Zu Besuch im LKA-Drogenlabor. Psychoaktive Stoffe nehmen zu

Aufputschen, entspannen, entgrenzen: Seit einigen Jahren überschwemmen neue psychoaktive Stoffe wie "Badesalze" und Kräutermischungen den Markt. Die Zahl der Todesfälle steigt deutlich an.
Von Anja Perkuhn |
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Pülverchen und Kristalle, die poppig und harmlos wirken sollen – aber tatsächlich Drogen sind mit unvorhersehbaren Zusammensetzungen und Langzeitwirkungen.
Petra Schramek Pülverchen und Kristalle, die poppig und harmlos wirken sollen – aber tatsächlich Drogen sind mit unvorhersehbaren Zusammensetzungen und Langzeitwirkungen.

Aufputschen, entspannen, entgrenzen: Seit einigen Jahren überschwemmen neue psychoaktive Stoffe wie "Badesalze" und Kräutermischungen den Markt. Die Zahl der Todesfälle steigt deutlich an.

München - Autolufterfrischer. Badesalz. Potpurri. Oder auch: Papageienkäfig-Einstreu. All das steht mitunter auf den schreiend bunten Verpackungen, immer nah aufgedruckt am Hinweis: Nicht zum Verzehr geeignet. Alles davon: verschleierte Realität.

Denn die Kristalle, Pülverchen und Brösel sind natürlich zur Einnahme gedacht. Es handelt sich um künstliche Designerdrogen – sogenannte neue psychoaktive Stoffe (NPS) –, wegen denen es heuer auch in München schon einen Todesfall gegeben hat.

"Dass es uns so überrollt, hätte ich nicht erwartet"

Wobei "neu" etwas in die Irre führt: Die Wirkstoffe müssen nicht neu erfunden sein, um in diese Kategorie zu fallen, sagt Jan Schäper, Chemiker beim Bayerischen Landeskriminalamt (LKA). "Viele davon sind quasi Abfallstoffe der Pharma-Forschung. Substanzen, deren Entwicklung irgendwann nicht weitergetrieben wurde".

Und deren psychoaktiver Effekt aber in der Szene geschätzt und genutzt wird: Kräutermischungen wirken ähnlich wie Cannabis, "Badesalze" aufputschend wie Amphetamine und die gerade aufkommenden chemischen Abkömmlinge von Opiaten wie Heroin.

Seit etwa acht Jahren gibt es in Deutschland eine Schwemme dieser neuen psychoaktiven Stoffe, kurz: NPS. Lange wurden sie auch als „Legal Highs“ bezeichnet, aber das mögen sie beim LKA gar nicht; es vermittle ein falsches Gefühl von Legalität und Sicherheit.

Die Analytiker haben bisher den Drogen-Herstellern immer hinterhergearbeitet: Die spezifischen Substanzen in den sogenannten Kräutermischungen oder "Badesalzen" mussten erst identifiziert und dann in die Liste der Stoffe aufgenommen werden, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Die Hersteller konnten Verbote durch chemische Abwandlungen leicht umgehen.

"Die Analyse ist schwierig und zeitaufwändig, die Stoffe werden sich immer ähnlicher", sagt LKA-Chemiker Schäper. Selbst, wenn man wie das LKA Bayern besonders viele Mittel auch in Laborausstattung investiert. "Dass uns die NPS-Welle so überrollt, hätte ich anfangs nicht erwartet."

Allein 2015 wurden 100 neue psychoaktive Stoffe bekannt

Nach Angaben der Bundesregierung wurden in den letzten Jahren 560 NPS bekannt – 100 allein voriges Jahr. Vor 2009 waren es jährlich fünf bis zehn.

Seit 16. November gilt nun das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz. Auf dessen Grundlage werden statt einzelne Substanzen gleich ganze Stoffgruppen verboten, um es den Herstellern chwieriger zu machen. Schäper blättert durch das dicke Gesetz und dessen Anlagen: Es sieht mit den Strukturformeln und Schaubildern aus wie ein Chemie-Lehrbuch.

"Das Ziel ist nicht, die Konsumenten zu kriminalisieren", betont LKA-Sprecher Ludwig Waldinger. "Es geht um die Hersteller, Vertreiber und Händler. Ein Traum wäre es, die Gefahr für die Gesundheit zu verringern." Denn auch wenn sie Legal Highs genannt werden: Harmlos sind diese Stoffe nicht. "Die Verpackungen sind bunt und witzig, sie sehen kommerziell gefertigt aus. Der Konsument wiegt sich in Sicherheit", sagt Schäper. "Aber für ihn ist das wie Russisches Roulette."

Polizei fasst international gesuchte Drogendealer

Kräutermischungen zum Beispiel: Das sind meist tatsächlich Kräuter – Oregano, Thymian, Gras –, auf die der Wirkstoff aufgesprüht wird. Selbst zwei Packungen mit dem selben Aufdruck enthalten öfters nicht den selben Stoff – und noch seltener in der selben Konzentration. "Das andere Problem ist, dass die Stoffe nicht erforscht sind", sagt Schäper, "vor allem deren Langzeitwirkung. Die Pharmaindustrie hat daran kein Interesse mehr, der Konsument muss an sich selbst forschen. Da mixen sich die ‘Psychonauten’ teilweise abenteuerliche Cocktails mit Stoffen aus verschiedenen Wirkstoffklassen."

Die Wirkstoffe – in der Regel aus Fernost stammend, in Europa verarbeitet und per Post verbreitet – würden außerdem immer potenter. Aktueller Trend sind "research chemicals" – reiner Wirkstoff, bei dem für eine Konsumeinheit teilweise weniger als ein Milligramm ausreichen. "Das abzumessen schafft man nicht einmal mehr mit einer szenetypischen Feinwaage. Da passiert eine Überdosierung schnell."

Die Dunkelziffer der Verletzten und Geschädigten ist enorm

Bluthochdruck, Herzschäden, Atremdepressionen, Organversagen, Schwindel, Psychosen – die Liste der möglichen Neben- und Langzeitwirkungen, die Schäper aufzählt, ist lang. Die Zahl der mit NPS verbundenen Todesfälle steigt in Bayern stark: Laut Innenministerium gab es 2013 einen Toten – 2014 bereits zehn. 2015 waren es bis Juli schon 21.

In München starb heuer ein 34-Jähriger nach einem "Badesalz"-Konsum: Er hatte schwere Wahnvorstellungen, kollabierte und konnte vom Notarzt nicht wiederbelebt werden. Wie viele Menschen – vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, die Zielgruppe sind für die poppigen, günstigen Drogen – unter den Folgen von NPS-Konsum litten, lässt sich schwer sagen.

Im Krankenhaus wird selten eine komplette Blutanalyse gemacht. Die Dunkelziffer "ist auf jeden Fall enorm", sagt LKA-Sprecher Waldinger. Man werde die Drogen nicht vom Markt bekommen, sagt er. "Aber das Gesetz ist ein deutliches Zeichen: ‘Das Zeug ist gefährlich.’ Wir hoffen, die Händler damit ein bisschen in Schwierigkeiten zu bringen."

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