Wegen Preisexplosion: Gebrauchtwarenhaus "Weißer Rabe" hat regen Zulauf

Die Preise sind seit dem russischen Krieg auf Höchststand. Das trifft Münchner mit geringem Einkommen besonders. Immer mehr Familien aus dem Mittelstand sind auf das Kaufhaus Weißer Rabe inzwischen angewiesen.
von  Helena Ott
Die Möbelabteilung im Erdgeschoss: Ein Kinderbett gibt es hier schon für 15 bis 30 Euro.
Die Möbelabteilung im Erdgeschoss: Ein Kinderbett gibt es hier schon für 15 bis 30 Euro. © Foto: Daniel von Loeper

München - Ein beiger Frühlingsmantel in Größe 38 kostet acht Euro. Kleidungsstücke der gleichen Kategorie wie "leichter Mantel" haben alle den gleichen Preis. Die Blusen an der langen Kleiderstange kosten drei Euro. In blau, schwarz, gemustert, weiß oder mintgrün hängen sie faltenfrei auf Kleiderbügeln. "Von Kunden bekommen wir oft die Rückmeldung, dass sie Sachen hier günstiger bekommen als auf dem Flohmarkt oder in anderen Second-Hand-Shops", sagt Stefan Lang.

"Es kommen immer mehr Familien aus dem Mittelstand zu uns"

Der 56-Jährige leitet das Gebrauchtwarenkaufhaus Weißer Rabe im Münchner Westen. Die 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich um 300 Kunden am Tag. Gerade jetzt, wo viele Menschen "jeden Euro weniger im Geldbeutel empfindlich merken", sagt Lang, seien sie eine wichtige Anlaufstelle.

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine vor einem Jahr ist der Anstieg bei der Inflation zwar gesunken, aber die Lebensmittelpreise sind weiter auf Rekordhoch. "Es kommen jetzt deutlich mehr Familien aus dem Mittelstand zu uns", sagt der gelernte Handelsfachwirt.

Etwa 80 Prozent der Kunden vom Weißen Raben seien auf solche Angebote angewiesen, sagt Stefan Lang. Der Rest sind Second-Hand-Liebhaber und seit ein paar Jahren auch Menschen, die bewusst Gebrauchtes kaufen, um Ressourcen einzusparen. Das Kaufhaus an der Landsberger Straße ist eine von zwei Filialen des Sozialunternehmens Weißer Rabe, ein Tochterunternehmen der Caritas.

Von Münchner Bürgern bekommen sie Sach- und Kleiderspenden. In den Lagerräumen werden sie sortiert, aufbereitet und ausgezeichnet. Und zur Landsberger Straße hinaus reicht ein Ladengeschäft mit hohen Decken und Holzregalen.

Großes Angebot an Kleidung und Haushaltswaren

Dahinter, im großen weißen Firmengebäude im Innenhof, gibt es jeweils von allen Waren noch mal eine größere Abteilung. Etwa eine für Möbel, Geschirr, Kleidung, Schuhe, Elektrogeräte und Spielzeug.

Stefanie Hong-Fichtinger, die zweite Betriebsleiterin, steht jetzt zwischen Holzkommoden, Esstischen und Wohnzimmerlampen. Es ist kurz nach zehn Uhr an einem Dienstagvormittag, aber in den Gängen ist schon einiges los: Ein Mann um die 30 probiert eine dunkle Regenjacke, zwei Frauen suchen nach passenden Kinderschuhen und eine andere läuft mit einer Kuchenform die Treppe nach unten Richtung Kasse.

"Manche kommen täglich und schauen nach Neuigkeiten"

Beim Rundgang durch die Abteilungen fällt sofort auf, wie sauber und gut sortiert alles ist. Die Kleidungsstücke hängen ordentlich an Bügeln, die Bildschirme sind der Größe nach aufgereiht und viele Schuhe sehen aus wie neu oder stehen sauber und gepflegt im Regal.

"Es ist uns wichtig, dass die Leute ein schönes Einkaufserlebnis haben und sich wohlfühlen", sagt Stephanie Hong-Fichtinger. Sie ist die Co-Betriebsleiterin und arbeitet schon 15 Jahre beim Weißen Raben. Die Läden seien auch ein sozialer Ort, in denen die Kunden unter Leute kommen, sich unterhalten können oder beraten werden. "Es gibt Einzelne, die kommen jeden Tag hier her und schauen, was es Neues gibt."

Ein sicherer Arbeitsplatz für Menschen mit Behinderung

Und die beiden Kaufhäuser sind auch Arbeitsplatz für Menschen mit psychischen Erkrankungen, für Langzeitarbeitslose oder für Menschen mit Behinderung. 90 Frauen und Männer zwischen 16 und 72 Jahren arbeiten in den beiden Filialen im Westend und Sendling. "Jeder mit individueller Stundenzahl, wie viel er oder sie eben schafft", sagt Hong-Fichtinger.

Unterstützt werden sie bei ihrer Arbeit von einer Sozialarbeiterin. Gemeinsam mit der Betriebsleitung schaut sie, welche Interessen und Fähigkeiten jemand mitbringt - ganz egal, ob er oder sie lieber in der Beratung von Kunden, an der Kasse oder beim Aufbereiten der Spenden im Lager arbeitet. Im Ladengeschäft an der Landsberger Straße steht an diesem Vormittag Markus A. hinter dem Kassentresen aus hellem Holz.

Er arbeitet seit sechs Jahren hier und bedient die Registrierkasse. "Neulich sagte eine Frau aus dem Team, dass ihr die Arbeit und dass sie das so schaffen kann, wieder mehr Selbstvertrauen gibt", sagt Stephanie Hong-Fichtinger. Diese Momente gehörten zu den Highlights in ihrem Job, sagt sie.

Ob Waschmaschine, Spiegel oder Rollschuhe

Die Arbeit im Kaufhaus ist aus mehreren Perspektiven nützlich: Geflüchtete, Rentner mit Grundsicherung, Alleinerziehende oder Familien finden günstig Waschmaschine, Regenjacke oder Schreibtisch. Und Sachen werden vor dem Wegwerfen gerettet und finden eine neue Verwendung. "Ungefähr 85 Prozent der Spenden können wir zum Verkauf anbieten", sagt Betriebsleiter Stefan Lang. Aber auch der Rest lande nicht im Restmüll, sondern werde recycelt und etwa zu Malervlies oder Dämmstoff gemacht.

Gerade unter den jüngeren Kunden seien inzwischen viele, die nicht aus Not kommen, sondern wegen der Nachhaltigkeit. Ein Problem ist das nicht. Im Gegenteil "Der Weiße Rabe ist ein Kaufhaus für alle Münchner", sagt Stefan Lang.

Nur bei den Spielen für Kinder und Jugendliche gilt eine Ausnahme. Die Abteilung mit den Federball-Sets, Puzzles und Gesellschaftsspielen ist abgetrennt vom Rest. "Die Spiele geben wir nur an Kinder und Familien mit Sozialhilfe-Bezug", sagt die Betriebsleiterin. Wer beim "Toys Projekt" registriert ist, bekommt im Monat 15 Taler und darf sich dafür bei den Spielen etwas aussuchen.

Das Herzstück: die Spendenaufbereitung

Das Herzstück des Gebrauchtwarenkaufhauses liegt im Erdgeschoss. Eine kleine Rampe im Innenhof, dahinter ist die Spendenaufbereitung. Hier werden alle Spenden von Privatpersonen geprüft und ausgezeichnet. 30 bis 50 Münchner pro Tag bringen ihre Sachspende hier vorbei. Auf der Weiße-Rabe-Webseite finden Spender eine Check-Liste, was dabei zu beachten ist.

Kleider sollten gewaschen sein und keine offenen Nähte oder fehlenden Knöpfe haben. Nur Fahrradhelme oder Elektrogeräte mit Heizstäben, wie Toaster oder Wasserkocher, dürfen die Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen nicht annehmen. "Sonst können wir fast alles gebrauchen", sagt Stefan Lang. Auch gebrauchte Smartphones seien beliebt. Bevor sie an neue Besitzer weitergegeben werden, prüft sie das Tech-Team des Weißen Raben und repariert Kleinigkeiten.


Sach- und Kleiderspenden können Mo. bis Fr. von 10 bis 17.30 Uhr abgegeben werden.

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