Am Anfang war die Raute

Am 21. Dezember vor 100 Jahren erschien das erste Kreuzworträtsel. Skeptiker glaubten, damit sei’s bald vorbei – doch der Erfolg ist ungebrochen
Vanessa Assmann |
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Jeder zweite Deutsche beackert regelmäßig Keruzworträtsel, so Schätzungen.
dpa Jeder zweite Deutsche beackert regelmäßig Keruzworträtsel, so Schätzungen.

 

Am 21. Dezember vor 100 Jahren erschien das erste Kreuzworträtsel. Skeptiker glaubten, damit sei’s bald vorbei – doch der Erfolg ist ungebrochen

MÜNCHEN Die Leser der „New York World" dürften verwundert dreingeblickt haben, als sie am 21. Dezember 1913 ihre Zeitung aufschlugen. Denn für die Weihnachtsbeilage hatte sich Rätselredakteur Arthur Wynne etwas Neues einfallen lassen: Ein „Word-Cross-Puzzle“. 72 kleine Kästchen, rautenförmig angeordnet in Form eines Christbaumanhängers und dazu die Aufforderung, 31 Begriffe zu erraten und einzutragen. Es war die Geburtsstunde des Kreuzworträtsels.

Das Rätseln selbst hat sich in den 100 Jahren verändert, gleich geblieben ist die Faszination. Jeder zweite Deutsche, so Schätzungen, ackert sich gelegentlich an den leeren Gittern ab. Rätselbücher füllen in den Geschäften ganze Regale, die größten Anhänger veranstalten Wettbewerbe bis hin zur Deutschen Kreuzworträtselmeisterschaft. Und wem zuckt nicht der Stift in der Hand, wenn er nach der Zeitungslektüre auf das Kreuzworträtsel stößt und gerade nichts anderes zu tun hat?

Dabei war keinesfalls von Beginn an klar, welchen Siegeszug das Kreuzworträtsel rund um die Welt antreten würde. Zwar fehlte es bald in keiner Ausgabe der „New York World“ mehr und Rätselmacher Wynne entwickelte die Form, wie wir sie heute kennen – er ordnete die Begriffe in einem quadratischen Gitternetz an und begrenzte sie mit schwarzen Kästchen. Nach und nach druckten auch andere Zeitungen die Erfindung des gebürtigen Liverpoolers. 1924 erschien das erste Kreuzworträtsel-Buch in den USA. In Deutschland waren es 1925 die Leser der „Berliner Illustrierten“, die als erste mit dem Rätsel-Virus infiziert wurden.

Doch es gab auch Skeptiker. Ausgerechnet in der „New York Times“ – deren Wortpuzzle heute zu den beliebtesten überhaupt gehören – fragte sich 1925 ein Autor, welchen Sinn es überhaupt habe, waagrecht und senkrecht Begriffe in einem Raster einzutragen. Sein Fazit: Man solle erst gar nicht nach dem Sinn suchen. Denn schon in ein paar Monaten sei diese Freizeitbeschäftigung vergessen – „diese fixe Idee stirbt aus.“ Ewig konnte sich aber auch die „New York Times“ nicht sperren: Seit 1942 versorgt sie ihre Leser mit den einst so argwöhnisch betrachteten Rätseln, mittlerweile werden viele online gegen Bezahlung gelöst.

Es mag eine Genugtuung für Arthur Wynne gewesen sein, der 1945 im Alter von 74 Jahren in Florida starb. Ein Leben im Wohlstand hat ihm sein Geniestreich dennoch nie gebracht – er hatte es verpasst, sich seine Erfindung patentieren zu lassen.

Die Erfindung bleibt unsterblich.Die Art aber, wie Kreuzworträtsel gemacht werden, hat sich seit Wynnes Rautenanfängen stark verändert. Heute übernehmen Computer einen Großteil der Arbeit. Und kein professioneller Rätselmacher muss sich mehr auf klassische Lexika oder das eigene Gedächtnis verlassen, wenn er die Leser zum Grübeln animieren will. „Wir haben eine Datenbank mit 50.000 Begriffen und 120.000 passenden Fragen“, sagt Stefan Heine, der mit seiner Agentur zahlreiche Medien mit Rätseln versorgt. Dadurch dauert es nur wenige Minuten, bis ein Rätsel fertig am Bildschirm erscheint.

Das Grundmuster beim Rätselmachen aber ist gleich geblieben: Dafür fügt man in ein Gitternetz einen ersten Ratebegriff ein und platziert drumherum weitere Begriffe. Am besten eignen sich dafür Worte mit vielen Vokalen und gängigen Konsonanten – wie Uhu, Ehe, Ara, Ger oder Tee. Und sind die Verbindungen zwischen den Begriffen auch schwierig – sie sind Zeichen für ein gutes Rätsel. So genannte „tote Felder“ sollten besser nicht vorkommen, sagt Rätselmacher Heine.

Ein anderes Zeichen für ein gutes Rätsel ist, dass der Leser es am Ende auch lösen kann. Mag der eine dafür fünf Minuten brauchen. Der andere fünfzig. In der Regel einfacher sind jene Rätsel, die heute die meisten vor Augen haben, wenn von Kreuzworträtseln die Rede ist: die Schwedenrätsel, bei denen die Frage in einem Blindkästchen eingefügt ist. Gefragt sind häufig Abkürzungen, Synonyme oder Begriffe aus Geschichte, Politik und Geographie.

Und dann gibt es noch die Königsdisziplin: Jene Rätsel, bei denen Autor und Leser um die Ecke denken müssen – wie in der gleichnamigen Rubrik der „Zeit“. Statt einfacher Synonyme werden dem Leser assoziative und spielerische Denkanstrengungen abgefordert. Rätselautor Wynne hat sich 1913 jedenfalls noch nicht ausmalen können, wie anspruchsvoll Rätseln in Zukunft werden könnte. Immerhin lautete die Antwort auf die Feststellung „Dieses Puzzle ist....“ - „schwer“.

 

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