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Weil Amt schlampt: 93-Jähriger Münchnerin droht Zwangsvollstreckung – die AZ konnte helfen

Weil sich zwei Behörden nicht abstimmen, gerät die Rentnerin Waltraud K. aus Giesing in eine existenziell bedrohliche Situation. Die AZ kann der allein lebenden, pflegebedürftigen Frau helfen. 
Nina Job
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Waltraud K. hatte früher ein Schneideratelier. Heute reicht ihre kleine Rente nicht zum Leben, sie bezieht Grundsicherung. Durch behördliche Fehler blieb die Unterstützung monatelang aus.
Waltraud K. hatte früher ein Schneideratelier. Heute reicht ihre kleine Rente nicht zum Leben, sie bezieht Grundsicherung. Durch behördliche Fehler blieb die Unterstützung monatelang aus. © Nina Job

Es ist kaum ein Fleckerl mehr frei an den Wänden in ihrer kleinen Wohnung in Obergiesing. Waltraud K. war immer kreativ: Überall hängen selbst gemalte Bilder, viele mit Blumen. Von ihren Lieblingsmotiven hat sie Karten drucken lassen, einige von ihnen liegen auf einem Stapel neben ihrem Pflegebett. Waltraud K. verschenkt die Karten gern aus Dankbarkeit an die Pfleger oder an ihren Hausarzt und dessen Tochter, wenn sie ihr einen Hausbesuch abstatten.

Malen kann die 93-Jährige heute nicht mehr. "Meine Hand ist kaputt", erzählt sie der AZ. Und nicht nur das. Die Münchnerin ist nach einem schweren Unfall chronisch krank, sie leidet außerdem unter unheilbaren Gleichgewichtsstörungen. Nach mehreren schweren Stürzen – bei einem brach sie sich den Oberschenkelhals – kam sie nie wieder richtig auf die Beine. "Ich habe seit Monaten nicht mehr das Haus verlassen können", berichtet sie.

Die 93-Jährige hat Pflegestufe 2, ihre Wohnung konnte sie schon lange nicht mehr verlassen.
Die 93-Jährige hat Pflegestufe 2, ihre Wohnung konnte sie schon lange nicht mehr verlassen. © Nina Job

Waltraud K. hatte früher ein kleines Schneideratelier für Maßanfertigungen – "mit drei bis vier Arbeitskräften", erzählt sie stolz. Zuletzt arbeitete sie mit ihren Mitarbeiterinnen in ihrem Wohnzimmer in Giesing. Das ist lange her. In einem Nebenraum stapeln sich noch Schachteln mit Nähutensilien, Stoffen und Schnittmustern. Waltraud K. kann den Raum gar nicht mehr betreten. Die 93-Jährige hat Pflegegrad 2, schafft es nur noch mit viel Mühe und unter Schmerzen ins Bad oder in die Küche. Wenn man sie besuchen möchte, muss man lange warten, bis sie es aus dem Bett zum Rollator und bis an die Tür geschafft hat.

Obwohl die Rentnerin jahrzehntelang gearbeitet hat, reicht ihr im Alter das Geld nicht. Sie bekommt nur 534,94 Euro Rente. Allein die Miete beträgt 880 Euro. Die 93-Jährige ist auf Grundsicherung angewiesen – die ihr auch bewilligt wurde. Doch durch einen behördlichen Fehler blieb das Geld plötzlich aus. "Seit September habe ich keinen Pfennig mehr bekommen", sagt Waltraud K.

Erst kamen Mahnungen, dann die Drohung mit dem Gerichtsvollzieher.

Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Bereits nach kurzer Zeit wurden Abbuchungen von ihrer Bank zurückgewiesen, da das Konto überzogen war. Besonders unerbittlich trat der Beitragsservice von ARD und ZDF auf. Die Einrichtung treibt für die Öffentlich-Rechtlichen den Rundfunkbeitrag (GEZ) ein.

Bis August war Waltraud K. wegen ihres geringen Einkommens von der Rundfunkgebühr befreit. Jetzt kamen plötzlich Mahnungen, dann Anfang Dezember per Post eine Androhung zur Zwangsvollstreckung.

Die 93-Jährige hat keine Verwandten, keine Freunde mehr, die sich kümmern könnten, kein Internet. In ihrer Not wusste Waltraud K. keinen anderen Rat, als sich an die AZ zu wenden. "Ich weiß nicht, was ich tun soll", sagte die Rentnerin verzweifelt am Telefon. "Bitte helfen Sie mir." Ihr Lebensmut hatte sie verlassen.

"Wir bedauern das ausdrücklich."

Die AZ hakte nach. Wie der Bezirk Oberbayern mitteilte, war für Frau K. zunächst die Stadt München zuständig, nämlich das Sozialbürgerhaus Giesing-Harlaching. Als Waltraud K. ambulante Pflegeleistungen beantragte, wurde der Bezirk Oberbayern für sie zuständig. Doch die Abstimmung zwischen den beiden Behörden ging offensichtlich schief.

Susanne Büllesbach, persönliche Referentin von Bezirkstagspräsident Thomas Schwarzenberger zur AZ: "Leider kam es im vorliegenden Fall zu Verzögerungen beim Zuständigkeitsübergang, welche wir ausdrücklich bedauern." Dies sollte nicht passieren, "weil es ja wirklich um Personen geht, die darauf angewiesen sind, dass Zahlungen pünktlich kommen". Man habe interne Abläufe nachverfolgt, um "zeitverzögerte Bearbeitungen in solchen Fällen zukünftig zu vermeiden".

Bezirk Oberbayern spricht von einem "Einzelfall" 

Nun sprachen die zuständigen Stellen miteinander – und plötzlich ging alles ganz schnell. Am 5. Dezember teilte der Bezirk mit, man habe am selben Tag "die Grundsicherung rückwirkend bewilligt". Die Zahlungen an Frau K. wurden angewiesen. Und auch die Sache mit dem Rundfunkbeitrag und der Androhung, dass der Gerichtsvollzieher kommt, scheint vom Tisch. Der Bezirk kündigte an, sich um die Befreiung zu kümmern. Demnach muss Waltraud K. auch weiterhin gar keinen Rundfunkbeitrag zahlen.

Wie häufig solche "Missverständnisse" vorkommen zwischen Behörden, die Betroffene in existenzielle Not bringen können, kann wohl niemand sagen. Der Bezirk Oberbayern spricht von einem "Einzelfall". Waltraud K. jedenfalls ist sehr erleichtert: "Ich bin Ihnen unendlich dankbar."

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  • Monika1313 vor 5 Stunden / Bewertung:

    Jaja, der berühmte Einzelfall, der täglich 100fach vorkommt. Traurig aber wahr.
    Wenn sich dann die Zeitung einschaltet, dann geht es meistens ganz schnell, dass sich der Einzelfall in Wohlgefallen auflöst.

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  • Ch_Muc vor 10 Stunden / Bewertung:

    Wenn Betroffene mit ihrer Probleme nicht weiterkommen können, weil Gegenstelle sich nicht große Mühe geben, Schulter zucken, stur stellen, auf ahnungslos stellen, wenden sie sich an Zeitungen, Zeitschriften (Computer, Internet etc). Kaum, daß sie sich bei der Gegenstellen melden, werden Betroffenen relativ schnell geholfen. Es kann doch nicht sein, dass sich die Gegenstellen zB vor Zeitungen katzbuckeln und sofort "Ärmel hochkrempeln". Es geht doch. Es ist leider nicht selten, dass Hilflose diesen Weg gehen und um Hilfe zu bitten. In vielen Fällen werden sie auch geholfen, gott sei dank

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  • teilderwelt vor 16 Stunden / Bewertung:

    NEIN, das ist kein Einzelfall! In meiner Arbeit als Sozialpädagogin gehört das leider zum Normalfall. Die einen stellen die Leistung sofort ein, ohne das klar ist, ob die nächste Stelle zahlt bzw. ab wann sie zahlt. Dazu gäbe es eigentlich ein Gesetz im SGB I, das regelt, dass sich die Stellen absprechen müssten und bei Unklarheiten, wer zuständig ist, die erst angefragte Stelle zuständig ist bis zur Klärung, wird das alles an die Klienten abgewälzt, die dann ohne alles dastehen. Jede Sachbearbeitung tut so, als müsste sie "ihr" Geld schützen, obwohl es alles die gleichen Steuergelder sind. Habe leider schon miterleben müssen, dass darüber die Wohnung verloren geht, weil keine Leistung mehr kommt, obwohl der Anspruch besteht.

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