"Wenn, dann jetzt"

Die Münchner Grünen sorgen für Turbulenzen: Boris Schwartz will Referent werden, Sigi Benker Chef der Altenheime. Kann der das? Oder ist das Rathaus ein Selbstbedienungsladen? Die AZ fragt nach  
von  Willi Bock
Siehfried Benker, Fraktionschef der Münchner Rathaus-Grünen.
Siehfried Benker, Fraktionschef der Münchner Rathaus-Grünen.

Abendzeitung: Herr Benker, die jüngste Postenjagd bei den Rathaus-Grünen hat ja für reichlich Ärger gesorgt.

SIEGFRIED BENKER: Das war keine Postenjagd. Nach dem überraschenden Weggang unserer Kommunalreferentin Gabriele Friderich nach Bremen haben wir festgelegt, dass wir Boris Schwartz als Nachfolger vorschlagen. Bei der Vorstellung der Kandidaten war er eindeutig der Qualifizierteste.

Dem möglicherweise die formale Voraussetzung fehlt.

Der Oberbürgermeister hat das so formuliert: „Das ist sehr auf Kante.“ Das ist richtig, das wussten wir auch. Aber wir gehen fest davon aus, dass er die Voraussetzungen erfüllt.

Sie selbst wurden jetzt zum Chef der Altenheime gewählt. Da heißt es in der Stadt: Das machen die beiden alten Herren nur, weil sie fürchten, beim nächsten Mal von der Jugend nicht mehr für den Stadtrat aufgestellt zu werden.

Ich habe den Eindruck, dass ich auch beim nächsten Mal wieder aufgestellt worden wäre. Es gibt keinen Hinweis auf das Gegenteil.

Sie waren nicht immer einer Meinung mit der Basis. Da hat es zuweilen heftig geknirscht.

Das befähigt einen auch, größere Unternehmen zu leiten, dass man Dinge durchsetzen kann, die andere vielleicht nicht haben wollen. [/INTERV-TEXT]Die Basis mag schon Leute, die zu ihren Inhalten stehen. Jetzt bin ich fast 55 Jahre alt, und wenn ich noch einmal etwas anderes machen will, dann jetzt.

Warum soll das unbedingt bei der Stadt sein? Weil Sie da als Regierungspartei mehr Einfluss darauf haben?

Nein. Die Altenpflege ist ein Bereich, in dem ich engagiert bin und wo ich mich gut auskenne. Ich bin von Anfang an im Aufsichtsrat der Münchenstift und habe in diesen 16 Jahren alle Themen mitbekommen.

Außerhalb des Rathauses kennt man Sie kaum im Sozialbereich, mehr als den Ur-Linken, der alle wichtigen demokratischen Demonstrationen angeführt hat.

Ich bin von Beruf Sozialpädagoge und hatte als Schwerpunkt Jugend, Familie und Altenhilfe. Ich habe 20 Monate Zivildienst auf einer geschlossenen psychiatrischen Station absolviert und mein Studium mit der Pflege von Schwerstbehinderten finanziert. Das ist lange her, stimmt. Aber seit 1984 habe ich im Rathaus in vielen Funktionen immer mit sozialen Themen gearbeitet. Seit 1996 bin ich auch Koreferent des Sozialreferates. Ich habe viel zu den Themen stationäre Pflege angestoßen, so dass ich sagen kann: Ich kann die Geschäftsführung von Münchenstift übernehmen.

In der Fraktion haben Sie zwölf Leute, bei Münchenstift 1600. Das ist ein großer Unterschied.

Das ist richtig. Ich werde daher auch eine Übergangszeit brauchen, damit ich mir alle Bereiche besser anschauen kann. Es geht aber auch darum, die Struktur des Unternehmens zu kennen. Und das tue ich.

Was sind Ihre Ideen?

Wir brauchen in einer differenzierter werdenden Stadtgesellschaft auch differenziertere Angebote in den Altenheimen. Münchenstift wurde zum Flagschiff für die Altenpflege, weil wir auf neue Herausforderungen reagiert haben.

Was gehört in der Zukunft dazu?

Es gibt keine Gruppe, die so stark wächst wie die alten Migranten. Die wird in den nächsten zehn Jahren um über 10<TH>000 Personen in München zunehmen. Da müssen wir überlegen, welche Angebote wir machen können, damit sie in die Häuser gehen und dort auch angenommen werden.

Und die „neuen Alten“?


Wir haben heute eine sehr viel individuellere und selbstbewusstere Generation als früher. Die 68er sind 68 geworden und kommen mit ihren Vorstellungen in die Häuser. Wir haben auch eine selbstbewusstere Schwulenszene. Die haben andere Vorstellungen, wie sie im Alter leben und gepflegt werden möchten. Darauf zu reagieren, ist eine Herausforderung.

Welche Probleme sind noch neu?

Zum ersten Mal in der Nachkriegszeit kommen alt gewordene Behinderte in die Altenheime. Nun ist Behinderung für Münchenstift nichts Neues, aber diese Gruppe bringt neue Herausforderungen mit sich. Denn Menschen, die ein Leben lang behindert waren, haben vielleicht andere Ansprüche und Erwartungen als jemand, der erst im Alter behindert geworden ist.

Warum kommt diese Gruppe erst jetzt?

Von 1933 bis 1945 wurde in Deutschland eine ganze Generation Behinderter von den Nazis ermordet. Die Nachgeborenen kommen jetzt in den Altenheimen an.

Wenn man 15 Jahre im Aufsichtsrat der Münchenstift war, wieviel bekommt man von den Problemen in den Häusern mit?

Das war für mich immer mein wichtigster Aufsichtsrat, auch weil es dort um ein bedeutsames, gesellschaftspolitisches Thema geht: Wie geht diese Gesellschaft mit ihren Älteren um? Was kann eine Stadt wie München tun, damit die Altenpflege gut organisiert ist? Alle diese Fragen schlagen im Aufsichtsrat auf und werden immer wieder diskutiert. Dabei habe ich den Wandel vom früheren Verwahren zur modernen Betreuung miterlebt.

Haben Sie eigene Erlebnisse in der Familie?

Ich rede über private Dinge nicht gerne. Mein Vater hatte früh einen Schlaganfall und ist von meiner Mutter bis zu seinem Tod gepflegt worden. Meine Mutter hat seit rund drei Jahren Alzheimer und lebt in einer betreuten Station der Münchenstift.

Was ist Ihr Ziel als Münchenstift-Chef?

Das Ziel muss sein: Dass die Menschen wirklich zuhause bleiben können bis zum Tod. Dazu gehört auch eine ambulante Betreuung. Aber auch, dass man den Menschen die Angst nimmt, rechtzeitig ins Altenheim zu gehen. Dieser Übergang beschäftigt mich sehr. Dafür müssen Häuser qualitativ hervorragend sein. So dass den Menschen klar ist, dass man im Heim wohnt und nicht abgeschoben ist. Interview: Willi Bock

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