„Vor Gott sind alle gleich“

Der irakische Christ Wassim lebt nach seiner Flucht in Dachau. Warum Sunniten nicht die gleiche Hilfe bekommen wie er, versteht er nicht.
von  Abendzeitung
Sie werden im Irak verfolgt: Zeena Refat Elia mit Ehemann Wassim Ghanem Schamun und den Kindern (v.l.) Fady, Rita und Milad.
Sie werden im Irak verfolgt: Zeena Refat Elia mit Ehemann Wassim Ghanem Schamun und den Kindern (v.l.) Fady, Rita und Milad. © Petra Schramek

Der irakische Christ Wassim lebt nach seiner Flucht in Dachau. Warum Sunniten nicht die gleiche Hilfe bekommen wie er, versteht er nicht.

Den Terror haben sie nach Bayern mitgenommen. Täglich flimmert er über den Bildschirm des Satelliten-Fernsehers in ihre Baracke. „Schauen Sie!“ ruft Wassim Ghanem Schamun. Die irakischen Nachrichten zeigen Leichenteile, blutige Kleidung. 51 Menschen sind bei einem Anschlag ums Leben gekommen. Ein normaler Tag im Irak.

Wassim ist vor seinen Verfolgern sicher. Er lebt mit seiner Frau und den vier Kindern in einer Asyl-Unterkunft in Dachau. Trotzdem ist er voller Sorge: „Meine Eltern und mein Bruder sind noch in Bagdad. Sie sind in Lebensgefahr.“

Sie beten den Rosenkranz und feiern Weihnachten

Wassim und seine Familie flüchteten, weil sie chaldäische Christen sind. Ihre Kirche hat sich vor mehreren hundert Jahren der katholischen Kirche angeschlossen. Sie beten den Rosenkranz, feiern Weihnachten – und müssen deshalb im Irak um ihr Leben fürchten.

Vor dem Irak-Krieg 2003 lebten 1,2 Millionen Christen im Land, jetzt noch 400000. Darunter auch die Eltern von Wassim. So schnell wie möglich will er sie nach Bayern holen. Jetzt kann Wassim hoffen: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble will eine Initiative zur Aufnahme christlicher Flüchtlinge starten. Dazu gaben ihm die Innenminister der Bundesländer ihr Okay (siehe Interview). 5000 christliche Flüchtlinge aus dem Irak gibt es bereits in Bayern, 2000 sind in München. Jetzt soll die EU darüber entscheiden, wie viele zusätzlich aufgenommen werden.

Doch ist diese Geste moralisch vertretbar? Über diese Frage gibt es jetzt Streit. Der Vorwurf: Deutschland sucht sich Flüchtlinge nur nach ihrem Glauben aus. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries kritisiert: „Es ist ein sehr schwieriger Weg, wenn man anfängt zu sagen, wir nehmen jemand wegen seiner Glaubenshaltung auf.“ Auch auf EU-Ebene gibt es Kritik. „Ich glaube, wir sollten Flüchtlinge aufnehmen und Asylrecht gewähren ohne Anschauung der Religion oder Rasse“, sagt Sloweniens Innenminister Dragutin Mate.

Shukur hat durch seine Flucht alles verloren.

Shukur Ghafur Abdulrahman (36) ist wütend auf die deutschen Politiker. „Christen und Muslime sind doch gleich. Alle haben das gleiche Recht, als Flüchtlinge aufgenommen zu werden.“ Shukur hat durch seine Flucht ins bayerische Neuburg an der Donau alles verloren. Seine Heimatstadt Bagdad mit dem Viertel Alshaab, wo es nette Geschäfte und Parks gab. Die Eltern. Seine Verlobte, die ihn nicht mehr heiraten wollte, weil er eine Rückkehr ausschließt.

Kurz bevor 2003 der Krieg ausbrach, flüchtete Shukur. Er hatte Angst vor dem Krieg und vor der Zeit danach, schlug sich mit Hilfe eines Schleusers für 3000 Dollar nach Deutschland durch. Hier ist der ausgebildete Krankenpfleger geduldeter Flüchtling, sein Asylantrag wurde abgelehnt. Weil es im Irak so gefährlich ist, wurde seine Abschiebung ausgesetzt. Zurück kann er nicht. „Ich bin Sunnit. Im Irak haben jetzt die Schiiten das Sagen. Und die wollen keine Sunniten.“

Shukurs Eltern werden bedroht. „Haut ab! Dies ist ein schiitisches Viertel“, steht auf Drohbriefen. Immer wieder verschwinden sunnitische Familien. Die gefürchteten schiitischen El-Sadr-Milizen hätten sie mitgenommen, heißt es. „Meine Eltern sind krank, sie können nicht weg. Nicht mal zum Einkaufen trauen sie sich noch“, sagt Shukur.

Nach Syrien oder Jordanien können die Eltern nicht flüchten, die Grenzen sind dicht. Seine einzige Hoffnung: Die Eltern nach Bayern holen. Doch Sunniten kommen in Schäubles Hilfs-Initiative nicht vor.

Im Asylheim vom Dachau, wo der Christ Wassim mit seiner Familie lebt, spielt die Religion keine Rolle. Nebenan wohnt ein Schiit, man versteht sich gut. Wassim kann nicht verstehen, warum deutsche Politiker einen Unterschied zwischen Christen und Nicht-Christen machen: „Vor Gott sind alle gleich“, sagt er.

Dann erzählt er: Als der Krieg vorbei war und El Kaida und Schiiten die Macht im Irak übernahmen, wurden Christen zu Freiwild. „Die Amerikaner sind Christen – und ihr steckt mit ihnen unter einer Decke“, hieß es. Pfarrer wurden getötet, Kinder entführt. In den Gottesdienst traute sich die Familie nicht mehr – zu gefährlich.

„Mach’ deinen Laden dicht. Sonst töten wir dich“

Wassim betrieb damals einen Getränkeladen, in dem er auch Alkohol verkaufte. Islamisten war dies ein Dorn im Auge. Eines Tages bekam Wassim einen Brief: „Mach’ deinen Laden dicht. Sonst töten wir dich“ stand darin. Wassim verkaufte den Laden, legte sich einen Lkw zu und fuhr damit Wasser aus. Auch Amerikaner gehörten zu seinen Kunden. „Verkauf den Laster, sonst bist du tot!“ stand im nächsten Schreiben. Wassim investierte das Geld in die Flucht: 32000 Dollar wollte der Schleuser haben.

Die ganze Familie: Vater Wassim (33), Mutter Zeena (27) und die Kinder Rita (11), Yusif (8), Fady (5) und der kleine Milad (1), wurden in einen Laster gepfercht. Eine Woche brauchten sie bis Istanbul, weitere sechs Tage bis München. Welche Strecke der Fahrer nahm, wussten sie nicht. Zwischendurch ging es per Schiff weiter, das merkten sie am Schaukeln. Das war vor einem halben Jahr.

Und jetzt? Zu sechst müssen sie in einem winzigen Verhau schlafen. Der Asylantrag läuft, der Familie geht es schlecht. Die Kinder sind krank, wegen der Reise-Strapazen. Wirtschaftswissenschaftler Wassim hat keine Arbeitserlaubnis. Aus dem Irak kommen Horror-Meldungen. Ein Freund wurde von Christen-Hassern ermordet. Die Sprengstoff-Anschläge auf Gotteshäuser mehren sich.

Es gefällt ihm hier

Wassim will nicht klagen: Es gefällt ihm hier. Sonntags geht die Familie in die Münchner Mariahilf-Kirche, dort wird die Messe in Chaldäisch, Arabisch und Deutsch gehalten. „Wir beten oft für den Irak“, sagt er. Und dafür, dass sie ihre Verwandten bald nach Deutschland holen können.

Vor einer Woche hat sich Wassim ein Bild gekauft. Es zeigt Maria und Jesus. Sie füttern weiße Tauben. Ein schönes Bild, findet Wassim. Es steht für Frieden.

Volker ter Haseborg

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