"Wenn man am Puls wohnt...": Das sagt Simon Pearce zur Späti-Diskussion in München

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"Das muss man sich mal vorstellen", sagt Simon Pearce über den Hype im Gärtnerplatzviertel. "Früher mussten die Mütter einen zwingen, Birkenstock anzuziehen. Und heute braucht man einen Türsteher, weil die Schlange vor der Tür vom Birkenstock-Laden so lange ist."
Ein Spaziergang mit Simon Pearce durchs Gärtnerplatzviertel
Der Mann kann Kabarett, er ist ziemlich lustig. Und so denkt man bei der Geschichte: Gut erzählt, aber vielleicht ein bisserl übertrieben. Und dann läuft man an einem ganz normalen Sommermittag unter der Woche mit Simon Pearce kurz danach am Birkenstock-Laden vorbei. Davor steht ein Mitarbeiter und dirigiert die Masse an Wartenden. Simon Pearce hat recht – und offenbar einen sehr wachen Blick auf Liebenswertes und Absurdes, hier, daheim in seinem Gärtnerplatzviertel.
Die AZ geht mit ihm spazieren, lässt sich von dem 44-Jährigen seine Lieblingsplätze zeigen, sich erklären, was ihn ärgert – und natürlich viele Geschichten erzählen, die er hier erlebt hat. Pearce geht nicht, Pearce schlendert – er genießt es offensichtlich, hier zu sein. Sein Herzens-Viertel ist eigentlich Haidhausen, doch seit sieben Jahren lebt er am Gärtnerplatz. An jeder Ecke grüßt ihn irgendwer. Pearce ist hier auch schon früher viel ausgegangen.

Und nicht nur das: In der Glockenbachwerkstatt hat er schon gerappt, da lebte er als Schüler noch in der Vorstadt. Im MC Müller hatte er lange eine Partyreihe – na ja, aufgelegt hat ein Spezl, Pearce, der Menschenfänger, hat die Leute angelockt. Irgendwann wurden sie so erfolgreich, dass sie in die Muffathalle umzogen (die alten Freunde durften trotzdem alle weiter kostenlos rein).
Erinnerungen an wilde Nächte im alten Glockenbach
Simon Pearce erinnert sich natürlich auch noch an Zeiten, als es noch ein bisserl wilder zuging im Viertel. Den Luxus-Turm "The Seven" nennt er ein Mahnmal – eine Schlafstadt für Superreiche, das ist eher nicht sein Idealbild für sein Viertel.
So muss er auch ziemlich herzlich sein Simon-Pearce-Lachen lachen, als er an der Ecke Fraunhofer-/Müllerstraße eine Geschichte erzählt aus der Zeit, als es die derbe Jede-Nacht-Offen-Bar Sunshine Pub noch gab. Er sei mit einem Spezl gegenüber zum Mittagessen gesessen, erzählt Simon Pearce. Da sei ein Mann aus dem Sunshine Pub gewankt und habe gefragt, wie viel Uhr es sei. Pearce: "Ein Uhr". Ernst gemeinte Gegenfrage: "Tags oder nachts?"

Bellevue di Monaco: Ein Ort mit Strahlkraft
Vorne am Bellevue di Monaco kommt Pearce so richtig ins Schwärmen. "Das ist einfach ein richtig leuchtendes Beispiel", sagt er. "Dass die Leute nicht irgendwo in einer Turnhalle sind, sondern hier mitten in der Stadt ein Wohnheim haben, Sprachkurse kriegen, eine Ausbildung machen können." Er mag das Café im Parterre – und betont, dass auch die Entstehungsgeschichte ein Musterbeispiel dafür ist, was Kunst- und Kulturleute schaffen können. "Ich werbe noch immer dafür, für das Bellevue zu spenden", sagt er.

Ärger über Radlständer und Erinnerungen an legendäre Clubs
Einige Meter weiter an der Frauenstraße wird Pearce ärgerlich – na ja, für seine Verhältnisse. Natürlich muss er trotzdem lachen, aber dass die Stadt vor dem Easy Tiger (der auch von einem Freund betrieben wird) Radl-Abstellplätze geschaffen hat, kann er tatsächlich nicht fassen. "Die ganze Straße!", ruft er in den Sommertag hinein, "keine Gastronomie!"
Und genau dort, wo der Schanigarten sein könnte, hätte die Stadt nun die Radlständer platziert! Die Bar selbst mag Pearce sehr gerne, sie erinner ihn an den legendären K&K-Club an der Reichenbachstraße ("nur ein bisschen kleiner").

Auf diesen K&K-Club, Mitte der Nullerjahre unter Münchner Studenten und sonstigen Freunden der Nacht legendär, kommt Pearce beim Spaziergang immer wieder zu sprechen. "K&K, X-Cess, Anti, am Ende noch ins Pimpernel, das war die Todesrunde", erinnert er sich an exzessive Nächte.
Doch Pearce ist keiner, der nur alten Zeiten, alten Läden hinterhertrauert. Städte würden sich nun mal verändern, sagt er. Und so eine Riesen-Schlange vorm Birkenstock-Laden ist ja irgendwie auch witzig. Er findet, dass immer noch viele charmante Läden aufmachen, nicht nur irgendwelche Ketten. Und geht im Viertel immer noch sehr gerne aus.
Simon Pearce über Spätis in München
Am Gärtnerplatz sagt er: "Hier zu wohnen und zu dem Viertel noch die Isar-Nähe, das ist schon Champions League." Die Debatten um ausufernden Lärm findet er absurd. "Mei, wir sind auch über 40, aber gehen ja auch mal noch raus. Und wenn man am Puls wohnt, mitten in München, ist halt auch was los. Wäre das nicht so, wäre es doch viel schlimmer."
Im Viertel gibt es inzwischen auch etliche Spät-Kioske, die in diesen Wochen so sehr in die Kritik geraten sind. Absurd, findet Pearce. "Ich hab mich wirklich gefreut, dass sie aufgemacht haben", sagt er vor seinem Lieblings-Kiosk in der Reichenbachstraße. "Wenn Leute aus anderen Städten angerufen haben, hab ich früher immer gesagt, wir treffen uns am Kiosk." Kurz darauf hätten die Leute noch mal angerufen und gefragt: "An welchem denn überhaupt?" Und dann habe man antworten müssen: "Wir haben nur einen, den an der Reichenbachbrücke?“
Früher hätte er immer das Argument gehört, dass die Kioske der Gastronomie schaden würden. "Das ist doch absurd, gibt es in Köln und Berlin keine Kneipen?"
Schlägerei am Holy Home
Kneipen gibt es auch hier in seinem Viertel nach wie vor viele. Pearce schwärmt zum Beispiel von den Drinks in der High-Bar an der Blumenstraße, ist da aber eigentlich gar nicht so oft. "Ich bin eher der Bierdimpfl", sagt er.
Und Bier, das trinkt er seit Jahrzehnten im Holy Home direkt am Gärtnerplatz. Einmal brachte 1860-Fan Pearce auch Ex-Löwen-Spieler Fabian Johnson hierher. "Ich hatte ihm gesagt: Komm, ich zeig dir mal das normale Leben", sagt Pearce. Das ging schief. Direkt hinter ihnen habe sich eine wüste Schlägerei entwickelt – das einzige Mal in den Jahrzehnten, dass Pearce sowas an diesem friedlich-alternativen Ort erlebt hat. "Hinterher meinte Fabian: 'Vielleicht möchte ich doch kein normales Leben'", sagt Pearce und muss schon wieder ziemlich lachen.

Pizza auf die Hand und Hemden von "Hund sanns scho"
Am Holy Home mag er den etwas rauen Charme – und die Bodenständigkeit. "Ein Freund hat mal gesagt, das ist eine Kneipe, in der keiner blöd schaut, wenn einem der Kopf auf den Tresen knallt, da ist was dran."
Vorne am Kinky Slice schwärmt er von Pizzastücken auf die Hand (nur schade, dass der Laden am späten Abend nicht offen habe), der Betreiber ist ein Sohn von einem alten Freund seines Vaters. "Er lässt mich einfach nicht zahlen", sagt Pearce. Noch ein paar Häuser weiter ist das "Hund sanns scho", da kauft Pearce seine Hemden – und auch der Trachtenhut kommt hier aus der Reichenbachstraße.

Zwischen Ritterrüstung und Kettenhemd: Pearce liebt das Skurrile
Doch Pearce mag nicht nur bayerische Tradition, sondern auch die skurrilen, abseitigen Dinge. Und von denen gab und gibt es in diesem Viertel immer viel zu sehen. Dass etwa der Ritterrüstungsladen in der Thalkirchner Straße jahrzehntelang durchgehalten hat, das kann er immer noch nicht ganz fassen. "Da kann es doch nicht um Laufkundschaft gehen! Wer sagt denn spontan: Okay, ich kaufe mir jetzt mal ein Kettenhemd?"
Vielleicht ja jemand wie Simon Pearce. Jemand, der es liebt, sich von diesem bunten Viertel inspirieren zu lassen – und dabei auf allerlei lustige Ideen kommt.
Das ist Simon Pearce
Simon Pearce kommt 1981 in München zur Welt, wächst aber im Vorort Puchheim auf. Seine Mutter ist die Volksschauspielerin Christiane Blumhoff, sein Vater Charles Bioudun Pearce, ein Restaurantbesitzer. Simon Pearce studiert zunächst Lehramt, bricht das Studium aber ab, um auf die Schauspielschule zu gehen. Er lebt in jenen Jahren wie fast seine ganze Familie in Haidhausen. Aus München wollte er nie weg, hat er der AZ mal erzählt. Er ist als Schauspieler, Synchronsprecher, Comedian und Radiomoderator tätig.

Simon Pearce tritt am 18. September um 20 Uhr mit seinem Programm "Hybrid" im Lustspielhaus aus. Karten gibt es noch ab 29 Euro unter www.muenchenticket.de
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