Aus dem Zentrum des Nato-iWar

Es ist ein Szenario wie aus einem Science-Fiction-Film: In einem streng abgeschirmten Zentrum im belgischen Mons rüstet sich die Nato gegen Angriffe aus dem Web. Demnächst soll der Cyber-War von Tallinn aus geführt werden.
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Das NITC im belgischen Mons
dpa Das NITC im belgischen Mons

Es ist ein Szenario wie aus einem Science-Fiction-Film: In einem streng abgeschirmten Zentrum im belgischen Mons rüstet sich die Nato gegen Angriffe aus dem Web. Demnächst soll der Cyber-War von Tallinn aus geführt werden.

«Einsam, gelangweilt? Wollen Sie ungewöhnliche Menschen kennenlernen? Dann passen Sie doch einfach nicht auf Ihre geheimen Unterlagen auf!» Das mahnende rote Laufband vor der dritten Kontrolle im militärischen Nato-Hauptquartier in Mons (Belgien) gilt allen, die hier arbeiten. Einige Schritte weiter dann müssen auch meisten Militärs draußenbleiben: Hinter streng verschlossenen Türen in fensterlosen Räumen führt das Atlantische Bündnis einen lautlosen Computerkrieg. 24 Stunden am Tag.

51 Bildschirme sind im Raum verteilt, von nebenan dringt das Surren der Klimaanlagen und der Rechner. Dies ist das Herzstück des «Nato Computer Incident Response Capability's Technical Center» (NITC). Hier werden Computerangriffe auf die Nato abgewehrt, hier sollen auch Bedrohungen der Nato-Staaten verhindert werden. Seit Estland am 27. April vergangenen Jahres während eines Streits mit Moskau um sowjetische Ehrenmale massiv per Computer angegriffen wurde und Banken, Unternehmen und Behörden tagelang kaum oder gar nicht mehr arbeiten konnten, nimmt die Nato elektronische Bedrohungen überaus ernst. «Wir sind ein Wachstumsbereich in der Nato», sagt der NITC-Leiter, US-Major Eulys Shell. Derzeit arbeiten 91 Militärs und 27 zivile Computerexperten in der Spezialeinheit der Nato, in den nächsten Monaten wird die Zahl um 70 Prozent wachsen. Vor wenigen Tagen hat die Nato beschlossen, ein völlig neues «Gemeinsames Exzellenzzentrum für Computerverteidigung» zu schaffen. Sitz: die estnische Hauptstadt Tallinn. Der teilweise Zusammenbruch der Infrastruktur in Estland durch massenweise sogenannte «Denial of Service»-Attacken - bei denen Server gezielt überlastet und damit unbrauchbar gemacht werden - hat auch bei großen Bündnispartnern das Bewusstsein für eine neue Gefahr geschärft.

«Die Angriffe in Estland waren nicht sehr raffiniert oder originell, aber besonders massiert. Das konnte noch relativ gut bekämpft werden, weil die Umgebung überschaubar war», sagt Chris Evis, Chef des «Zwischenfall-Managements» in der Computerzentrale. «Wer weiß, wie das in einem Land wie den USA verlaufen wäre. Wenn Banken, Stromversorgung und Stadtwerke in einem Land zusammenbrechen, ist das eine ernste Gefahr.» Erst Anfang April bezeichnete der Nato- Gipfel in Bukarest die «Cyber Defence» als Aufgabe, für die die Verbündeten mehr tun müssten.

Zwei Hauptaufgaben hat die Nato-Agentur für Informationssysteme (NCSA) unter der Leitung des deutschen Generalleutnants Ulrich Wolf, der alle Bereiche der Computer-Verteidigung unterstehen: Die eigene Kommunikations-Infrastruktur der Nato in den 26 Bündnisstaaten zu schützen und zugleich den Staaten bei der Abwehr von Computerangriffen zu helfen.

«Es gibt immer wieder gezielte Angriffe», sagt Major Shell. Angriffe, die über die normale Abwehr von Würmern, Trojanern und anderen Viren hinausgehen. Mehr als 80 Prozent der gesamten E-Mails sind auch bei der Nato - ebenso wie bei anderen Unternehmen - Spam, also Müll. Aber wer die Nato gezielt anzugreifen versucht? Darüber will er nichts Genaueres sagen («Das ist als geheim klassifiziert»). Auch zur Frage, wie viele frühere «Hacker» heute in Uniform oder Zivil in seinem Leitstand arbeiten, mag er sich nicht näher äußern: «Wer hier arbeitet, ist hoch qualifiziert.» Im Moment herrschen auf den Bildschirmen, auf denen der Zustand der Computersysteme der Nato überwacht wird, graue und gedämpfte Farbtöne vor. «Wenn wir angegriffen werden, ist es hier auf dem Schirm ziemlich rot», sagt eine Softwareexpertin entspannt. Über dem Schutz von «kritischer Infrastruktur» dürfe der sogenannte «Internet-Krieg» (iWar) keineswegs vernachlässigt werden, warnt der Forscher Johnny Ryan vom Institut für internationale und europäische Fragen in Dublin. Wenn es darum gehe, die Verbraucher- Infrastruktur und deren Online-Angebot lahmzulegen, sei kein großer Aufwand nötig. «Jeder, der eine Internetverbindung hat, kann diesen Krieg führen», meint Ryan. «iWar ist die wichtigste Neuerung in der Kriegsführung seit der Erfindung des Schießpulvers.» Dies sei eine Art Krieg, bei der man nicht einmal wisse, wo der Gegner sei. In der Tat: Bis jetzt ist allen nahe liegenden Verdächtigungen zum Trotz unklar, wer wirklich hinter den Angriffen auf Estland steckte. (Von Dieter Ebeling, dpa)

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