Vor zehn Jahren ging die Bombe hoch: Schwabinger erinnern sich

Vor genau zehn Jahren wird in der Baugrube, über der einst die Kultkneipe Schwabinger 7 stand, ein extrem gefährlicher Blindgänger entdeckt. Die Sprengung verursacht Millionenschäden.
Nina Job
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Flammen schlagen aus den Häusern in der Feilitzschstraße, auf dem Boden liegt Stroh, die Feuerwehr löscht.
Berufsfeuerwehr München 12 Flammen schlagen aus den Häusern in der Feilitzschstraße, auf dem Boden liegt Stroh, die Feuerwehr löscht.
Ein Traktor karrt das Dämmmaterial heran: Stroh.
Marc Müller dpa/lby 12 Ein Traktor karrt das Dämmmaterial heran: Stroh.
Optikermeister Günther Radauer vor seinem Laden.
job 12 Optikermeister Günther Radauer vor seinem Laden.
Andreas Heil 2012 am Tag der Sprengung.
Marc Müller dpa/lby 12 Andreas Heil 2012 am Tag der Sprengung.
Der Feuerball ist kilometerweit zu sehen.
Johannes Grimm/dpa 12 Der Feuerball ist kilometerweit zu sehen.
Martin Pachos in seinem neuen Waffelgeschäft.
Nina Job 12 Martin Pachos in seinem neuen Waffelgeschäft.
Gerlinde Friese.
job 12 Gerlinde Friese.
Messerscharf: 660 Meter weit fliegt dieser 1-Kilo-Splitter.
Munich Re 12 Messerscharf: 660 Meter weit fliegt dieser 1-Kilo-Splitter.
Einst ein Klamottenladen - von der Druckwelle zerstört.
Tim Wessling 12 Einst ein Klamottenladen - von der Druckwelle zerstört.
Schaulustige strömen in die Feilitzschstraße.
Imago/Ralph Peters 12 Schaulustige strömen in die Feilitzschstraße.
Janne Weinzierl.
Daniel von Loeper 12 Janne Weinzierl.
Überall brennt's. Die Laterne bleibt unversehrt.
Heil/Tauber 12 Überall brennt's. Die Laterne bleibt unversehrt.

München - Die Erde bebt, der Knall ist kilometerweit zu hören. Dann steigt ein gleißender Feuerball in den Nachthimmel auf: Am 28. August 2012 explodiert mitten in Altschwabing eine US-amerikanische Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Experten haben sie "kontrolliert gesprengt", sie zu entschärfen war ihnen nicht möglich.

Der Feuerball ist kilometerweit zu sehen.
Der Feuerball ist kilometerweit zu sehen. © Johannes Grimm/dpa

Drei Tage und Nächte hat das todbringende Überbleibsel aus dem Krieg die Schwabinger in Angst und Aufregung versetzt. Tausende müssen ihre Wohnungen verlassen, Hunderte in Notunterkünften schlafen. Bomben-Experten, Feuerwehrleute und Kräfte des Technischen Hilfswerk (THW) arbeiten unter Einsatz ihres Lebens. Denn die Bombe hat einen hochgefährlichen Langzeitzünder, der jederzeit auslösen kann.

Doch wie gefährlich der Blindgänger war, begreifen die meisten erst, als er hochgeht: 17 Gebäude werden beschädigt, Wohnungen und Läden brennen aus, ein Bombensplitter fliegt bis zur Königinstraße, prallt am Haus der Münchner Rück ab.

Messerscharf: 660 Meter weit fliegt dieser 1-Kilo-Splitter.
Messerscharf: 660 Meter weit fliegt dieser 1-Kilo-Splitter. © Munich Re

Besonders schlimm trifft es einige Ladenbesitzer in der Feilitzschstraße: Ihre Läden werden zerstört. Die Inhaber haben aufgegeben. Heute, zehn Jahre später, ist von der Bombennacht nicht mehr viel zu sehen. Die AZ hat sich umgeschaut.

"Die Schaulustigen - einfach schrecklich!"

Gerlinde Friese hat sich über Neugierige geärgert und einer Braut den Tag gerettet. Gerlinde Friese macht den Schwabingern seit 40 Jahren die Haare. Ihr Salon Calfati ist in der Marktstraße. Auch hier richtete die Bombe große Schäden an. Tagelang durfte die Friseurmeisterin nicht in ihr Geschäft, die Straße war gesperrt. 

Gerlinde Friese.
Gerlinde Friese. © job

"Eine Frau, die ich kenne, hat sich reingeschlichen. Sie hat ihre Katze gefüttert." Etwas später sah auch Gerlinde Friese die Zerstörung: "Da war nirgends mehr ein Schaufenster. Bei uns war hinten alles kaputt, die Decke hing runter. Das Haus war wegen Einsturzgefahr gesperrt."

Schaulustige strömen in die Feilitzschstraße.
Schaulustige strömen in die Feilitzschstraße. © Imago/Ralph Peters

Schrecklich fand sie die Schaulustigen. "Das waren Völkerwanderungen, eine Katastrophe!" Aber sie hatte auch ein schönes Erlebnis: "Am Freitag hatte eine Braut einen Termin bei mir. Ich bekam eine Sondererlaubnis. Aber das Wasser war noch abgestellt. Zum Waschen sind wir dann in einen anderen Salon gegangen. Die Braut war happy."

"Die Bombe sollte das E-Werk treffen"

Janne Weinzierl (SPD) sitzt seit 26 Jahren im Bezirksausschuss Schwabing-West. Vor ihrem Haus in der Marschallstraße wurde das Krisenzentrum eingerichtet. "Unser Keller wurde beschlagnahmt, Telefonleitungen verlegt", erinnert sich Janne Weinzierl (74). 

Janne Weinzierl.
Janne Weinzierl. © Daniel von Loeper

Ein paar Stunden zuvor hatte sie die Bombe noch mit eigenen Augen aus dem Kies ragen sehen. Auch ihr Haus lag in der Sperrzone und wurde evakuiert. "Wir haben zwei Wolldecken mitgenommen und Äpfel. Alle dachten ja, wir können in ein paar Stunden wieder rein." Janne Weinzierl und ihr Mann Klaus verbrachten die Nacht auf der Straße. Sie suchten ein Hotelzimmer, aber es gab keine freien Zimmer: "Es war Chirurgenkongress in der Stadt." Die Sprengung am nächsten Abend verfolgten sie bei ihrer Schwester im TV.

"Das war schon ein bisschen wie Bombenhagel." In den Tagen nach der Sprengung sei die Hilfsbereitschaft sehr groß gewesen. "Den Unbehausten, die aus ihren Wohnungen raus mussten, wurden private Quartiere angeboten." Die 74-Jährige ist sich sicher, dass die US-amerikanische Bombe im Zweiten Weltkrieg ein Elektrizitätsumspannwerk treffen sollte. "Das stand dort, wo heute Constantin Film ist", sagt die Schwabingerin.

"Die Polizei hat unsere Kunden begleitet"

Martin Pachos war der Erste, der wieder öffnen könnte - auch dank Eigeninitiative. Er ist einer der wenigen mit einem Ladengeschäft, die heute noch da sind: Martin Pachos betreibt in der Feilitzschstraße 1 den Friseursalon "Just Hair", mittlerweile ist noch ein Waffelladen dazugekommen. 

Martin Pachos in seinem neuen Waffelgeschäft.
Martin Pachos in seinem neuen Waffelgeschäft. © Nina Job

"Ich war live dabei, wie es meine Eingangstür zerrissen hat", erzählt Pachos. Er hatte sich auf einer Videokamera, die in seinem Laden hängt, zugeschaltet. Nach dem großen Knall sah er, wie ein Feuerwehrmann durch seinen Salon ging. "Das war Wahnsinn damals, eine irre Zeit!" Sein Geschäft durfte er erst wieder betreten, nachdem ein Statiker geprüft hatte, ob das Haus noch sicher steht. Und es gab noch mehr Hürden: "Auflage war, dass alle Fenster repariert sind, erst dann durfte ich öffnen."

Martin Pachos hatte keine Betriebsunterbrechungsversicherung. Damit es schneller geht, organisierte er selbst Firmen, die Fenster und Dach reparierten. Das zahlte sich aus: "Ich habe mit der Stadt telefoniert und dann wurde nur bei uns die Absperrung aufgehoben. Die Polizei brachte unsere Kunden einzeln zum Friseur." Das war am 1. September. Martin Pachos weiß das noch so genau, weil er an dem Tag Geburtstag hat. Den Schaden an seiner Tür hat die Versicherung des Hauseigentümers gezahlt.

"Ich dachte, jetzt bin ich ein armer Mann"

Wohnung, Laden - alles kaputt. Optiker Günther Radauer hat von vorn begonnen. Seit 19 Jahren betreibt Günther Radauer sein Brillengeschäft "Eye Spy" in der Feilitzschstraße 13. Er wohnt auch im selben Haus. "Just an dem Tag, als die Polizei kam und sagte, wir müssen evakuieren, hatte ich eine neue Schaufensterfront bekommen." Radauer dachte, am Abend sei alles vorbei und ging zu einem Freund. 

Optikermeister Günther Radauer vor seinem Laden.
Optikermeister Günther Radauer vor seinem Laden. © job

"Als ich den Feuerball sah, dachte ich, jetzt bin ich ein armer Mann: kein Zuhause mehr, kein Laden. Das war's." Als er das Haus wieder betreten durfte, sah er nur Zerstörung: Optische Geräte, Brillen, Vitrinen, alles war durchs Geschäft geflogen. Das Treppenhaus: zerstört, und auch in seiner Wohnung war vieles kaputt. "So stellt man sich Krieg vor", sagt Radauer. "Den erleben jetzt die Menschen in der Ukraine." Der Optikermeister hatte eine gute Betriebshaftpflichtversicherung, heute sieht man nichts mehr von den Schäden. Er denkt noch öfter an seinen Nachbarn mit dem Klamottenladen. "Bei dem war es krass. Der war traumatisiert. Er ist weggegangen."

"So wie wir es gemacht haben, war es richtig"

Andreas Heil, Leiter der Kampfmittelräumung Tauber, hatte bei der Sprengung den Hut auf.

Andreas Heil 2012 am Tag der Sprengung.
Andreas Heil 2012 am Tag der Sprengung. © Marc Müller dpa/lby

AZ: Herr Heil, wie besonders war diese Bombe für Sie?
ANDREAS HEIL: Ein Langzeitzünder, den man nicht entschärfen kann, dazu noch in einem bewohnten Gebiet, das hat man nicht jeden Tag. Sowas brauch mer nimmer! Das sagen auch die Kollegen, die alle dabei waren.

Wie war die Situation damals?
Wir hatten eine 500-Pfund-Bombe mit 120 bis 130 Kilo Sprengstoff drin, das Ganze umschlossen von einem Stahlkörper. Das gibt bei der Detonation eine gewaltige Druckwelle. Wenn ich die Bombe verdämme, also oben was draufpacke, geht der Druck vor allem nach unten. Das musste vermieden werden.

Warum?
Etwa 1,50 Meter unter der Bombe war das Grundwasser, etwa zehn Meter neben der Bombe lag eine Gasleitung und 40 Meter entfernt war der U-Bahnschacht, der nicht beschädigt werden durfte.

Stattdessen wurden viele Häuser beschädigt. Würden Sie heute alles genauso machen?
Unter den gegebenen Umständen sind wir auch heute noch der Meinung: So wie wir es gemacht haben, war es richtig. Und wir würden es genau so wieder machen.

"Wir wurden extrem durch den Kakao gezogen"

Auch wieder mit Strohballen?
Ja, Stroh bremst den Splitterflug stark, gleichzeitig ist es nicht so schwer.

Einige kritisierten, Sie hätten das Stroh nassmachen sollen.
Bei einer derartigen Detonation wäre das Wasser sofort verdampft, und dann brennt das Stroh genauso gut. Wenn überhaupt, hätte man Strohballen nehmen müssen, die monatelang im Wasser versenkt waren. Aber die wären dann schwer wie Kanonenkugeln gewesen. Wenn sowas in der Gegend rumfliegt, ist das für die Gebäude auch nicht gut.

Ein Traktor karrt das Dämmmaterial heran: Stroh.
Ein Traktor karrt das Dämmmaterial heran: Stroh. © Marc Müller dpa/lby

Was hat man Ihnen noch vorgeworfen?
Wir wurden extrem durch den Kakao gezogen, weil so viele Personen an der Bombe gearbeitet haben. Aber ich habe damals angeboten, dass wir alles mit eigenen Leuten machen können. Das hätte allerdings schon zwei Wochen gedauert. Da hieß es: So lange können wir den Evakuierungskreis nicht aufrechthalten. Die Leute waren nach meinen Informationen freiwillig vor Ort.

Hätte es andere Möglichkeiten gegeben, die Bombe zu entschärfen?
Inzwischen hat die Firma Tauber für Bayern ein Wasserschneidgerät angeschafft. Aber damals waren wir noch nicht so weit.

Wie funktioniert das?
Ein feiner Wasserstrahl, dem Granat beigemischt ist, wird mit einem Druck von 2.800 bis 3.500 Bar angesetzt und schneidet den Zünder heraus. Das geschieht ferngesteuert, falls es doch knallt.

"Die waren voll mit Adrenalin, gleichzeitig physisch und psychisch fix und fertig"

Wie ist es Ihren Mitarbeitern ergangen nach diesem Einsatz?
Die waren voll mit Adrenalin, gleichzeitig physisch und psychisch fix und fertig. Sie hatten alle nur kurze Schlafpausen. Der Rauch nach der Sprengung war noch nicht verzogen, da sind diejenigen, die ihren Job direkt an der Bombe erledigt haben, sofort in einen VW-Bus gestiegen und abgehauen.

Haben Sie und Ihre Mitarbeiter unter der Kritik und den Schuldzuweisungen gelitten?
Ja, unsere Leute tragen ja ihre Haut zu Markte. Auch die Ehefrau eines Feuerwerkers hat mich einen Tag später angerufen und mich zur Sau gemacht. Aber das ist unser Job. So eine Bombe ist kein Kinderspiel. Das hat man auch 2010 in Göttingen gesehen, wo beim Entschärfungsversuch eines Langzeitzünders mit Wasserstrahlgerät eine Bombe explodiert ist. Es gab drei Tote, mehrere Kollegen wurden schwer verletzt.

Hat die Firma Tauber Schadensersatz zahlen müssen wegen der Schwabinger Bombe?
Die Versicherungen haben versucht, Geld vom Freistaat und von uns wiederzubekommen. Das ging bis 2017. Tauber hat dann einem Vergleich zugestimmt.

Haben Sie Lehren gezogen aus dieser Geschichte?
2019 konnten wir bei einer Sprengung in Regensburg noch weniger vorbereiten. Da habe ich darauf bestanden, dass mir die Stadt schriftlich einen Auftrag erteilt, darin war eine Haftungsfreistellung enthalten. Ich habe gesagt, wenn sie den nicht unterschreiben, drehen wir auf dem Absatz um - und sie können mit ihrer Bombe machen, was sie wollen.

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  • FredC2 am 27.08.2022 12:50 Uhr / Bewertung:

    Zwei Bemerkungen von Herrn Tauber finde ich interessant:

    "Tauber hat dann einem Vergleich zugestimmt."
    Warum stimmt man einem Vergleich zu, wenn man alles richtig gemacht hat, und es wieder so machen würde?

    "...Strohballen nehmen müssen, die monatelang im Wasser versenkt "
    Was ist denn der Unterschied zwischen Strohballen, die einige Stunden oder monatelang im Wasser liegen? Etwa die Farbe? Ich würde denke, dass Stroh zieht und bindet das Wasser recht fix an.
    Nach meiner naiven Meinung hätte hier alternativ man Sandsäcke oder Container gefüllt mit Sand aufstellen müssen.

    Alles in allem natürlich gut, dass es Firmen und Personen gibt , die solche gefährlichen Dinge übernehmen, aber Optimierungspotential sollte man schon nutzen.
    Der nächste Einsatz kommt nämlich bestimmt wenn ich an die ganzen Buddelein in München denke.

  • tutwaszursache am 27.08.2022 17:57 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von FredC2

    "Warum stimmt man einem Vergleich zu, wenn man alles richtig gemacht hat, und es wieder so machen würde?"

    Weil die Anwälte sagen, dass sich das ansonsten noch Jahre hinzieht und unterm Strich teurer wird? Wäre so eine Erklärung, die mir einfallen würde.

    "Nach meiner naiven Meinung hätte hier alternativ man Sandsäcke oder Container gefüllt mit Sand aufstellen müssen."
    Steht doch im Artikel, dass dann mehr von der Explosionswirkung in den Boden, in Richtung von Gasleitung und U-Bahn gegangen wäre. Wenn nach der Bombenexplosion 3 Jahre keine U-Bahn in der Gegend hätte fahren können, hätten das bestimmt auch nicht arg viele Leute so lustig gefunden.

  • FredC2 am 27.08.2022 21:06 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von tutwaszursache

    Wenn man bei jedem Einsatz hinterher einen Vergleich befürchten muss, würde ich mir schnellstens ein anderes Tätigkeitsfeld suchen.

    Und was die Druckwelle angeht: die muss in jedem Fall krass unterschätzt worden sein, egal wohin die Energie geht, sonst hätte man zumindestens diverse Scheiben geschützt. Auch weit fliegende Splitter dürfen in keinem Fall vorkommen.

    Naja, ich persönlich ziehe eine funktionierende U Bahn natürlich auch vor.

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