Wohnungsbesichtigung in München: Von zehn Eingeladenen erscheinen nur sechs

Die Ersten stehen schon eine halbe Stunde vor dem Termin vor dem Haus: Es ist ein junges Paar, die beiden unterhalten sich leise, wirken nervös. Dass sie hier stehen, ist schon mal ein Erfolg. Denn sie sind von der Vonovia, dem größten privaten Vermieter Deutschlands, eingeladen worden, die Wohnung zu besichtigen, für die sie sich interessieren: Vier Zimmer in der Rottmannstraße in der Maxvorstadt. 76 Quadratmeter. Kaltmiete 1482,60 Euro.


Mit knapp 19,50 Euro pro Quadratmeter ist sie nicht gerade günstig. Heiz- und Nebenkosten kommen noch obendrauf, damit werden pro Monat etwa 1817,60 Euro Miete fällig. Aber frisch saniert ist die Wohnung, Küche und Bad sind neu, das Parkett abgeschliffen und frisch versiegelt.
Fast 700 Interessenten haben sich auf die Anzeige auf der Immobilien-Onlineplattform Immoscout und auf dem Portal des Wohnungskonzerns gemeldet – mehrere Hundert sind normal, sagt Unternehmenssprecher Olaf Frei. Es sei fast immer so, dass Anzeigen nach 24 bis 48 Stunden wieder herausgenommen werden. "Wer zuerst mailt oder sich über das Kontaktformular meldet und sich ordentlich vorstellt, hat die größten Chancen", sagt Frei.
Ausgesiebt wird schon vor der Wohnungsbesichtigung
Der Dax-Konzern Vonovia besitzt über eine halbe Million Wohnungen in Deutschland, dazu kommen 75.700 Einheiten, die er bewirtschaftet. In München ist die Vonovia vergleichsweise klein: Hier gehören ihr knapp 6000 Wohnungen, davon rund 1500 Sozialwohnungen.
Man wolle "Vermieter für alle" sein, sagt Olaf Frei. Er hat die AZ eingeladen, bei einem Besichtigungstermin dabei zu sein. Er möchte vermitteln, worauf es aus Vermietersicht ankommt und wie Wohnungssuchende ihre Chancen erhöhen können.

Es ist kurz vor 12.30 Uhr am letzten Mittwoch im Oktober. Vera Baum, die für den Vermieter die Besichtigungen in München organisiert und neue Mieter auswählt, holt die Interessenten vor dem Haus ab. Massentermine gibt es bei dem Wohnungsunternehmen nicht: keine langen Schlangen auf der Straße und Blockabfertigung im Schnelldurchlauf. Fünf bis maximal zehn Parteien werden pro Termin eingeladen. Kräftig ausgesiebt wird schon vorher.
"Das Nettoeinkommen muss doppelt so hoch sein wie die Miete", erklärt Vera Baum. Und die Wohnung und der Bewerber sollten zusammenpassen. "Für mich ist wichtig, dass im Anschreiben steht, warum jemand sucht", sagt sie. Frei ergänzt: "Und nicht nur: Ey, hast du Wohnung?" Alles schon erlebt.
Für diese Wohnung wünscht sich Vera Baum eine Familie. "Vier-Zimmer-Wohnungen sind nicht so oft verfügbar."


Es erscheinen nur sechs von zehn, die die Einladung bestätigt hatten. Einer hat angerufen, dass er sich verspätet. Andere fehlen unentschuldigt. Vera Baum führt die Interessenten in den Innenhof, von dort geht es durchs Treppenhaus mit 50er-Jahre-Geländer. In der Wohnung riecht es nach frischer Wandfarbe, von der Decke baumeln Glühbirnen in Baustellenfassungen.
Sofort wird fotografiert und mit dem Handy gefilmt, ein Mann zückt einen Meterstab. Einer fragt nach einem zweiten Stellplatz. Ein anderer will wissen, ob man an den Sockelleisten etwas ändern darf. Vera Baum sagt zur AZ: "Für mich ist es wichtig, dass ich in Kontakt komme mit den Interessenten – dass sie mich ansprechen."
Eine Besichtigung auf 40 Bewerbungen: So hart ist der Münchner Wohnungsmarkt
Der Mann, der nach den Sockelleisten gefragt hat, berichtet, dass er zum ersten Mal zu einer Besichtigung eingeladen wurde. Für über 40 Wohnungen habe er sich in den vergangenen Monaten beworben. Oft habe er nicht mal eine Antwort vom Vermieter bekommen. Ob es an seinem ausländisch klingenden Namen liegt? Er spricht perfekt Deutsch, ist bei einem Luftfahrtunternehmen angestellt. Mit seiner Frau und zwei Kindern lebt er in einer Drei-Zimmer-Wohnung rund 60 Kilometer von München entfernt.
"Wir wollen nicht mehr pendeln. Meine Frau arbeitet auch in München", erzählt er. Über die Wohnung sagt der Familienvater (30): "Eigentlich ein super Preis für München." Aber letztlich gefällt ihm das Ambiente des 50er-Jahre-Hauses nicht so.

Für die Vonovia spiele die Herkunft und Religion ihrer Mieter keine Rolle, sagt Olaf Frei. Bei dem Termin in der Rottmannstraße haben die meisten Interessenten Namen, die nicht nach deutscher Herkunft klingen.
Ein Vater ist dabei, der eine Erstwohnung für seine Zwillingssöhne (19) sucht. Die Nähe zur Uni ist perfekt, er hat selbst an der TU studiert. Seinem Sohn, der dabei ist und noch nicht genau weiß, was er studieren will, gefällt die Vier-Zimmer-Wohnung. Die Miete scheint für den Vater kein Problem zu sein.
Sehr angetan sind die Ärztin Krenare A. und ihr Mann, der IT-ler Ardit R. (beide 31). Sie arbeitet außerhalb Münchens, er im Herzzentrum als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Auch sie suchen schon lange nach einer neuen Bleibe. "Die Mieten waren immer zu hoch für uns." Sie leben zusammen in einer Wohnung im Hasenbergl, in die er vor sechs Jahren als Student eingezogen war. 1520 Euro zahlen sie da für 65 Quadratmeter.
Wer schnell ist und freundlich schreibt, hat die besten Chancen.
"Wir treffen uns gleich mal im Wohnzimmer", sagt Vera Baum und hält eine kurze Ansprache. Auf ihrem Tablet zeigt sie, wie die Einbauküche geplant ist. Und sie informiert darüber, wie es nun weitergeht. Wer ernsthaft interessiert ist, soll bis Freitag eine Mail und Selbstauskunft schicken. Die Schufa-Auskunft werde "automatisch geprüft" und koste nichts. Sie braucht die letzten drei Nettogehaltsnachweise, eine Kopie des Personalausweises und eine Mietschuldenfreiheitsbescheinigung.
"Man macht den Menschen Freude"
Nächste Woche will sie entscheiden, wer die Wohnung bekommt. Die Vonovia-Angestellte mag ihren Job. "Man macht den Menschen Freude", sagt sie.
Kommt es auch vor, dass Interessenten versuchen, sie zu bestechen? Vera Baum nickt. Manche locken mit Einladungen, auch einen Umschlag wollte man ihr schon zustecken, darin: 500 bis 1000 Euro. Dagegen sei sie immun. Sie entscheide anders, sagt Baum. "Ich schaue, wo es am dringendsten ist."
An eine Geschichte muss sie noch öfters denken. Eine Bewerberin mit einem Baby erzählte ihr, sie werde von ihrem Ex gestalkt. In der Schwangerschaft habe er ihr in den Bauch geschlagen. Die Frau brauchte dringend eine neue Wohnung und Adresse. Baum gab sie ihr. "Man hört auch viel Leid."

Ihr Plan, die Wohnung in der Rottmannstraße an eine Familie mit Kindern zu vergeben, geht allerdings nicht auf. Von den Familienvätern und -müttern meldet sich niemand zurück. Schließlich fällt ihre Wahl auf Ardit R. und Krenare A. Zwölf Tage nach dem Besichtigungstermin ruft Vera Baum den IT-ler an. Da ist er gerade in einem Meeting. R. zur AZ: "Wir hatten gar nicht mehr damit gerechnet. Wir freuen uns wirklich sehr! Am 1. Dezember ziehen wir um."
Die Vonovia wirbt damit, Menschen ein gutes, bezahlbares Zuhause zu ermöglichen. Doch es gibt auch immer wieder Kritik an Deutschlands größtem Immobilienkonzern. Laut Mietergewerkschaft sind die häufigsten Probleme: "dubiose" Betriebskostenabrechnungen und intransparente Mieterhöhungen nach Modernisierungen. Auch würden Mängel häufig erst nach vielen Monaten beseitigt. Vermieter sind eigentlich dazu verpflichtet, sich zeitnah darum zu kümmern.