"Welch glückliche Stadt“: Münchner Ex-Bürgermeisterin rechnet mit Eisbach-Debatte ab

Alt-Bürgermeisterin Christine Strobl spricht im großen AZ-Interview über ihr Leben nach dem Amt, erklärt, warum sie in der SPD wieder eine Rolle spielen kann und wann sie sich über ihre Nachfolger im Rathaus wundern muss. Außerdem kritisiert sie die Münchner Prioritäten – und meint damit die Debatte um die Eisbachwelle.
Felix Müller
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Sie ist wieder da: Christine Strobl ist in der Münchner SPD wieder wahrnehmbar.
Sie ist wieder da: Christine Strobl ist in der Münchner SPD wieder wahrnehmbar. © Daniel Loeper

Im Café am Scheidplatz kennt man Christine Strobl. Zu ihren Rathaus-Zeiten war die langjährige Bürgermeisterin keine von denen, die man viel in der Gastronomie gesehen hätte. Der AZ hat sie mal gesagt, wenn man sich in der Verwaltung ehrenamtlich engagieren könnte, würde sie da als Rentnerin einfach weiterarbeiten. Strobl war eben Typ ernsthafte Aktenfresserin, keine, die die große Bühne gesucht hat – oder Restaurants und Cafés.

Aber jetzt hat sie Zeit, kommt von ihrer Wohnung häufiger hier rüber. Und bestellt zielgenau einen Earl Grey mit Zitrone und ein Stückerl Apfel-Mohn-Streuselkuchen.

AZ: Frau Strobl, wie geht es Ihnen?
CHRISTINE STROBL: Natürlich habe ich das ein oder andere kleine Wehwechen. Man merkt, dass der Zahn der Zeit an einem nagt, aber doch: Mir geht es gut.

Jahrelang waren Sie politisch nicht wahrnehmbar. Heuer haben Sie die Neuaufstellung der SPD-Stadtratsliste koordiniert, sind beim Parteitag aufgetreten. Wie kommt es, dass Sie plötzlich wieder eine Rolle spielen wollen?
Als ich im Rathaus aufgehört habe, war ja Corona. Vor allem aber finde ich, dass man sich immer erst mal besser zurücknimmt, nachdem man irgendwo aufhört. Dazu kam, dass ich privat sehr gebunden war. Meine Mutter hat bei mir gelebt und war zum Schluss ein Pflegefall. Ich konnte zeitweise nur zwei bis drei Stunden die Wohnung verlassen, an manchen Tagen gar nicht.

Jetzt aber sind Sie zurück. Und haben vor, in den Debatten der Stadt wieder eine größere Rolle zu spielen?
Das weiß ich nicht. Aber wenn die SPD mich braucht, bin ich gerne da. Vielleicht überlege ich mir auch selbst was, wie ich die Partei unterstützen kann. Aber eher an der Basis, als in der großen Öffentlichkeit.

"Finde es sehr schön, dass sich junge Menschen für die SPD engagieren"

Was für einen Eindruck haben Sie bei der Parteiarbeit dieses Jahr gewonnen, von der jungen Garde, Ihren Nachfolgerinnen und Nachfolgern?
Einen guten. Ich finde sehr schön, dass sich diese jungen Menschen für die SPD engagieren.

Sie kommen aus ganz anderen Zeiten, inzwischen scheint die SPD kaum noch eine Chance zu haben, Grüne und CSU in der Stadt einzuholen. Wie sehr schmerzt es, dass die SPD nur noch die Nummer 3 ist?
Das schmerzt, ganz klar.

Werden Sie in den nächsten Monaten Wahlkampf machen?
Ja, ich werd schon ein bisserl was machen.

Zum Beispiel?
Mal schauen, für was ich angefragt werde.

Also nicht Kugelschreiber verteilen in der Früh am U-Bahnhof?
Doch, warum nicht? Das habe ich auch schon gemacht.

Sie haben früher im Olympischen Dorf gewohnt, leben nun nebenan in der Pressestadt, waren Aufsichtsratsvorsitzende des Olympiaparks. Wie sehr haben Sie sich gefreut über das "Ja" beim Olympia-Bürgerentscheid?
Vor allem war ich überrascht. Ich hatte es knapper vermutet.

Zu Olympia: "In meiner Brust schlagen da zwei Herzen"

Wie schaut man in der Nachbarschaft am Olympiapark auf die Bewerbung?
Ich glaube, vor allem ist das alles noch sehr weit weg. Mein Eindruck ist, dass das die Menschen noch nicht sehr beschäftigt. Ich meine, das sind noch 20 Jahre! Da wäre ich 84! (lacht)

Wenn es geht, gehen Sie aber noch hin?
Natürlich!

Christine Strobl im Gespräch mit AZ-Lokalchef Felix Müller.
Christine Strobl im Gespräch mit AZ-Lokalchef Felix Müller. © Daniel Loeper

Als ehemalige Sozialpolitikerin verstehen Sie auch die Kritiker, die sich sorgen, dass für so ein Großprojekt Riesen-Summen da sind, aber dann anderes runterfällt?
Natürlich. Auch in meiner Brust schlagen da zwei Herzen. Ich finde Olympia toll, ganz klar. Aber ich sehe es auch kritisch. Es wird schon in der Bewerbungsphase viel Geld kosten. Die Finanzlage ist sehr angespannt. Und: München ist eh schon sehr attraktiv. Olympia trägt dazu bei, dass der Druck noch größer wird – wenn die Bewerbung denn am Ende erfolgreich ist.

Wenn die Politrentnerin Christine Strobl 2025 durch die Stadt gelaufen ist, was ist ihr aufgefallen?
Baustellen!

Baustellen?
Ja, vor allem in der Innenstadt. Wie es aussah, wenn man vom Hauptbahnhof zum Marienplatz gelaufen ist, das war teilweise schon gespenstisch. Jetzt ist es rund um die Benko-Ruinen zumindest ein bisschen besser geworden. Dann nehmen Sie den Hauptbahnhof und schauen Sie, wie es mit Stuttgart 21 läuft. Ob ich hier die Fertigstellung noch erlebe, da bin ich nicht sicher.

Verändert Ihr Älterwerden den Blick auf die Stadt?
Ja klar, wenn man älter wird, merkt man viele Sachen mehr. Für mich waren es aber vor allem auch viele Situationen mit meiner Mutter, die am Ende längere Strecken nur mit dem Rollstuhl zurücklegen konnte. Manches mussten wir einfach mit dem Auto machen, es geht nicht anders.

"Privat habe ich nur Kontakt zu zwei, drei ehemaligen KollegInnen"

Was folgt aus solchen Erfahrungen?
Ich finde zum Beispiel auch toll, wenn irgendwo gar keine Autos mehr fahren. Aber das kann man, wenn man jung ist und weit laufen kann auch leicht toll finden. Wenn die Leute nicht mehr gut zu Fuß sind, ist die Lage anders. Das gilt übrigens auch mit Kindern. Meine Tochter war mit ihrem Doppellkinderwagen viel bei sich in Allach unterwegs. Da gibt es dann keine Rolltreppe an der S-Bahn und der Lift ist monatelang einfach kaputt.

Wie alt sind Ihre Enkel?
Die Kinder sind eineinhalb und fast drei Jahre alt.

Wie viel sehen Sie die beiden?
Ziemlich oft! Sie wohnen nicht weit weg. Und ich sehe sie oft und sehr gerne.

Wie kann man sich den Kontakt zwischen den Münchner Polit-Rentnern vorstellen? Sind Sie bei Christian Ude zum Frühstück und treffen dann Hep Monatzeder zum Kuchen?
Nein, überhaupt nicht. Privat habe ich überhaupt nur Kontakt zu zwei, drei ehemaligen KollegInnen, mit denen ich öfter ins Kino oder Theater gehe.

Und die anderen?
Treffe ich mal bei der Kirchweihfahrt der Stadt. Und wir haben einen Stammtisch der ehemaligen SPD-Mandatsträger. Da haben wir uns einmal im Monat im Ratskeller getroffen. Jetzt müssen wir einen neuen Ort suchen.

Verfolgen Sie die aktuelle Rathaus-Politik noch?
Ja. Über die Medien. Und ich lese ab und zu die Rathaus-Umschau.

"Was mich immer wieder stört, ist die Schwerpunktsetzung"

Wann zucken Sie da zusammen?
Was mich immer wieder stört, ist die Schwerpunktsetzung.

Ein Beispiel?
Ich hab nichts gegen das Thema Eisbachwelle. Der tragische Todesfall ist ein anderes Thema. Aber die Aufmerksamkeit für die Wiederherstellung, das war schon überbordend. Welch glückliche Stadt, die solche Sorgen hat...

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Warum setzt die Politik so stark auf solche Themen?
Die Themensetzung in der Politik wird immer mehr durch die sozialen Medien befeuert. Ich denke aber, man muss nicht immer allem nachgeben, nicht immer alles gleich beantworten, zu allem sofort Position beziehen. Manchmal wär es vielleicht besser, noch mal einen Tag zu überlegen.

Sie waren Sozialbürgermeisterin. Nach den Wahlen könnten wieder Kindergartengebühren eingeführt werden. Wie schlimm finden Sie das?
Gar nicht grundsätzlich. Ich habe den kostenlosen Kindergarten für alle immer kritisch gesehen. Ich finde, wer in München sehr gut verdient, kann auch 100 oder 150 Euro für einen Kindergartenplatz zahlen. Mir wäre am liebsten, man hätte da wieder eine Staffelung und er bliebe kostenlos für die Familien, die ein geringes Einkommen haben.

Stichwort: zu teures München. Die Mieten steigen und steigen. Wenn Christine Strobl noch mal 20 wäre, würden Sie hierbleiben?
Ich würde mir schon sehr gut überlegen, ob ich wirklich hier studieren will. Trotz exzellenter Universitäten. Wenn man vom Elternhaus nicht so viel Unterstützung bekommen kann – wie es bei mir ja war – muss man sich das gut überlegen. Andererseits: Wenn man aus München kommt, kann man ja vielleicht auch länger daheim wohnen, wie ich es auch gemacht habe.

"Auf die Idee wäre ich als Studentin nicht gekommen, da hatte ich andere Sorgen"

Dieses Jahr haben Münchner Studenten demonstriert – weil sie auch nach 20 Uhr Chips und Bier am Kiosk kaufen wollten.
Absurd. Also auf die Idee wäre ich als Studentin nicht gekommen, da hatte ich andere Sorgen.

Sie sind zu ganz anderen Zeiten aufgewachsen, im damals noch viel bodenständigeren Glockenbachviertel.
Ab und zu bin ich noch da. Mei, es wird halt immer schicker. Hier wird saniert, da wird saniert. Für Leute, die ganz normal berufstätig sind, ist es schwierig mit dem ganzen Rambazamba. Irgendwie seltsam, dass es da Leute gibt, die immer von Diversität schwärmen.

Wird das Viertel gar nicht diverser, sondern weniger divers?
Ein Freund von mir hat neulich, als wir beim Pink Christmas waren, auf jeden Fall gewitzelt: Mei, hier sind inzwischen ja wahnsinnig viele Heten (lacht). Insgesamt glaube ich, dass dort inzwischen auch viel weniger Ältere wohnen, kaum noch Alteingesessene, früher waren dort ja auch sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund. Das würde zu Diversität ja auch alles dazugehören.

Frau Strobl, anders als andere Münchner Polit-Rentner neigen Sie ja gar nicht zu öffentlichen Ratschlägen. Machen Sie doch für die AZ mal eine kleine Ausnahme: Auf welche Gefahr wollen Sie die junge Garde unbedingt hinweisen?
Die SPD muss sich auf die Themen fokussieren, die die Menschen intensiv beschäftigen. In München heißt das vor allem: Mieten und Wohnen, wie komme ich möglichst schnell und reibungslos von A nach B, eine gute Versorgung im Krankheitsfall, einen Kita-Platz, gute Arbeit. Ja, für die eine oder die andere Gruppe sind auch andere Themen wichtig. Aber erst mal sollten wir uns fragen: Was beschäftigt die Mehrheit und wie kriegen wir es hin, dass unsere Stadt funktioniert.


Die 64-jährige SPD-Politikerin wuchs im Glockenbachviertel auf. Sie war von 2006 bis 2020 Bürgermeisterin der Stadt und besonders für Schul- und Sozialthemen zuständig. 2025 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz.

 

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