AZ-Interview: Ersatzteillager Mensch
MÜNCHEN - Der Münchner Schauspieler Peter Radtke – selbst behindert – über die schwierige Frage der Präimplantationsdiagnostik. Ein Interview über Schmerzen, Glück und Egoismus
Der schwierige Konflikt um die Präimplantationsdiagnostik: Soll es erlaubt werden, dass Embryos bei der künstlichen Befruchtung vor der Einsetzung auf schwerste Krankheiten untersucht werden? Die einen sehen darin eine Hilfe für Eltern, die oft einen Leidensweg hinter sich haben; die anderen fürchten die Gefahr von Designer-Babys und einer Auslese von „unwertem Leben“. Heute abend diskutieren bei „Beckmann“ der Münchner Schauspieler Peter Radtke, der selbst behindert ist, CDU-Vizechefin Ursula von der Leyen, eine betroffene Mutter und ein Bischof. Die AZ sprach mit Radtke.
AZ: Herr Radtke, Sie haben Glasknochen und wären womöglich nicht auf der Welt, wenn es damals, 1943, schon PID gegeben hätte. Ist das der Grund, warum Sie sich dagegen engagieren?
RADTKE: Sicher spielen autobiografische Gründe auch eine Rolle. Aber nicht nur. Es geht auch um die Frage: In was für einer Gesellschaftwollen wir leben? Es heißt immer, wir wollen es nur in ganz engem Rahmen zulassen. Aber lässt sich das überhaupt halten? Ich glaube nicht. Über kurz oder lang würde jemand fragen: Warum nicht freigeben? Warum nicht auch nach Geschlecht selektieren? Wenn ich an die so genannten Rettungskinder denke, die in der Petrischale erzeugt werden, damit ein behinderter Angehöriger davon profitieren kann, also – ich sag's jetzt grob – als Ersatzteillager, dann ist der Mensch nicht mehr um seiner selbst willen da, sondern um einen Zweck. Das ist nicht mehr die Gesellschaft, die wir jetzt haben.
Aber PID soll ja wirklich nur in engen Grenzen zugelassen werden. Jeder Fall soll von einer Ethikkommission überprüft werden. Trauen Sie denen nicht?
Ich erinnere mich, wie es angefangen hat mit der Pränataldiagnose. Die seelische und körperliche Gesundheit der Mutter sollte geschützt werden, das war der Ansatz. Heute ist es ein reines Selektionsinstrument.
Es geht ja nicht nur um Behinderung, sondern auch darum, ob jemand überhaupt ein Kind haben kann – wie beim einzigen bisher bekannten PID-Fall, wo die Mutter vier Fehlgeburten hatte, bevor der Arzt per PID einen lebensfähigen Embryo auswählte. Soll auch das verboten sein?
Im Einzelfall hören sich die Begründungen immer glaubwürdig an. Wir haben in Deutschland um die 200 Paare, die von dieser Methode profitieren wollen. 200 Paare – ich will gar nicht deren Problematik herunterspielen – gegenüber Werten einer Gesellschaft von 80 Millionen. Lassen sich keine anderen Möglichkeiten finden, ihnen zu helfen? Warum muss zum Beispiel die Adoptionsgesetzgebung so rigide sein?
Einer der Widersprüche ist, dass der Embryo in der Petrischale nicht untersucht werden darf, aber im Mutterleib schon. Auch eine Abtreibung ist dann erlaubt.
Berechtigter Hinweis. Aber: Einen fehlerhaften Weg kann man nicht durch einen noch schlechteren heilen. Beides führt in die gleiche Richtung: Ich möchte bestimmte Wesen nicht auf die Welt kommen lassen.
Aber das kann auch aus Mitleid passieren: Zwei Drittel der betroffenen Frauen haben schon ein behindertes Kind, zum Beispiel einen Dreijährigen mit Netzhauttumor, und wollen einem zweiten Kind Schmerzen ersparen.
Ich bin aufgewachsen mit unheimlich vielen Schmerzen. Ich hatte über 100 Knochenbrüche. Aber das sagt absolut nichts darüber aus, wie lebenswert ein Leben ist oder wie glücklich man ist. Schmerzvermeidung ist sicher sinnvoll. Aber wie wollen wir festlegen, wie sinnvoll? Meine Frau und ich haben uns bewusst entschlossen, keine eigenen Kinder haben zu wollen. Was ist eigentlich die Motivation von Eltern, auf Deubel komm raus ein eigenes Kind haben zu wollen? Ist das nicht auch ein gehöriges Maß an Egoismus?
Wie erleben Sie diese Diskussion in Deutschland? Was sagt sie über den Umgang mit Behinderten?
Für Menschen mit Behinderung wird unheimlich viel getan, vieles ist erreicht worden. Aber gleichzeitig wird ihre Existenzberechtigung immer mehr infrage gestellt. Eltern, die Ja zu einem behinderten Kind sagen, werden gefragt: Ist das nötig? Bei den heutigen medizinischen Fortschritten! Ich sehe da ein größeres Mosaik: die Debatte über aktive Sterbehilfe, die rigorose Durchsetzung von Patientenverfügungen, da ist die PID nur ein Stein. Das ist nicht nur in Deutschland so, wir waren sogar noch etwas sensibler, gerade aufgrund unserer Vergangenheit. Das ist eine allgemeine Entwicklung in den westlichen Ländern. Da schert Deutschland nicht aus, da zieht es eher nach.
Interview: Anja Timmermann Beckmann, ARD, Montag 10.01.2011, 22.45 Uhr
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