTIN SCHLOTT: In der Tat hat die Zahl der Krankenhausaufenthalte in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich abgenommen. Woran das aber liegt, kann vielfältige Gründe haben. Die häufigste Ursache für die Krankenhausaufnahme ist mit 93 Prozent die Schlafapnoe. Andere Ursachen für Schlafstörungen wie Einschlaf- und Durchschlafstörungen führen in der Regel nicht zur stationären Aufnahme in ein Krankenhaus. Dennoch leiden sehr viele Menschen darunter, sie lassen sich aber nicht ärztlich behandeln. Laut einer DAK-Studie aus dem Jahr 2017 leiden 80 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter Ein- und Durchschlafstörungen, jede beziehungsweise jeder zehnte sogar unter schweren Schlafstörungen. Diese Gruppe ist seit 2010 um 60 Prozent angewachsen.

Dr. Martin Schlott.
Dr. Martin Schlott. © Kay Blaschke / Penguin Random House Verlagsgruppe

Wir schlafen also immer schlechter. Warum?
Das hat vielfältige Gründe. Dazu gehören sicherlich die Ansprüche einer Leistungsgesellschaft, Ängste und Unsicherheiten um den Arbeitsplatz oder finanzielle Gründe, die ständige Erreichbarkeit, die Sozialen Medien ... Gerade jetzt in der Pandemie berichten viele Menschen über zu wenig oder schlechten Schlaf. Homeoffice, und vielleicht kein geeigneter Arbeitsplatz dafür, die Betreuung und Homeschooling der Kinder, eine fehlende Tagesstruktur, fehlende soziale Kontakte oder auch Ängste vor der Infektion sind einige der Gründe.

"Es fehlte früher auch das Bewusstsein, dass im Schlaf wirklich wichtige Prozesse ablaufen"

Welche Rolle spielt die Schlafqualität?
Eine wichtige Rolle. Es gibt viele Menschen, die schlafen lange genug, kommen aber nur wenig oder gar nicht in die erholsamen tiefen Schlafphasen. Wir Menschen haben immer noch ein Steinzeitgehirn, das geprägt ist vom Rhythmus der Sonne. Nur leider bekommen viele von uns zu wenig direktes Tageslicht. Morgens wird unser Gehirn durch das Tageslicht aktiviert, das Abendlicht hat eine eher beruhigende Wirkung. Wir bewegen uns zu wenig und sind am Abend durch das künstliche Licht der Wohnungsbeleuchtung und der elektronischen Medien länger aktiv, als es uns eigentlich guttut.

"Erfolgsfaktor Schlaf" von Martin Schlott.
"Erfolgsfaktor Schlaf" von Martin Schlott. © Penguin Random House Verlagsgruppe

Viel oder lange zu schlafen, das gilt ja oft als faul. Sehen Sie das auch so?
Früher wurde viel länger gearbeitet und so musste man auch früher anfangen. Dazu kommt, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben. So gibt es eben die schönen Sprüche, wie "Morgenstund hat Gold im Mund" oder: "Der frühe Vogel fängt den Wurm". Wer morgens nicht aus dem Bett kommt, weil er lange in der Nacht gearbeitet hat oder einfach ein Spättyp ist, verbreitet morgens noch keine Energie und das wird dann mit Faulheit gleichgesetzt. Auch wenn diese Person dann später am Tag zu Höchstleistungen aufläuft.

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Auch im Schlaf leistet unser Körper aber einiges, oder?
Es fehlte früher auch das Bewusstsein, dass im Schlaf wirklich wichtige Prozesse ablaufen, die für unsere Leistungsfähigkeit und Produktivität enorm bedeutsam sind.

Sie sprechen vom Schlaf als unserem Freund - warum?
Im Schlaf wird der vergangene Tag verarbeitet und der neue vorbereitet, Stoffwechselprodukte werden abtransportiert, Zellen erneuert, Wissen und emotionale Eindrücke verarbeitet, Unnötiges beseitigt und Wichtiges gespeichert, Energie aufgebaut - um nur einige dieser wichtigen Prozesse zu nennen. So können wir ausgeschlafen mit neuer Kraft und Freude, Konzentration, Motivation, Lösungskompetenz, Souveränität in den neuen Tag starten. Das sind alles wichtige Faktoren, um leistungsfähig und produktiv sein zu können. Und ausgeschlafen macht uns das Leben einfach mehr Spaß und wir treffen bessere Entscheidungen. Viele Leistungssportler wie etwa Roger Federer oder Tommy Haas oder Unternehmer wie Jeff Bezos schwören auf das Potenzial von gutem und ausreichend Schlaf.

Gibt es eine Richtlinie, wie viel Schlaf nötig ist, um gut und erholt durch den Tag zu kommen?
Idealerweise sollten es schon 7,5 bis acht Stunden Schlaf pro Nacht sein, damit wir erholt sind und voller Energie und Lebensfreude in den neuen Tag starten können. Viele Prozesse, die für unsere körperliche und mentale Gesundheit wichtig sind, für unser Gedächtnis, unsere Konzentration, unsere Kreativität aber auch unser Aussehen und unsere Ausstrahlung brauchen diese Zeit.

"Es gibt eine ganze Reihe von Verhaltensweisen, die den Schlaf sabotieren können"

Und gibt es auch zu viel Schlaf?
Mal länger als neun Stunden zu schlafen ist völlig in Ordnung. Dann hat es der Körper in der Tat gebraucht. Es gibt aber aus Studien Hinweise darauf, dass ein regelmäßiger Schlaf länger als neun Stunden pro Nacht mit bestimmten gesundheitlichen Risiken in Verbindung gebracht werden kann, wie unter anderem Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes, Gewichtszunahme oder Depressionen.

Welche Fehler machen die meisten Leute, die zu schlechterem Schlaf oder Einschlafproblemen führen?
Es gibt eine ganze Reihe von Verhaltensweisen, die den Schlaf sabotieren können. Dazu gehören unter anderem fehlendes Tageslicht, zu wenig Bewegung, Kaffee, der zu spät getrunken wird, Alkohol am Abend und eine zu hohe Anspannung im Tagesverlauf, also Stress. Alkohol zum Beispiel wirkt entspannend und macht müde, aber er stört unseren Schlaf. Wir kommen, solange der Alkohol abgebaut wird, nicht in die erholsamen Schlafphasen. Es ist ja auch ein wenig paradox: Morgens treten wir mit dem Kaffee aufs Gaspedal und abends mit dem Alkohol quasi auf die Bremse.

Welches Ritual pflegen Sie selbst vor dem Zubettgehen und warum?
Ich stelle am Abend meinen Wecker auf 21 Uhr. Das ist dann das Zeichen für meinen Körper, sich auf die Nacht und den Schlaf vorzubereiten. Dann lege ich das Smartphone beiseite, dimme das Licht, lese noch etwas, mache eine Atemübung oder setze mich zur Entspannung in die warme Badewanne. So kann ich gut gegen 22 Uhr einschlafen.


Tipps, damit Sie trotz Zeitumstellung gut schlafen können

Die Zeitumstellung an diesem Wochenende ist für viele Menschen die angenehmere: Die Nacht ist schließlich dadurch eine Stunde länger. Dennoch leiden auch einige unter der Uhrendreherei, da der gewohnte Rhythmus durcheinander kommt.  Schlafexperte Martin Schlott hat einige Tipps parat:

  • Gute innere Haltung: "Ich freue mich auf den Tag!"
  • Direkt nach dem Aufstehen ein bis zwei Gläser Wasser trinken. "Das aktiviert unseren Kreislauf", erklärt Schlott. Eine Zitronen- oder Ingwerscheibe dazu gebe nicht nur Geschmack, sondern wirke auch belebend.
  • "Am besten morgens - und auch untertags immer mal wieder - rausgehen, denn das Licht am Morgen aktiviert unser Gehirn", rät der Experte.
  • Auf Mittagsschlaf in den Tagen nach der Zeitumstellung möglichst verzichten, um den Schlafdruck für die Nacht aufzubauen.l Kaffee beziehungsweise koffeinhaltige Getränke nur bis maximal 12 Uhr mittags trinken.
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