Wandel im Handel: München als Modellstadt für die Innenstädte der Zukunft?

Die Fußgängerzonen von morgen könnten in München ein Vorbild haben, sagen Experten. Was schon neu ist - und was kommen könnte.
Martina Scheffler
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Früher: Mode der spanischen Marke Desigual.
imago 8 Früher: Mode der spanischen Marke Desigual.
So war's früher, als hier noch Nymphenburger Porzellan verkaufte.
Sigi Müller 8 So war's früher, als hier noch Nymphenburger Porzellan verkaufte.
Hier wurde früher Tom Tailor Mode verkaufte.
imago/HRSchulz 8 Hier wurde früher Tom Tailor Mode verkaufte.
Polestar in der Hofstatt.
Sigi Müller 8 Polestar in der Hofstatt.
Hier gibt's das 3,5-Millionen-Euro-Auto - und wem der Preis Kopfschmerzen bereitet, der bekommt nebenan gleich passende Tabletten.
Sigi Müller 8 Hier gibt's das 3,5-Millionen-Euro-Auto - und wem der Preis Kopfschmerzen bereitet, der bekommt nebenan gleich passende Tabletten.
München leuchtet vor lauter Auto-Showrooms: Dieser befindet sich am Odeonsplatz.
Sigi Müller 8 München leuchtet vor lauter Auto-Showrooms: Dieser befindet sich am Odeonsplatz.
Wolfgang Fischer.
imago images/aal.photo 8 Wolfgang Fischer.
Heute: Burger bis in den zweiten Stock.
Sigi Müller 8 Heute: Burger bis in den zweiten Stock.

München - Und, was kaufen Sie so, wenn Sie zwischen Sendlinger und Brienner Straße unterwegs sind? Das Auto für 3,5 Millionen Euro oder doch eher einen Pullover für 69,95 Euro? Das Angebot an Auto-Showrooms in München jedenfalls wird größer, das von Textilien ist eher auf dem Rückzug.

Und damit liegt die Stadt im Trend: "In München ist die Transformation des Handels bestens zu sehen. Wo Tom Tailor war, ist jetzt Polestar, wo Nymphenburger Porzellan verkauft wurde, ist ein weiterer Auto-Showroom", sagt Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung, der AZ.

Seat-Sprecherin: "Wir wollen näher an den Kunden ran"

Dieser Showroom, ganz vorne an der Brienner Straße, zeigt flotte Flitzer des Seat-Tochterunternehmens Cupra. München war die zweite Stadt, in der eine sogenannte Garage eröffnet wurde, und zwar im Rahmen der Automobilausstellung IAA, sagt Seat-Sprecherin Melanie Stöckl der AZ - nach Hamburg und vor Berlin. "Wir wollen näher an den Kunden ran, der in der Stadt flaniert. Die Lage ist unheimlich wichtig." Klassische Autohäuser befänden sich dagegen eher am Stadtrand.

Heute: Burger bis in den zweiten Stock.
Heute: Burger bis in den zweiten Stock. © Sigi Müller

Die Cupra-Garage am Odeonsplatz bietet unter anderem eine Espressobar und eine Sitzecke, im Untergeschoss finden Veranstaltungen statt. Wen will man ansprechen? Schon die Jüngeren, sagt Stöckl. "Cupra steht für eine junge Zielgruppe, die nicht das Auto der Eltern fahren will."

Ein weiterer Auto-Showroom findet sich ebenfalls sehr zentral in der Hofstatt: Wo früher Tom Tailor Mode verkaufte, stehen jetzt schneeweiße Polestar-Exemplare. Das passt ins Bild, sagt Joachim Stumpf zum Wandel im Handel: "Am stärksten betroffen sind Textil- und Schuhgeschäfte in Innenstädten" - die seien auf dem Rückzug.

E-Autos werden in Bayern immer beliebter 

Polestar verzeichnet Angaben von Sprecherin Anna Wesolowski zufolge "im Süden Deutschlands, insbesondere in Bayern, gerade eine sehr hohe Nachfrage nach Elektrofahrzeugen". Außerdem spreche man generell eher Kunden mit einem höheren Einkommen an.

"Insofern ist München nicht nur wichtig für die Sichtbarkeit unserer Marke im bayerischen Raum, sondern wir treffen hier auf eine sehr designorientierte, innovationsgetriebene Klientel, die für unsere Marke attraktiv ist." Der sogenannte Space in der Hofstatt entwickele sich sehr positiv, es gebe eine hohe Nachfrage nach Testfahrten. Außerdem werde bald zusätzlich ein "Handover Center" eingerichtet, in dem die Übergabe der Wagen stattfinden soll, "um die hohe Nachfrage zu bedienen".

Polestar in der Hofstatt.
Polestar in der Hofstatt. © Sigi Müller

Die Spaces sind laut Wesolowski weltweit nach dem gleichen Konzept gestaltet und befinden sich immer in Innenstädten "oder in beliebten Shoppinggegenden". Der Grund: die Bekanntheit der Marke steigern und "dahin gehen, wo wir möglichst viele Menschen erreichen, um zum Thema Elektromobilität aufzuklären".

Viktualienmarkt: Aus einem Labor wurde ein Showroom

Gleich ganz ohne Eingang, also wirklich nur zum Schauen, präsentiert sich der Sportwagen Frangivento am Viktualienmarkt. Direkt neben einer Apotheke steht der 3,5-Millionen-Euro-Flitzer.

Per QR-Code kann man sich weitere Bilder des Wagens anschauen, der von null auf 100 Stundenkilometer in weniger als 2,9 Sekunden beschleunigen soll. Gut, das hilft einem im Stau auf dem Mittleren Ring auch nichts, aber schöner sieht man vermutlich doch mit dem teuren Gerät aus, während man gelangweilt aufs Weiterkommen wartet.

Der Showroom sei früher einmal ein zur benachbarten Apotheke gehöriges Labor gewesen, heißt es.

München sei eigentlich in Deutschland im positiven Sinne ein singulärer Standort und nicht repräsentativ für das ganze Land, sagt Wolfgang Fischer, Geschäftsführer von CityPartner, der AZ. "Aber es stimmt, viele internationale Unternehmen, die etwas ausprobieren wollen, kommen erst nach München." So gebe es viele Angebote aus dem Bereich Elektromobilität, auch einige Auto-Anbieter.

Wolfgang Fischer.
Wolfgang Fischer. © imago images/aal.photo

Stumpf: "Gastronomie wird deutlich stärker aufgesucht als Handel"

Da seien viele Entwicklungen in den Innenstädten, die gar nicht mal durch Corona ausgelöst worden seien. Aber wegen Corona hätten etwa Filialunternehmen wie die Parfümeriekette Douglas oder Modeanbieter H&M oftmals mehrere Stores zusammengezogen zu einem großen Flagshipstore und kleinere Filialen aufgegeben - "eine durchaus positive Entwicklung", findet Fischer. Es sei besser, einen kompetenten Flagshipstore zu haben als mehrere kleine darbende Häuser. Autos kaufe man zwar nicht jeden Tag, "aber die suchen nach Standorten, wo sie sich an hohe Kundenfrequenzen anhängen können".

Eine weitere Tendenz, die Joachim Stumpf ausgemacht hat, ist Gastronomie, die verstärkt in die Innenstädte komme - wie etwa die Burgerkette Five Guys, die ins frühere Desigual gezogen ist. "Die Gastronomie wird deutlich stärker aufgesucht als der Handel, der die Kaufzurückhaltung schon spürt", bestätigt Fischer.

Das Five Guys hat auch vormittags unter der Woche regen Zulauf vor allem vom jüngeren Publikum und erstreckt sich über alle ehemaligen Desigual-Etagen.

Hier gibt's das 3,5-Millionen-Euro-Auto - und wem der Preis Kopfschmerzen bereitet, der bekommt nebenan gleich passende Tabletten.
Hier gibt's das 3,5-Millionen-Euro-Auto - und wem der Preis Kopfschmerzen bereitet, der bekommt nebenan gleich passende Tabletten. © Sigi Müller

Woran die Münchner Innenstadt aber vor allem leidet, ist für Fischer die Erreichbarkeit, sowohl für den Individualverkehr als auch für den ÖPNV. Stammstreckensperrungen, Baustellen, Kürzungen beim Angebot - Fischer hat viele Kritikpunkte. Auch mehr Sitzgelegenheiten könne es geben. "Nehmen Sie den Richard-Strauss-Brunnen und den Marienhof: Diese Plätze fehlen." Dort hätten die Menschen oft gepicknickt.

Womit München wiederum punkten könne, seien dafür die hiesigen Traditionshäuser, die eben diese Tradition mit Moderne verbänden, während beispielsweise Köln eine "komplett durchfilialisierte Innenstadt" habe, sagt Fischer.

Es geht auch um die Integration von Unis, Kultur und Sozialem

Der Zuspruch ist ohnehin allen Krisen zum Trotz weiter da: 2,3 Millionen Passanten wurden im Oktober im Ostbereich der Neuhauser Straße gezählt. Wer aber an Attraktivität verliert, ist der stationäre Einzelhandel mit Bekleidung. Laut Statistischem Bundesamt sank dessen Umsatz in den Monaten Januar bis September 2022 gegenüber demselben Zeitraum im Vor-Corona-Jahr 2019 real um elf Prozent. Bei Büchern und Spielwaren sah es mit einem Minus von 21 und 17,5 Prozent noch schlechter aus.

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"Die Umsatzeinbußen der für die Innenstädte typischen Läden dämpfen die Entwicklung des stationären Einzelhandels insgesamt", resümiert die Behörde.

Sieht man nun also in München das Bild der Innenstadt, wie es sich bald überall zeigen wird? Jein - der Wandel im Handel sei nur ein Aspekt der Transformation der Innenstädte, sagt Sandra Wagner-Endres vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin der AZ. "Mit dem Begriff der Modellstadt bin ich bei der Frage Innenstadtentwicklung zurückhaltend, weil es dafür keine Blaupause gibt, sondern jede Stadt entsprechend ihrer Rahmenbedingungen und Strukturen ihr ,Zielbild' finden muss."

Viele Kommunen testen verschiedene Konzepte

In der gerade erst veröffentlichen Studie "Frischer Wind in die Innenstädte" des Instituts gehe es auch um "die Integration bislang kaum vertretener Nutzungen, wie Bildung - Schulen, Hochschulen, Bibliotheken - , Gesundheitsangebote, nichtkommerzielle Kultur- und Freizeitangebote, soziale Einrichtungen oder Verwaltung, in die Innenstadt".

Viele Kommunen hätten bereits entsprechende Konzepte entwickelt oder neue Nutzungsformen wie Pop-up-Stores getestet. Außerdem entwickelten Städte wie Bremen oder Erfurt Konzepte für die Innenstadt im Dialog mit den Bürgern, denn Angebot und Anlass müssten zu den Menschen passen, sagt Wagner-Endres. "Die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum muss in jedem Fall mitgedacht werden."

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11 Kommentare
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  • BB123 am 28.11.2022 18:16 Uhr / Bewertung:

    Gerade ein Strafzettel über 55b Euro bekommen. Münchner Innenstadt langt. Demnächst wird alle übers Internet gemacht.

  • Der wahre tscharlie am 28.11.2022 21:25 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von BB123

    Und wofür? Dafür?
    an einem der folgen­­den Orte geparkt:
    - auf einer Ver­kehrs­insel
    - auf einem Grün­streifen
    - auf dem Seiten­streifen
    - auf einer Fahr­rad­straße

    Oder eher das?
    ... mit Behin­derung
    ... über 1 Stunde
    ... über 1 Stunde mit Behin­­derung

    Zweite Reihe, Feuerwehrzufahrt und auf Geh- oder Radweg kostet auch 55 Euro.

  • Wendeltreppe am 29.11.2022 10:45 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von BB123

    Und warum? Sind Sie im Unrecht?

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