Wohnung besichtigen? Erst mal 100 Euro zahlen!

Ein Makler verlangt von Interessenten eine üppige „Besichtigungs-Kaution“, wie er es nennt – und hält das für eine „faire Maßnahme“. Sogar der Maklerverband hält das für sittenwidrig
Myriam Siegert |
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München - Über ein Jahr lang hat Sina Schauer (Name geändert) eine Wohnung gesucht. Immer wieder hat sie das Internet durchforstet, ist zu Besichtigungsterminen gerannt – ohne Erfolg. Anfang April entdeckt sie wieder einmal eine für sie interessante Wohnung auf dem Internetportal „Immobilienscout24.de“.

„Gepflegtes Appartement in einer Stadtoase – zentrumsnah“, stand da. Eine Ein-Zimmer-Wohnung in Neuhausen, 40 Quadratmeter im Erdgeschoss, mit Terrasse und Zentralheizung. Kosten soll das Ganze 520 Euro kalt, zuzüglich Nebenkosten liegt die Wohnung laut Inserat bei 725 Euro.

Sina Schauer schreibt eine E-Mail über das Kontaktformular und bekommt von einem Makler eine Antwort, die sie so nicht erwartet hätte.

„Wie Sie sicherlich wissen, ist der Mietermarkt in München sehr angespannt, was auch die Nachfrage nach dieser Wohnung mit ca. 60 Bewerbungen widerspiegelt“, heißt es in der Mail, die der AZ vorliegt. „Damit es bei der Terminierung zu keinen Leerläufen kommt und Sie ihr ernsthaftes Interesse bekunden, bitte ich Sie, vorab eine Art ,Besichtigungs-Kaution’ in Höhe von 100 Euro auf mein Konto zu überweisen.“

Sina Schauer traut ihren Augen nicht: 100 Euro zahlen, um einen Besichtigungstermin zu bekommen?

Nicht ganz: In dem Schreiben führt der Makler aus: „Wenn Sie die Wohnung bekommen, wird diese Kaution auf die Provision angerechnet. Entscheidet sich der Vermieter für einen anderen Bewerber, überweise ich Ihnen die Kaution garantiert zurück. Sie verlieren also nichts!“ Und weiter: „Sollten Sie ohne Angaben eines triftigen Grundes zum vereinbarten Besichtigungstermin nicht erscheinen, verfällt die Kaution zu meinen Gunsten.“

Der Makler erklärt in der Mail auch seine Beweggründe: „Ich hoffe, dass Sie diese faire Maßnahme richtig verstehen. Sie hat zur Folge, dass sich hier von Anfang an die ,Spreu vom Weizen’ trennt und nicht ernsthafte Interessenten damit ausscheiden, was wiederum den ehrlichen Bewerbern eine größere Chance bietet.“

Für Sina Schauer ist die Sache damit erledigt. Dem Angebot, telefonisch einen Besichtigungstermin auszumachen, kommt sie nicht nach.

Allerdings zeigt sie die Mail ihrem Freund. Der ist darüber so erbost, dass er sich an die AZ wendet. „Es ist unglaublich, was die sich in Zeiten von Wohnungsnot so alles einfallen lassen“, findet er.

Anja Franz vom Mieterverein hat von solchen Praktiken schon gehört. „Solange der Makler die Besichtigungs-Kaution zurückzahlt, verstößt er nicht gegen das Makler-Gesetz“, meint sie. Moralisch verwerflich sei die Sache aber auf jeden Fall. „Da sieht man, wie hochnäsig der Münchner Mietmarkt geworden ist“, sagt Maximilian Heisler vom Bündnis Bezahlbares Wohnen. So etwas könne man sich nur in München erlauben.

„Ein völlig abwegiges Verfahren“, sagt auch der Sprecher des Maklerverbandes IVD, Stefan Kippes. Er sei empört: „So etwas habe ich noch nie gehört.“ Als die AZ ihm den Fall vorträgt, erkundigt er sich beim Hausjuristen. „Wir gehen davon aus, dass das ein Verstoß gegen das AGB-Gesetz und außerdem sittenwidrig ist. Der Knackpunkt für Kippes: „Die Leute haben keinerlei Garantie, dass sie das Geld wirklich zurück bekommen. In eine Mail kann man viel hineinschreiben.“ Sein Rat an Wohnungssuchende: „Auf solcherlei Angebote keinesfalls eingehen.“

Dem betreffenden Makler ist die Sache inzwischen offenbar peinlich. Er beteuert, es handle sich um ein Missverständnis. Alle Interessenten seien bereits informiert worden, dass es sich um einen Fehler handelte. Die Wohnung sei mittlerweile vermietet – ohne Zahlung einer Besichtigungs-Kaution. Seine Erklärung lautet: Er arbeite erst seit kurzem für das Maklerbüro, eine Kollegin habe ihm das Prozedere falsch erklärt. Bei der Frage, was denn das übliche Prozedere sei, windet er sich: Erst heißt es, man habe in der Vergangenheit wohl gelegentlich eine solche „Besichtigungs-Kaution“ erhoben. Später sagt er: „Die Kollegin hat von anderen Kollegen gehört, dass die das machen. Ich habe das wohl falsch gedeutet.“

Als die AZ mit dem Chef des Maklerbüros spricht, gibt der sich wütend. „Das ist definitiv nicht unsere Geschäftspolitik“, behauptet er entschieden. „So etwas gibt’s bei uns nicht.“ Es handle sich um einen bedauerlichen Alleingang des Mitarbeiters. Er werde der Sache nachgehen.

Sina Schauer hat mittlerweile eine Wohnung gefunden. Auch ohne eine Besichtigungs-Kaution zu zahlen.

 

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