18,5 Millionen aus Afrika

Verunglückte Verwandte, reiche Diktatorenwitwen: AZ-Reporter erhält eine dreiste Spam-Mail – und antwortet. Der bizarre Briefwechsel zwischen München und Nigeria.
Timo Lokoschat |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Die Internet-Abzocker aus Nigeria behaupten häufig, ein Angehöriger sei Präsident einer Ölfördergesellschaft gewesen.
dpa Die Internet-Abzocker aus Nigeria behaupten häufig, ein Angehöriger sei Präsident einer Ölfördergesellschaft gewesen.

Verunglückte Verwandte, reiche Diktatorenwitwen: AZ-Reporter Timo Lokoschat erhält eine dreiste Spam-Mail – und antwortet. Der bizarre Briefwechsel zwischen München und Nigeria.

München/Lagos - Diese Nachricht traf mich unvorbereitet: „Ihr Verwandter Frank Lokoschat, seine Frau und deren drei Kinder waren in einen Autounfall auf der Sagbama-Schnellstraße verwickelt.“

Großer Gott! Nicht nur, dass ein mir unbekannter Frank Lokoschat in meiner Familie auftaucht – jetzt hatte der auch noch einen Unfall.

Doch es kam noch schlimmer: „Unglücklicherweise verloren alle Fahrzeuginsassen ihr Leben.“ Wer mir das mitteilte? Ein gewisser „Barrister John Kinedy“, Anwalt aus Nigeria. Per E-Mail.

Und er weiß noch mehr über meinen angeblichen afrikanischen Verwandten. Frank Lokoschat sei Direktor einer großen Ölgesellschaft namens SONACOP gewesen und habe rund 18,5 Millionen Dollar hinterlassen. Das Geld soll an seinen nächsten Familienangehörigen fließen: an mich!

Sieben Millionen? Zu schön, um wahr zu sein

Kein Haken? Nun, mehr als einer. Der erste: 60 Prozent der Summe will Herr Kinedy für sich behalten. Ein bisserl unfair, finde ich – schließlich ist mein Verwandter gestorben und nicht seiner!

Doch immerhin sieben Millionen bleiben mir ja noch; ich muss sie mit niemandem teilen und auch keine „Bild“-Glücksboten in meine Wohnung lassen.

Zu schön, um wahr zu sein, meinen Sie? Leider zu Recht. Das Landeskriminalamt sah sich die Mail an: „Dahinter steckt ein kriminelles Netzwerk, die so genannte Nigeria-Connection“, sagt LKA-Sprecher Ludwig Waldinger. „Mails dieser Art werden zurzeit zehntausendfach verschickt.“

Mal hat man geerbt, mal betteln erfundene Diktatorswitwen um Hilfe bei der Geldwäsche. „Allen Absendern geht es nur darum, leichtgläubige Mitmenschen abzuzocken. Unser Tipp: Nicht lesen, sondern löschen!“

Daran halten sich 99,99 Prozent. Die restlichen Promille gehen den Online-Betrügern ins Netz. Für die AZ schlage ich mich auf die Seite der Leichtgläubigen und tue das, was man auf keinen Fall machen sollte: antworten.

Der bizarre Mailwechsel

Lieber Herr Kinedy, mit einer Mischung aus Trauer und Überraschung habe ich Ihre Nachricht aufgenommen. Einerseits tut es mir Leid für den alten Flusspferd-Frankie, wie Freunde ihn gerne nannten . . . Andererseits: Ich kann die sieben Millionen derzeit gut gebrauchen – meine Katzen leiden an akuter Leberzirrhose und benötigen eine teure Therapie. Bitte teilen Sie mir mit, wie ich an das Geld komme.

Kaum ist die Mail gen Nigeria unterwegs, ärgere ich mich. Flusspferd-Frankie, Leberzirrhose – das war vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen. Aber schließlich hat Herr Kinedy damit angefangen! Und siehe da: Zwei Stunden später liegt seine Antwort in meinem Postfach.

Bankverbindung? Was, wenn’s doch wahr ist?

Lieber Herr Lokoschat, vielen Dank für Ihre E-Mail und Ihre Offenheit. Gut, dass Sie sich gemeldet haben. In wenigen Wochen wird das Geld vom nigerianischen Staat konfisziert. Darf ich fragen, was Sie, werter Herr Lokoschat, beruflich machen? Wir werden den Betrag direkt auf Ihr Konto überweisen. Bitte rechnen Sie damit, dass eine vergleichsweise geringe Bearbeitungsgebühr auf Sie zukommt. Dr. Richard Kinidy

Dass der Anwalt inzwischen einen Doktortitel trägt, nun Richard statt John heißt und Kinidy statt Kinedy, stört mich kein bisschen. Eine Kleinigkeit. Es geht um Großes!

Lieber Herr Dr. Kinidy, ich wusste gar nicht, dass Sie einen Doktortitel besitzen. Jetzt habe ich noch mehr Vertrauen. Was ich beruflich mache? Ich führe eine kleine, aber sehr erfolgreiche Eichhörnchenfarm draußen in Gilching-Argelsried. Die Felle verkaufe ich als Nerz an reiche Münchnerinnen. Aber bitte: Das muss unter uns bleiben! Wie hoch ist denn diese „Bearbeitungsgebühr“?

Eichhörnchenfarm in Gilching- Argelsried – das war's dann wohl. Wer darauf antwortet, ist mindestens so deppert wie diejenigen, die auf Spam- Mails hereinfallen. Doch auch bei Dr. Kinidy siegt die Gier offenbar über den Verstand . . .

Lieber Herr Lokoschat, vertrauen Sie auf meine Diskretion. Ich benötige nun Ihre Bankdaten, um den Betrag zu überweisen. Dr. Richard Kinidy

Moment mal: Der Doc will meine Bankverbindung? Warum? Was, wenn’s doch wahr ist? Mein afrikanischer Verwandter tatsächlich auf der berüchtigten Sagbama-Schnellstraße verunglückte? 18,5 Millionen hinterließ? Für mich?

Ach, Schmarrn!

Lieber Herr Dr. Kinidy, hier meine Bankdaten:
54 - 74 - 90 - 2006
5e, 6a, 2c (Treffer, versenkt)
Hantelbank Hannover
Sie können mit diesem Fach-Chinesisch sicher mehr anfangen als ich. Auf welches Konto darf ich die Bearbeitungsgebühr überweisen? In welcher Höhe?
Und wann kommen endlich die Millionen? Ich habe meinen Job bereits gekündigt und meine Chefs übel beleidigt.


5e, 6a, 2c – selbst dem dümmsten Betrüger müsste inzwischen dämmern, dass es bei mir nichts zu holen gibt. Aber ein Dr. Richard Kinidy bleibt hartnäckig . . .

Lieber Herr Lokoschat, wir haben Ihre Bankdaten sorgfältig überprüft und konnten das Konto leider nicht lokalisieren. Hier haben Sie erst einmal unsere Bankverbindung (...). Die Bearbeitungsgebühr beträgt 4300 Dollar. Sobald Ihr Geld auf unserem Konto angekommen ist, erhalten Sie den Ihnen zustehenden Betrag. Dr. Richard Kimidy

4300 Dollar! Jetzt ist die Wildkatze aus dem Sack. Und mein Gegenüber heißt wieder einmal anders. Vielleicht der richtige Zeitpunkt, um die Konversation zu beenden.

Lieber Dr. Kimble, nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, die 18,5 Millionen dem nigerianischen Staat zu spenden. Das Geld soll nicht in meine Eichhörnchenfarm investiert werden, sondern in die Bekämpfung von miesen Internet-Betrügern. Herzlich, Dr. Tomi Lakischut

Dann war Ruhe.

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.