Weil Amt schlampt: 93-Jähriger Münchnerin droht Zwangsvollstreckung – die AZ konnte helfen
Es ist kaum ein Fleckerl mehr frei an den Wänden in ihrer kleinen Wohnung in Obergiesing. Waltraud K. war immer kreativ: Überall hängen selbst gemalte Bilder, viele mit Blumen. Von ihren Lieblingsmotiven hat sie Karten drucken lassen, einige von ihnen liegen auf einem Stapel neben ihrem Pflegebett. Waltraud K. verschenkt die Karten gern aus Dankbarkeit an die Pfleger oder an ihren Hausarzt und dessen Tochter, wenn sie ihr einen Hausbesuch abstatten.
Malen kann die 93-Jährige heute nicht mehr. "Meine Hand ist kaputt", erzählt sie der AZ. Und nicht nur das. Die Münchnerin ist nach einem schweren Unfall chronisch krank, sie leidet außerdem unter unheilbaren Gleichgewichtsstörungen. Nach mehreren schweren Stürzen – bei einem brach sie sich den Oberschenkelhals – kam sie nie wieder richtig auf die Beine. "Ich habe seit Monaten nicht mehr das Haus verlassen können", berichtet sie.

Waltraud K. hatte früher ein kleines Schneideratelier für Maßanfertigungen – "mit drei bis vier Arbeitskräften", erzählt sie stolz. Zuletzt arbeitete sie mit ihren Mitarbeiterinnen in ihrem Wohnzimmer in Giesing. Das ist lange her. In einem Nebenraum stapeln sich noch Schachteln mit Nähutensilien, Stoffen und Schnittmustern. Waltraud K. kann den Raum gar nicht mehr betreten. Die 93-Jährige hat Pflegegrad 2, schafft es nur noch mit viel Mühe und unter Schmerzen ins Bad oder in die Küche. Wenn man sie besuchen möchte, muss man lange warten, bis sie es aus dem Bett zum Rollator und bis an die Tür geschafft hat.
Obwohl die Rentnerin jahrzehntelang gearbeitet hat, reicht ihr im Alter das Geld nicht. Sie bekommt nur 534,94 Euro Rente. Allein die Miete beträgt 880 Euro. Die 93-Jährige ist auf Grundsicherung angewiesen – die ihr auch bewilligt wurde. Doch durch einen behördlichen Fehler blieb das Geld plötzlich aus. "Seit September habe ich keinen Pfennig mehr bekommen", sagt Waltraud K.
Erst kamen Mahnungen, dann die Drohung mit dem Gerichtsvollzieher.
Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Bereits nach kurzer Zeit wurden Abbuchungen von ihrer Bank zurückgewiesen, da das Konto überzogen war. Besonders unerbittlich trat der Beitragsservice von ARD und ZDF auf. Die Einrichtung treibt für die Öffentlich-Rechtlichen den Rundfunkbeitrag (GEZ) ein.
Bis August war Waltraud K. wegen ihres geringen Einkommens von der Rundfunkgebühr befreit. Jetzt kamen plötzlich Mahnungen, dann Anfang Dezember per Post eine Androhung zur Zwangsvollstreckung.
Die 93-Jährige hat keine Verwandten, keine Freunde mehr, die sich kümmern könnten, kein Internet. In ihrer Not wusste Waltraud K. keinen anderen Rat, als sich an die AZ zu wenden. "Ich weiß nicht, was ich tun soll", sagte die Rentnerin verzweifelt am Telefon. "Bitte helfen Sie mir." Ihr Lebensmut hatte sie verlassen.
"Wir bedauern das ausdrücklich."
Die AZ hakte nach. Wie der Bezirk Oberbayern mitteilte, war für Frau K. zunächst die Stadt München zuständig, nämlich das Sozialbürgerhaus Giesing-Harlaching. Als Waltraud K. ambulante Pflegeleistungen beantragte, wurde der Bezirk Oberbayern für sie zuständig. Doch die Abstimmung zwischen den beiden Behörden ging offensichtlich schief.
Susanne Büllesbach, persönliche Referentin von Bezirkstagspräsident Thomas Schwarzenberger zur AZ: "Leider kam es im vorliegenden Fall zu Verzögerungen beim Zuständigkeitsübergang, welche wir ausdrücklich bedauern." Dies sollte nicht passieren, "weil es ja wirklich um Personen geht, die darauf angewiesen sind, dass Zahlungen pünktlich kommen". Man habe interne Abläufe nachverfolgt, um "zeitverzögerte Bearbeitungen in solchen Fällen zukünftig zu vermeiden".
Bezirk Oberbayern spricht von einem "Einzelfall"
Nun sprachen die zuständigen Stellen miteinander – und plötzlich ging alles ganz schnell. Am 5. Dezember teilte der Bezirk mit, man habe am selben Tag "die Grundsicherung rückwirkend bewilligt". Die Zahlungen an Frau K. wurden angewiesen. Und auch die Sache mit dem Rundfunkbeitrag und der Androhung, dass der Gerichtsvollzieher kommt, scheint vom Tisch. Der Bezirk kündigte an, sich um die Befreiung zu kümmern. Demnach muss Waltraud K. auch weiterhin gar keinen Rundfunkbeitrag zahlen.
Wie häufig solche "Missverständnisse" vorkommen zwischen Behörden, die Betroffene in existenzielle Not bringen können, kann wohl niemand sagen. Der Bezirk Oberbayern spricht von einem "Einzelfall". Waltraud K. jedenfalls ist sehr erleichtert: "Ich bin Ihnen unendlich dankbar."

