Wo die Vokabeln zuhause sind - AZ hilft Kindern

Mitten in der Stadt fehlt es den Kindern oft nicht nur an Geld, sondern auch an den richtigen Vokabeln: Durch „Wortschatz“ bekommen siedie Chance, ihr Deutsch zu verbessern.
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So fleißig machen die Buben in der Grundschule Schwanthalerstraße ihre Hausaufgaben. Betreuerin Waltraud Stocker passt auf.
Gregor Feindt So fleißig machen die Buben in der Grundschule Schwanthalerstraße ihre Hausaufgaben. Betreuerin Waltraud Stocker passt auf.

Mitten in der Stadt fehlt es den Kindern oft nicht nur an Geld, sondern auch an den richtigen Vokabeln: Durch „Wortschatz“ bekommen siedie Chance, ihr Deutsch zu verbessern.

Eins, zwei, drei, vier – Winnie zählt konzentriert. Fünf, sechs, sieben. Dann schaut er in sein Schulheft, acht, neun, zehn. Bis zehn zählen – das mag für andere Achtjährige nichts Besonderes sein. Für Winnie schon.

Erst vor drei Monaten kam er mit seinen Eltern aus Bulgarien nach München und spricht nach dieser kurzen Zeit schon richtig gut Deutsch. Dass Winnie schon so weit gekommen ist, liegt an seinem Lerneifer, aber auch an „Wortschatz“. Dieses Kooperationsprojekt sorgt dafür, dass Winnie nach dem Schulunterricht in der Schwanthalerstraße Hilfe bei den Hausaufgaben bekommt.

„Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den Wortschatz der Kinder zu vergrößern und zu fördern“, sagt Projektleiterin und Bezirkssozialarbeiterin Gertrud Hilzensauer. Gegründet wurde es vor drei Jahren, von Sozialarbeitern des Sozialbürgerhauses Mitte, der Arbeiterwohlfahrt, des Stadtjugendamtes und der Initiativgruppe Interkulturelle Begegnung und Bildung e.V. (IG). „Wortschatz“ will Kindern einen guten Start ermöglichen. „Wir haben einfach gemerkt: Es fehlt was. Die Kinder brauchen Unterstützung“, sagt Fuad Hamdan von der IG.

„Wortschatz“ hat viele Kooperationspartner, alle liegen in der Schwanthalerstraße: Die städtische Kita und der Kindergarten, die Mittags- und Hausaufgabenbetreuung in der Grundschule und der IG-Hort, über den in der AZ bereits berichtet wurde. Hier in Münchens Mitte mangelt es nicht nur an Geld, den Kindern fehlen oft auch die richtigen Worte.

„Wir haben mit Jugendlichen zu tun, die scheitern, weil sie in der Kindheit nicht rechtzeitig gefördert wurden“, sagt Hilzensauer. Die Grundschule an der Schwanthalerstraße ist Münchens Schule mit dem höchsten Migrantenanteil. Viele Schüler sind erst seit Kurzem in Deutschland und haben sprachliche Defizite. Aber – das ist Hilzensauer wichtig – „Wortschatz“ ist nicht nur für Migrantenkinder da. Auch immer mehr deutsche Kinder haben Sprachprobleme.

Winnie ist eines von 38 Kindern, die von Montag bis Donnerstag nach der Schule betreut werden. Zuerst bekommen sie ein warmes Mittagessen in den Räumen der Pfarrei St.Paul. „Dort fehlt es an einer Spülmaschine und einem Teppich. Auch Spielmaterial fürs Herumtollen nach dem Essen bräuchten wir dringend“, sagt Hilzensauer. Erst kommen Spiel und Spaß, dann sind bis 15.30 Uhr die Hausaufgaben dran.

Psssst! In der Klasse von Waltraud Stocker ist es ruhig. Winnie und fünf andere Buben machen gerade ihre Hausaufgaben. „Viele Kinder üben ganz fleißig und machen riesige Forschritte“, sagt Stocker stolz. Seit ein paar Monaten ist die ehemalige Elternratsvorsitzende in der Hausaufgabenbetreuung engagiert. „Es ist auch für mich eine riesige Herausforderung.“

Dass Oma oder Opa aus einem Buch vorlesen – das kennen viele Schüler der Grundschule gar nicht. Deshalb gibt es in der Schule die Lesefüchse, das sind ehrenamtliche Helfer, die vorbeikommen und den Kindern vorlesen. Wer viel zuhört und auch selber liest, entwickelt ein gutes Gespür für die Sprache. Doch wie sollen Eltern ihren Kindern vorlesen, wenn sie selbst oft nur schlecht Deutsch sprechen?

Dass viele Kinder große Defizite haben, merken auch die Betreuerinnen im städtischen Hort und Kindergarten gleich nebenan. Hier werden 90 Kinder von zwei bis zwölf Jahren umsorgt, bekommen ein Mittagessen, Hilfe bei den Hausaufgaben, können basteln und spielen. „Fast alle haben einen Migrationshintergrund und große sprachliche Probleme“, sagt Erzieherin Judith Bucher.

Deshalb wäre eine Grundausstattung an Büchern dringend nötig. „Wir brauchen auch Bücher für Kleinstkinder.“ Für die Größeren wollen die Erzieherinnen auf Comics zurückgreifen. „Etwas anderes wollen sie oft nicht lesen. Schließlich geht es uns darum, dass sie überhaupt lesen.“

Neben Lesestoff mangelt es in der städtischen Kita und dem Kindergarten auch an Spielsachen, die zur Förderung der Sprache beitragen, aber auch an Bastelmaterial und Malpapier. „Wir versuchen, den Kindern zu helfen, wo die Eltern nicht helfen können“, sagt Bucher. „Der Bedarf ist hier eigentlich unendlich.“

Verena Duregger

Benötigte Summe für beide Projekte: 1800 Euro

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