Interview

Agrarreferent Karl Bär: "Wir haben uns den Gerichtssaal als Bühne nicht ausgesucht"

In Bozen muss sich der Agrarreferent Karl Bär vom Münchner Umweltinstitut am Freitag erneut wegen einer Anklage wegen übler Nachrede verantworten. Es geht um Äpfel, Pestizide und Einschüchterung.
von  Ruth Schormann
Agrarreferent Karl Bär.
Agrarreferent Karl Bär. © Jörg Farys

Bozen - Laut Zahlen des Südtiroler Apfelkonsortiums stammen 50 Prozent der italienischen Apfelernte und zehn Prozent der europäischen Apfelernte aus Südtirol. Südtiroler Äpfel sind bekannt, beliebt – und wachsen mithilfe massiven Pestizideinsatzes, wie das Münchner Umweltinstitut 2017 auf einem Plakat am Stachus im Stile der damaligen Tourismuskampagne Südtirols öffentlich kritisierte. In "Pestizidtirol" wurde da die norditalienische Provinz umgetauft.

Ein Südtiroler Landwirt in Aktion. Den massiven Pestizideinsatz in der bekannten Apfelanbauregion kritisiert das Umweltinstitut. Dessen Agrarreferent Karl Bär steht deswegen heute erneut vor Gericht.
Ein Südtiroler Landwirt in Aktion. Den massiven Pestizideinsatz in der bekannten Apfelanbauregion kritisiert das Umweltinstitut. Dessen Agrarreferent Karl Bär steht deswegen heute erneut vor Gericht. © Jörg Farys

Das gefiel SVP-Politiker und Landesrat Arnold Schuler und über 1.300 Obstbauern gar nicht – sie zeigten unter anderen den Holzkirchner Karl Bär (36), Agrarreferent am Umweltinstitut, an.

Im Gespräch mit der AZ schildert Bär, wie es nach der Anzeige weiterging, was er sich vom nächsten Prozesstermin am heutigen Freitag erhofft – und ob er sich durch die Anklage einschüchtern lässt.

AZ: Herr Bär, der Südtiroler Landesrat Arnold Schuler und mehr als 1.370 Landwirte haben Sie angezeigt, weil Sie öffentlich den Pestizideinsatz auf Südtiroler Apfelplantagen kritisiert haben. Vorangegangen war ein Bürgerentscheid in Mals über ein kommunales Verbot chemisch-synthetischer Pestizide. Wie kam es dazu?
KARL BÄR: Wir wollten damals die frohe Kunde verbreiten, dass sich die Südtiroler Gemeinde Mals als erste in Europa entschieden hatte, zur pestizidfreien Gemeinde zu werden. Das ist in Südtirol auf sehr viel Gegenwind gestoßen, wir bemerkten, wie stur und kommunikationsunfreudig die Südtiroler Obstwirtschaft hier ist. Daher haben wir dieses provokative Plakat am Stachus im August 2017 aufgehängt. Es war eine Persiflage der damaligen Südtiroler Tourismuskampagne.

Und deswegen stehen Sie jetzt vor Gericht. Hätten Sie damals damit gerechnet, dass dieses Plakat so etwas auslöst?
Nein. Uns war bewusst, dass das eine Provokation ist, aber dass das tatsächlich zu einem Strafprozess führt, hätten wir uns nie vorgestellt. Sie müssen bedenken, wenn das, was ich da gemacht habe, wirklich illegal wäre, dann wäre auch jede Folge der ZDF-"Heute Show" illegal.

Agrarreferent Karl Bär.
Agrarreferent Karl Bär. © Jörg Farys

Bislang wurde noch keine Anzeige zurückgenommen

Zwischenzeitlich schien es ja so, als würden alle Anzeigen zurückgenommen, es war auch von einem Treffen an einem Runden Tisch statt im Gerichtssaal die Rede.
Bisher ist keine einzige Anzeige zurückgenommen worden und Herr Schuler sowie die zwei Chefs der großen bäuerlichen Genossenschaften in Südtirol hatten sich sogar als Nebenkläger eingelassen. Wir gehen aber davon aus, dass sie wirklich versucht haben, einen Großteil dieser Anzeigen zurückzuziehen und ein Großteil auch zurückgezogen wird, aber Herr Schuler wird die Geister, die er rief, nicht mehr ganz los. Wir hatten vorgeschlagen, dass wir uns an einen Tisch setzen. Wir haben gemerkt, dass die große Aufmerksamkeit, die so ein Prozess mit sich bringt, der Südtiroler Landesregierung überhaupt nicht recht ist. Es ging ihr ja eigentlich darum, genau diese Aufmerksamkeit für das Thema zu verhindern. Dann haben wir gesagt, wir haben uns die Bühne Gerichtssaal nicht ausgesucht, dazu zwingt ihr uns! Doch die Voraussetzung für ein konstruktives Gespräch wäre, dass eben alle Anzeigen zurückgezogen werden. Es gibt wohl mindestens zwei Personen, die sich weigern, die Anzeigen zurückzuziehen und damit geht der Strafprozess gegen mich und auch gegen Alexander (Alexander Schiebel, österreichischer Pestizidkritiker und Autor des Buchs "Das Wunder von Mals"; d. Red.) weiter beziehungsweise beginnt dann erst richtig.

"Wir haben nichts gesagt, was sachlich falsch ist"

Woran mag das liegen, dass sich einzelne da so querstellen?
Darüber kann ich nur spekulieren. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Leute Ärger mit der Landesregierung haben oder haben wollen.

Zurück zur inhaltlichen Ebene: Man wirft Ihnen üble Nachrede, Halbwahrheiten und gar Falschinformationen vor, sowie Markenfälschung wegen des abgewandelten Südtirol-Logos. Ist der Pestizideinsatz in Wahrheit gar nicht so schlimm?
Wir haben nichts gesagt, was sachlich falsch ist. Es wird in Südtirol unglaublich viel gespritzt. Ich kann auch konkrete Aussagen mit Daten des italienischen statistischen Bundesamts nachweisen, ich kann darstellen, dass dort sehr viele Mittel eingesetzt werden, die im Verdacht stehen, diverse Gesundheitsprobleme auszulösen, zum Teil waren Mittel dabei, damals, vor vier Jahren, die mittlerweile verboten sind. Es werden haufenweise umweltschädliche Mittel eingesetzt, auch das kann ich darstellen. Wir vom Umweltinstitut haben 2018 selbst Messungen in Südtirol durchgeführt, die zeigen, dass diese Mittel auch gar nicht kontrollierbar sind, weil Spuren davon auch noch kilometerweit von den Einsatzorten entfernt zu finden sind.

Hat sich seitdem an der Art der Landwirtschaft in Südtirol etwas geändert?
Meines Wissens hat sich an der Intensität und der Wirtschaftlichkeit der Landwirtschaft nichts geändert, auch wenn über die Jahre immer mehr auf Bio umgestellt wird. Das ist schon eine positive Entwicklung. Doch ich weiß aus dem Frühjahr letztes Jahr, als die Menschen in Italien ja einen extrem harten Lockdown hatten, dass Anwohner solcher Apfelplantagen wieder eine große Diskussion angestoßen haben, weil sie gesagt haben, sie können sich nicht im eigenen Garten aufhalten, während gespritzt wird - und das wird es oft zweimal die Woche. Also die Diskussion ist nach wie vor virulent.

"Wir kämpfen dafür, ausführlich Stellung zu nehmen"

Am Freitag ist jetzt der zweite Termin für Sie vor Gericht in Bozen, im Herbst ging der Prozess los. Was erhoffen Sie sich?
Das Beste wäre, wenn alle Anzeigen zurückgezogen werden und der Vorwurf der üblen Nachrede gegen mich und Alexander fallengelassen wird. Dann könnte ich wieder entspannter schlafen. Wenn das aber nicht passiert, geht es am Freitag um die Beweisanträge und die Frage, wie viele Experten in unserem Verfahren vorsprechen dürfen. Das ist für mich ganz wichtig, um zu beweisen, dass das Problem ja tatsächlich besteht. Wir sind gut vorbereitet, haben über 80 Expertinnen und Experten aus verschiedenen Feldern vorgeschlagen. Ich bin gespannt, wie viele das Gericht zulässt. Wir kämpfen dann auf jeden Fall dafür, dass wir ausführlich Stellung nehmen können zu den verschiedenen Problemfeldern.

Angenommen, die Anzeigen werden am Freitag nun alle zurückgenommen. Denken Sie, ein konstruktiver Austausch mit den Apfelbauern ist überhaupt noch möglich?
Wir stehen zu dem Angebot, ja. Ich hoffe, dass sie einsehen, dass sie auf dem falschen Weg sind. Behaupten tun sie es ja, dass sie besonders fortschrittlich mit Umweltschutz und Landwirtschaft umgehen. Das ist in meinen Augen aber nicht der Fall bislang.

Soll die Klage nur der Einschüchterung dienen?

Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, stuft die Klage als sogenannten Slapp ein. Also ein Vorgehen, bei dem es nicht um die Sache inhaltlich geht, sondern darum, Kritiker einzuschüchtern, mundtot und mürbe zu machen. Wie geht es Ihnen persönlich mit diesem Gerichtsprozess?
Ich bin noch in einer ganz guten Situation, da ich das Umweltinstitut hinter mir habe, das zum Beispiel auch die Anwaltskosten übernimmt. Wir haben gemeinsam beschlossen, dass wir trotzdem und gerade deswegen weiter gegen Pestizideinsätze vorgehen müssen - und den Prozess dafür auch als Bühne nutzen. Das ist sehr anstrengend, aber ich komme noch relativ gut klar. Was für mich persönlich ärgerlich ist, dass das Ganze unter Umständen über mehrere Jahre geht. Das italienische Justizsystem ist noch langsamer als das deutsche - und die Klage habe ich ja persönlich am Hals. Sollte ich also mal einen anderen Beruf suchen, nehme ich das Verfahren mit. Und das ist belastend.

Die Entscheidung des Bürgerentscheids von Mals liegt momentan in Rom. Wie ist da der Stand der Dinge?
Das ist noch offen. Wir sind aber zuversichtlich, nachdem die Südtiroler Landesregierung das Gesetz, das den Gemeinden die Zuständigkeit im Bereich Pflanzenschutz genommen hat, erst nach der Malser Verordnung in Kraft getreten ist. Das ist auch ein eindeutiges Zeichen dafür, wie viel Angst die Südtiroler Landesregierung vor dieser pestizidfreien Gemeinde Mals hatte, dass sie da sogar ein Gesetz geändert hat, nur um das zu verhindern.


Das sind Slapp-Klagen

Slapp-Klagen sind die juristische Form von Goliath gegen David - große Gegner, meist Konzerne, versuchen, einzelne Kritiker aus Wissenschaft oder Journalismus, mundtot zu machen. Slapp steht für "Strategic Lawsuits against Public Participation” , also strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Ein Beispiel liefert der Konzern RWE, der Kohlekraftwerksblockierer auf Schadenersatz in Millionenhöhe verklagte. Seit eineinhalb Jahren ist auch die Hamburger Organisation "Rettet den Regenwald" angeklagt, weil sie die Praktiken des indonesischen Palmölkonzerns Korindo kritisiert hatte.

Kerzen und Blumen für die ermordete Journalistin Daphne Caruana Galizia.
Kerzen und Blumen für die ermordete Journalistin Daphne Caruana Galizia. © picture alliance/dpa

Das wohl bekannteste und bitterste Beispiel für Slapp-Klagen ist die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia, die 2017 durch eine Autobombe ermordet wurde. Sie wurde vorher mit Verleumdungsklagen überschüttet, wie unter anderem Greenpeace berichtet. Mehrere NGOs haben mittlerweile ein Bündnis gegen Slapps gegründet, das sich dafür einsetzt, dass EU-Mitgliedsstaaten gesetzlich gegen solche Praktiken vorgehen.

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