Wenn der Blick die Täter verrät

Herbsttagung für Forensische Psychiatrie in München: Mit neuen Methoden erstellen Psychiater präzise Prognosen über die Gefährlichkeit von psychisch kranken Sexual- und Aggressions-Straftätern.
von  Abendzeitung
Professor Norbert Nedopil
Professor Norbert Nedopil © Ronald Zimmermann

MÜNCHEN - Herbsttagung für Forensische Psychiatrie in München: Mit neuen Methoden erstellen Psychiater präzise Prognosen über die Gefährlichkeit von psychisch kranken Sexual- und Aggressions-Straftätern.

Gerade bei spektakulären Straftaten ist der Bedarf an rationalen Erklärungen für das Unfassbare groß. Besonders dann, wenn Kinder zu Opfern werden und sich die Frage stellt, wie groß die Gefahr eines Rückfalls von psychisch kranken Gewalt- und Sexualstraftätern ist. Darüber diskutieren bei der 23. Münchner Herbsttagung für Forensische Psychiatrie seit gestern über 250 Fachleute. Die Tagung dauert noch bis Sonntag und ist die größte und traditionsreichste Veranstaltung ihres Faches im deutschsprachigen Raum . Die AZ stellt die erfolgreichsten neuen Behandlungskonzepte vor.

Sehr genaue Prognosen

„Moderne Methoden ermöglichen uns heute sehr genaue Prognosen und Risikoszenarien für Sexualstraftäter“, sagt Norbert Nedopil, Leiter der Forensik an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München.

„Da solche Täter häufig möglichst viel von sich verbergen wollen, setzen wir Verfahren ein, bei denen sich die Betroffenen nicht verstellen können“, erklärt Nedopil. Dazu gehört die „Blickregistrierung“ zur „impliziten Erfassung“ der Gefährlichkeit von Tätern, die Kinder sexuell missbraucht haben: Die Reaktionsmuster und Reaktionszeiten auf Bildserien (darunter auch Fotos von Kindern) geben objektiv Auskunft über den Zustand eines Täters und auf die Frage, wie wahrscheinlich ein Rückfall ist.

Wo verweilt der Blick am längsten?

Denn der Blick lässt sich willentlich kaum steuern und gibt deshalb sehr viel preis: Auf welches Bild schaut man als erstes? Wo verweilt der Blick am längsten? Wer in seiner Phantasie Kinder und Sex miteinander verbunden hat, reagiert unweigerlich wesentlich schneller „positiv“ auf solche Bildverknüpfungen.

In der Therapie hat sich viel getan

Aber auch bei der Therapie hat sich viel getan: „Vor zehn Jahren war die Behandlung mit Artzney in der forensischen Psychiatrie noch die Ausnahme.“, sagt Nedopil. „Heute setzen wir mit Einverständnis der Patienten bereits in 50 Prozent der Fälle zusätzlich zur Psychotherapie Hormonpräparate zur Unterdrückung des Sexualtriebs und zunehmend auch Antidepressiva ein.“ Denn die haben einen zweiten Effekt: „Sie verhindern bei psychischen Krisen der Betroffenen erneute Gewaltausbrüche“, sagt Nedopil.

Besonders erfolgreich ist auch die ambulante „Nachsorge“ und kontrollierte Fortsetzung der Therapie von Sexual- und Aggressionsstraftätern nach der Haft. „Seit 1993 haben wir eine solche Einrichtung für München gefordert“, sagt Nedopil. Kürzlich wurde sie endlich eröffnet (AZ berichtete). Untersuchungen beweisen: Eine konsequente Nachsorge senkt die Rückfallquote sehr effektiv um 30 Prozent.

Eine aktuelle Studie zeigt, dass nur 5,8 Prozent der psychisch kranken Täter, die nach dem Maßregelvollzug weiterhin betreut werden, nach fünf Jahren wieder rückfällig geworden sind. Bei „normalen“ Straftätern sind es 30 bis 40 Prozent.

Michael Backmund

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