Als New Yorker Schwule sich zur Wehr setzten
Alljährlich erinnern CSD-Paraden in aller Welt an den Beginn einer selbstbewussten Homosexuellen-Bewegung. Vor genau 40 Jahren nahmen Schwule in der New Yorker Christopher Street Repressalien nicht länger hin.
Tree hat seine Geschichte hunderte, wenn nicht gar tausende Male erzählt. Der baumlange Mann, der immer nur diesen Namen nennt, ist Bartender des berühmten Stonewall Inn in New York - jener Bar an der Christopher Street im Greenwich Village, von der im Sommer 1969 die «Gay-Pride»-Bewegung der Schwulen und Lesben ihren Lauf nahm. «Ich bin gerade 70 geworden», sagt er, «war also genau 30, als der Aufstand ausbrach». Dass sich Tree in jener historischen Nacht zum 28. Juni im Stonewall aufhielt, war kein Zufall. Das Inn, das sich vor 40 Jahren hinter schwarz angestrichenen Fensterscheiben verbarg und nur auf Klopfzeichen die Tür öffnete, war der einzige Platz in New York, an dem Männer mit Männern tanzen konnten. «Natürlich war das verboten», sagt Tree. Und so endete wenigstens ein Dutzend seiner damaligen Nächte im Stonewall hinter Gittern.
Polizei-Razzien gehörten in den 1960er Jahren zur Tagesordnung. Sie galten weniger den Schwulen, Lesben und Transvestiten als den Besitzern des Inns, das fest in Mafiahänden lag. Dafür, dass sie ein Auge zudrückten, ließen sich die Beamten des Sechsten Polizeireviers jede Woche auszahlen. Nach einer Weile war die Erhöhung fällig. Was lag näher, als sie mit Razzien durchzudrücken?
«Wir waren frustriert»
In jener Juni-Nacht, die mit eingeschlagenen Scheiben, brennenden Mülleimern, Sirenen, Schlagstöcken, einem Heer von Verhafteten und Straßen voller Neugieriger und Sympathisanten endete, waren jedoch Polizisten des New Yorker Hauptquartiers der Stonewall-Mafia auf den Pelz gerückt. «Wegen der Geldwäsche, der verschwundenen Leute, der Toten und Verletzten», erklärt Tree. Was die Konfrontation letztlich auslöste, weiß er nicht.
«Es war heiß», erinnert er sich, «und wir waren frustriert.» Das Stonewall hatte das Bier wie üblich zu fortgeschrittener Stunde mit Wasser verdünnt. «Guten Alkohol (Schnaps) konnte der Bartender nicht rausrücken, weil die Besitzer da waren.» Also ging Tree mit seinen Freunden Charlie, Frankie, Bubbles und Trenchie zu «Mama's Chicks and Ribs» um den Block. Dort erreichte ihn die Nachricht. «Wir sind sofort zurück», sagt er. Seiner Gruppe gelang es, die Tür hinter dem Stonewall und damit einen Fluchtweg für die eingeschlossenen Freunde zu öffnen. Doch «dies waren nicht die gewohnten Cops. Sie stießen und sie schlugen uns, und so wehrten wir uns schließlich». Das Fass war übergelaufen. Nach inoffiziellen Angaben kämpften am frühen Morgen etwa 400 Polizisten gegen die Schwulen, gut 2000 Menschen auf der Straße wurden zu Augenzeugen. Die Krawalle setzten sich noch mehrere Nächte fort. Zum Schluss forderte New Yorks damaliger Bürgermeister John Lindsay die Polizei auf, sich aus dem Village zurückzuziehen.
Erste Parade schon 1970
Laut Tree lag der größte Triumph der Schwulen und Lesben jedoch in Lindsays Annullierung der sogenannten Lockvogelmethoden. Sie hatten Polizisten zuvor unter anderem erlaubt, sich in Zivilkleidung in das Stonewall einzuschleichen, einem Gast dort «die Hand auf den Oberschenkel zu legen» und ihn nach einem Drink zum Stelldichein nach draußen zu bitten. Vor der Tür zückten die Lockvögel dann die Handschellen.
Schon ein Jahr nach dem 28. Juni 1969 wurde der Triumph vom Stonewall mit einer Christopher Street Parade gefeiert. Tree, der an seiner Theke Touristen und Reporter aus aller Welt über den Ursprung der homosexuellen Befreiungsbewegung aufklärt, hat, wie er sagt, in vier Jahrzehnten nur zwei «Gay Pride Parades» im Greenwich Village verpasst. In diesem Jahr führt er die Umzüge in St. Petersburg (Florida) und Colorado als Grand Marshall an. An der Christopher Street Parade im New Yorker Village an diesem Sonntag nimmt er als Mitglied der Jury teil. «Es ist alles ganz anders geworden», sagt der freundliche Hüne, der seit zwölf Jahren im Stonewall hinter der Theke steht und zuvor schon in anderen Gay-Treffpunkten im Village die Bar betreute. «Die jungen Leute verstehen nicht, dass wir für unsere (sexuelle) Freiheit im Gefängnis gelandet sind. Sie glauben, dass es schon immer Neonlichter und Discomusik für Homos gab». (Gisela Ostwald, dpa)
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