Wird das Grauen gesühnt - oder ist er ab heute ein freier Mann?
MÜNCHEN - Am Dienstag fällt das Urteil gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Josef S. – seine Anwälte fordern Freispruch. Kann der 90-Jährige nicht wegen Mordes belangt werden, ist er ein freier Mann.
MÜNCHEN Seit dem 15. September 2008 wird gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Josef S. (90) vor dem Münchner Schwurgericht verhandelt – Dienstag soll das Urteil fallen. Der Ottobrunner ist angeklagt, im Juni 1944 als Offizier bei der Wehrmacht an einem Rachemord an 14 Italienern beteiligt gewesen zu sein. Das Massaker war unfassbar brutal: Laut Anklage sollen Wehrmachtssoldaten in Falzano die Cortona auf der Suche nach Partisanen vier Italiener erschossen haben, dann trieben sie elf weitere Menschen in ein Bauernhaus und sprengten das Gebäude. Nur ein 15-Jähriger überlebte.
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat Josef S. den Befehl zur Sprengung des Hauses gegeben – oder zumindest weitergeleitet. Sie fordert lebenslange Haft wegen 14-fachen Mordes. Die zentrale Frage: Welche Rolle spielte der Schreinermeister Josef S. bei dem Massaker? Er war Leutnant einer etwa 150 Mann starken Kompanie, die in Cortona statoniert war. Am 26. Juni 1944 ließ er den Einheimischen ein Fuhrwerk samt Pferd wegnehmen – eine Partisanengruppe attackierte daraufhin die Deutschen, ein Unteroffizier und ein Gefreiter starben.
Bei einer Befragung im Jahr 2005 konnte sich der Angeklagte an die beiden Leichen auch erinnern. Dass es daraufhin zu einem Racheakt kam mit der Sprengung des Hauses, bestritt Josef F. damals. Im aktuellen Prozess hat er überhaupt nicht geredet, seine Anwälte sprachen für ihn.
Auch die Aussagen weiterer Kriegsveteranen waren wenig erhellend: Keiner wollte sich daran erinnern können, wer den Befehl zur Sprengung gegeben hatte. Vermutlich hat es Absprachen zwischen JosefS. und seinen ehemaligen Kameraden gegeben.
Die Version des Angeklagten, er habe nichts gewusst, ziehen Militärhistoriker in Zweifel. Gemäß der Befehlsstruktur in der Wehrmacht muss Josef S. in das Massaker eingebunden gewesen sein – in seinem Haus in Ottobrunn wurde ein verräterisches Souvenir gefunden: Ein Foto von der Beerdigung der beiden Soldaten, die von den Partisanen erschossen worden waren.
Vor wenigen Wochen schließlich deutete sich eine Wende an: Eugen Sch., ein ehemaliger Mitarbeiter in der Ottobrunner Schreinerei, belastete Josef S. schwer. Der habe sich mit den Morden gebrüstet. Fünf weitere Zeugen konnten diese Vorwürfe aber nicht bestätigen.
Ein Militärtribunal in Italien hatte Josef F. 2006 in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. In München plädieren die drei Verteidiger des 90-Jährigen auf Freispruch. Wegen Mordes kann der 90-Jährige nur verurteilt werden, wenn gesicherte Mordmerkmale nachgewiesen werden. Dies dürfte wohl schwer möglich sein, es bleibt theoretisch eine Verurteilung wegen Totschlags. Ein Tatbestand, der allerdings nach 20 Jahren verjährt.