Vor 30 Jahren: Die "Toten Hosen" entweihen Kirche
München - Die Dorfbewohner ahnten nichts. Man hatte sie nicht gefragt. Und nicht eingeladen. Die jungen Leute aus Düsseldorf fuhren mit ihrem Regisseur, den Kameramännern, Beleuchtern, Tontechnikern und Komparsen auch nicht durch Jesenwang. Sie kamen aus München, von Osten. Wie damals die Gothen und Vandalen.
So fiel die Horde gar nicht auf, als sie vor den Toren der kleinen 1500-Einwohner-Gemeinde im Kreis Fürstenfeldbruck eine wilde Punker-Massenhochzeit nachstellte. Im Video fährt eine Hochzeitskutsche voll betrunkener Gäste vor. Die Punker stürmen rein und treten vor den Altar – sturzbesoffen, genau wie die Ministranten und bald auch der Pfarrer. Der vollführt dann obszöne Gesten mit dem Finger und prügelt sich am Schluss mit Rockern um eine Flasche Schnaps.
Der Dreh dauerte nur ein Wochenende, sagt der damalige Regisseur Wolfgang Büld. Den Schnitt erledigte er später daheim, „das dauerte noch mal ein paar Tage“. Dann war er fertig, der erste Skandal der Toten Hosen.
Vor 30 Jahren drehte die Band in der Wallfahrtskirche St. Willibald zu Jesenwang das Video zu ihrem ersten Hit. „Eisgekühlter Bommerlunder“ ist heute noch einer der bekanntesten Songs der Punker um Campino: Sie spielen ihn auf fast jedem Konzert, er gilt als Hymne der Band und Party-Hit. Das Lied, das gegen Ende immer schneller wird, gibt es auch auf Polnisch, als Cover-Version der Indie-Band „Wir sind Helden“ und sogar als Klingelton – gegrölt vom „besoffenen Elch“.
Im Juli 1983 kannte kaum jemand die Hosen – die Melodie von „Eisgekühlter Bommerlunder“ dagegen schon: „Chiu Chiu“ heißt das Original, ein schwülstiger Samba-Schlager mit viel Xylophon aus dem Jahr 1937. Es tauchte im Oscar-prämierten Hollywood-Film „Du warst nie berückender“ mit Fred Astaire und Rita Hayworth auf. In den 50ern war es unter dem Titel „Eisgekühlte Coca-Cola“ ein beliebtes Wanderlied.
Die Toten Hosen ersetzten „Cola“ durch den Kümmelbranntwein „Bommerlunder“, pressten das Lied 1983 auf ihre dritte Single und spielten es auf Konzerten. Dem Publikum gefiel’s, ebenso dem Plattenriesen EMI. Er gab der Band am 1. Juli 1983 50 000 Mark für einen Videodreh.
Dass die Toten Hosen für dieses Video ausgerechnet in Jesenwang landeten, war Zufall: Der damalige Hosen-Schlagzeuger Trini Trimpop fragte seinen Schulfreund Wolfgang Büld, damals 30, ob er Regie führen wolle. „Ich kannte das Lied gar nicht“, sagt der heute. „Aber ich fand es eingängig. Und lustig.“
Büld sagte ja. Büld fragte den Schauspieler Kurt Raab als Pfarrer an. Eine gewisse Marianne Sägebrecht spielte eine der Bräute.
Eine Kirche zu finden, war schwieriger. Ein Jahr zuvor hatte Regisseur Wolfgang Achternbusch mit seinem Film „Das Gespenst“ einen Blasphemie-Skandal ausgelöst. Jesus steigt darin vom Kreuz und hat Sex mit einer Oberin. „Die Kirche hatte Filmdrehs daraufhin verboten“, sagt Büld.
Zu Hilfe kam ihnen ein Mann des Himmels: Büld hatte den Besitzer des Jesenwanger Flugplatzes beim Dreh von „Gib Gas, ich will Spaß“ mit Nena kennen gelernt. „Auf dem Weg zum Flugplatz kamen wir immer an dieser alte Kirche vorbei“, sagt der Regisseur. Er meint St. Willibald, 500 Meter vor den Toren des Orts gelegen. Im 15. Jahrhundert erbaut, Wallfahrtsort und Hochzeitskirche. Seit 1712 werden jährlich zum „Willibald-Ritt“ vor tausenden Zuschauern Pferde in der Kirche geweiht.
Einer der Fluglehrer wohnte damals in der ehemaligen, zu einer Wohnung umgebauten Sakristei. Er hatte einen Schlüssel. Die Hosen hatten ihre Kirche.
Den Dreh beschreibt Büld als „recht turbulent“. Die Toten Hosen seien als Auftraggeber noch recht diszipliniert gewesen – Pfarrerdarsteller Kurt Raab („Monaco Franze“) aber trank einen Cognac gegen die Kälte – obwohl er Alkoholiker war. „Er wurde daraufhin sehr anstrengend und drohte ständig damit, nach Hause zu gehen“, sagt Büld. „Er hat auch von außen gegen die Kirchentür gepinkelt– im Talar.“
So chaotisch ging’s weiter: Das Video sollte in der BR-Sendung „Pop Stop“ laufen. Die Redaktion strich es aber wegen „technischer Mängel“ aus der Sendung. Später habe ein Redakteur Wolfgang Büld den wahren Grund verraten: „Es war wegen Verletzung religiöser Gefühle.“
In Jesenwang bekamen sie schnell mit, was da gelaufen war – viele schäumten vor Wut. „Das war wohl der schwärzeste Tag der Gemeinde“, sagt Wolfgang Büld. Josef Drexler vom Freundeskreis der St-Willibald-Kirche kann das bestätigen: „Die Leute waren so dermaßen verärgert, schließlich ist die Kirche ein Heiligtum für die Jesenwanger.“ Die Empörung war laut Drexler so groß, „dass der Pfarrer die Kirche ein paar Monate später neu geweiht hat“.
Trini Trimpop denkt heute noch gerne an das Video zurück. „Das hat uns echt Spaß gemacht damals“. Die Aufregung aber findet er typisch spießbürgerlich. „Wir haben ja nichts gemacht“, sagt Trimpop. „Jesus war sicher provozierender.“
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