Von der Kinderpflegerin zu Microsoft: Der außergewöhnliche Weg einer Münchnerin
Es ist der erste schöne Tag Ende Mai, fast 30 Grad. Am Gärtnerplatz geht es zu wie am Ballermann, nur gesitteter und mit etwas weniger Alkohol. Da taucht Magdalena Rogl auf. Wir gehen zum Bellevue di Monaco, bestellen uns Kaffee und Wasser. Von der Kinderpflegerin zur Microsoft-Managerin: Die AZ hat Fragen!
AZ: Frau Rogl, Ihr erster Traum war, Kindererzieherin zu werden. Ein herausfordernder Job. Warum gerade dieser Beruf?
MAGDALENA ROGL: Ich liebe Menschen, vor allem Kinder. Sie sind so spannend. Wenn man kleine Menschen dabei begleiten darf, ins Leben zu finden, lernt man selbst dazu.
"Empathie und emotionale Intelligenz kommen zu kurz": Interview mit Microsoft-Managerin Magdalena Rogl
Weil sie so direktes Feedback geben?
Ein toller Aspekt, ja. Sie haben noch keine gesellschaftlichen Normen angenommen.
Woher kam die Motivation?
In dem Beruf habe ich immer einen Sinn gesehen. Auf der Berufsschule war ich plötzlich die Klassenbeste. Auf dem Gymnasium war ich vor dem Abbruch sehr schlecht, wenig Interesse, vielleicht faul.
Also dem Bauchgefühl gefolgt?
Absolut. Meine Stärken hatten plötzlich großen Wert. Empathie und emotionale Intelligenz. Das kommt im deutschen Schulsystem zu kurz, finde ich.
In welchem Jahr sind wir gerade, beim Schulabbruch?
2003, ich war 16.
Ihr Traum wurde etwas komplizierter, zwischenzeitlich.
Richtig, ich wurde schwanger. So jung war das nicht geplant. Ich hatte Zukunftsängste und wusste nicht, ob ich das schaffen kann. Ich wohnte bei meiner Mutter, ohne Ersparnisse.
"Plötzlich anders behandelt": Was passierte, als Magdalena Rogl einen neuen Nachnamen annahm
Wie gingen Sie vor?
Mit meinem damaligen Partner haben wir uns bewusst für das Kind entschieden. Das war wichtig. Bis kurz vor der Geburt habe ich noch gearbeitet. Es gab noch keinen so starken Mutterschutz.
Welche Rolle spielte Ihre Mutter?
Sie hat mich unterstützt, indem ich bei ihr die erste Zeit wohnen konnte. Sie haderte ein wenig, war aber selbst jung Mutter geworden und kannte die Lage.
Sie haben kroatische Wurzeln in der Familie, oder?
Ja, mein Vater, geboren und aufgewachsen in Deutschland. Eigentlich nur namentlich.
Spielte das eine Rolle?
Als ich nach der Hochzeit Rogl hieß, wurde ich plötzlich anders behandelt, ohne Vorurteile. Das fühlte sich einerseits gut an, andererseits war es ernüchternd, dass ich davor mit kroatischem Nachnamen häufig das Gefühl bekommen hatte, nicht ganz dazuzugehören.
Was haben Sie daraus geschlossen?
Dass in vielen Teilen unserer Gesellschaft Vorurteile stecken.
Wie ging es weiter nach der Geburt Ihres Kindes?
Ich habe schleunigst wieder angefangen zu arbeiten. In einer Kinderkrippe. Etwa vier Jahre später bekam ich einen zweiten Sohn. Das wollten wir so.
Klingt nach: Jetzt war alles geregelt …
War aber nicht so.

Schock, dann alleinerziehende Mutter
Warum?
Mein damaliger Ehemann hat sich von mir getrennt, kurz nach der Geburt unseres zweiten Sohnes. Zunächst ein Schock. Rückblickend muss ich sagen, dass er früher als ich erkannte, dass unsere Partnerschaft nicht funktionierte. Wir spielten eine perfekte Familie, waren aber nicht glücklich.
Jetzt bin ich noch neugieriger. Die meisten Mütter wären jetzt in einer ewigen Teilzeitfalle.
2010 trennten wir uns. Der große Sohn fünf, der kleine 14 Monate, ich Mitte 20, mit dem Gehalt einer Kinderpflegerin.
Irgendwo muss sich eine Tür geöffnet haben, oder?
Der Moment, als ich alleinerziehend war, ist entscheidend gewesen. Finanziell hätte das nicht funktioniert. Ich wollte nicht abhängig sein vom Staat oder von meinem Ex-Mann, hatte Verbindungen in die Medienbranche. Schon als Erzieherin klappte ich abends meinen Laptop auf und moderierte Kommentare auf Focus Online. Als Zweitjob.
Wie ging es weiter?
Ich fragte in der Redaktion, ob ich nicht mehr Stunden machen könnte. Das ging, ich wurde zum Glück irgendwann die Leiterin des Community-Managements.
Die erste Leitungsaufgabe?
Ja. Einfach war es nicht. Im Kindergarten konnte ich emotional sein. In der Bürowelt musste man im Vergleich wie ein Roboter funktionieren. Ich passte mich an. Einige Zeit später konnte ich in die Unternehmenskommunikation wechseln. Ich hatte das alles nicht gelernt. Heute sage ich, wer mit kleinen Kindern reden kann, der kann jede Art der Kommunikation. Die beste Schule.
Erst Kindererzieherin, dann Kommunikationsexpertin
Aber jetzt lief es doch.
Na ja. Es wurde umstrukturiert. Das Unternehmen reduzierte Personal, legte Redaktionen zusammen. Es war unklar, wie es weitergeht.
Ein weiterer Rückschlag?
Gerade als jemand mit Mittlerer Reife und einem Abschluss als Kindererzieherin. Aber ich hatte Selbstvertrauen, wusste, was ich kann.
Die nächste Etappe?
Eine Bekannte, heute eine gute Freundin, Anna-Lena, fragte mich, ob ich Interesse hätte, bei Microsoft zu arbeiten.
Dort wurde jemand gesucht?
Ja, erst habe ich gelacht, wusste nicht, wie das funktionieren soll. Wir führten aber gute Gespräche. Ich bewarb mich. Anfang 2016 durfte ich anfangen, hatte gleich Personalverantwortung und wurde geschätzt.
Sie hatten es geschafft. Von der Kinderpflegerin zur Managerin.
Irgendwie ja. Aber ich musste immer noch meine Emotionen verstecken.
"Müssen Emotionen zeigen": Was Magdalena Rogl am Arbeitsalltag kritisiert
Temperament?
Auch das. Dabei bin ich sicher, dass wir gerade in der Arbeit Emotionen zeigen müssen, um damit besser umzugehen, statt sie ständig zu verbergen. Sonst ist das irgendwann wie ein Dampfkochtopf, bei dem der Deckel hochfliegt. Das kennt man ja, die Leute, die austicken.
Statt die Energie zu kanalisieren und den Druck zu verringern?
Ja. Wir haben das verlernt.
Haben Sie etwas verändert?
Für mich war klar: Ich möchte eine empathische Führungskraft sein, meine Emotionen nutzen, das Team ermutigen, Emotionen zu zeigen und zu nutzen. Das kam nicht bei allen gut an. Eine Kollegin meinte, das untergräbt meine Autorität. Quasi: Du bist zu emotional.
Wie gingen Sie damit um?
Ich recherchierte und begann, darüber auf dem Portal Linkedin Artikel zu schreiben.
So kam es auch zu Ihrem Buch „MitGefühl“?
Ich hatte nie das Gefühl, ein Buch schreiben zu müssen. Über Linkedin kam eine Lektorin auf mich zu, sie hatte tatsächlich meine Artikel gelesen. Sie fragte, ob ich ein Buch schreiben möchte.
Buchautorin Magdalena Rogl: Warum wir mehr emotionale Intelligenz brauchen
Ein schöner Zufall.
Ich lehnte es erst ab. Die Lektorin blieb aber dran, war geduldig und überredete mich irgendwann.
Seit etwa fünf Jahren halten Sie Vorträge. Was erzählen Sie da?
Warum Emotionen in der Arbeit so wichtig sind. Und aktuell, warum wir mehr emotionale Intelligenz brauchen. Und zwar in Zeiten von Künstlicher Intelligenz. Der Zukunftsforscher Tristan Horx sagt immer so treffend: Wenn Roboter immer bessere Roboter werden, dann müssen Menschen auch bessere Menschen werden.
Emotionale Intelligenz als Kontrast zu Künstlicher Intelligenz?
Als Ergänzung. KI kann uns viel Arbeit abnehmen. Daher müssen wir unsere menschlichen Fähigkeiten wieder trainieren. Die Arbeitswelt brachte uns bei, wie Roboter zu funktionieren.
Hat Ihr Buch etwas verändert?
Es gab sehr viel Zuspruch. Ich werde häufiger für Vorträge angefragt. Menschen sehen dieses Thema und beschäftigen sich mit sich selbst. Und das ist der erste Schritt, es verlangt sehr viel Mut.
"Aus Wut kann Mut werden": Was sich Magdalena Rogl im Arbeitsalltag wünscht
Statt Emotionen auszuweichen?
Ja. Egal ob gute oder schlechte Emotionen. Der Umgang damit ist wichtig. Das sind Daten. Aus Wut kann Mut werden.
Also, ein konkretes Beispiel.
Gern.
Ein Kollege kämpft mit Tränen. Er verlässt das Großraumbüro. Wie würden Sie da reagieren?
Da gibt es keine Pauschallösung. Erst einmal muss ich überlegen: Welches Verhältnis habe ich zu der Person. Wenn es etwas freundschaftlicher ist, kann man schon nachgehen und sagen: Lass uns um den Block gehen, eine kleine Pause. Das gibt Raum für Emotionen. Wichtig ist, das Gespräch anzubieten, ohne es zu fordern.
Da kann es auch passieren, dass man zu nah dran ist.
Genau. Das verlangt uns viel ab. Am nächsten Tag kann man noch ein Gespräch unter vier Augen anbieten.
Anstatt die Lage auszusitzen?
Ja. Als Führungskraft würde mich unbedingt interessieren, was der Grund für die Wut und den Frust war.
"Da tut sich viel": Was sich Magdalena Rogl beim Leistungssport abkuckt
Den Begriff Emotionale Intelligenz gibt es schon seit den 90ern. Wird das wieder wichtig, weil Künstliche Intelligenz eine immer größere Rolle spielt?
Denke schon. Wir denken inzwischen viel darüber nach, wie wir zusammenarbeiten. Auch Teamführung war lange Zeit eine Selbstverständlichkeit, Hauptsache viel Autorität.
Sogar im Profifußball spielt das Thema Emotionen eine immer größere Rolle. Ist das ein großer Kulturwandel gerade?
In der Gesellschaft und im Profisport sowieso. Da tut sich viel.
Klingt alles wie: die Höchstleistung herausholen.
Ich meine das mehr im Sinne von: befähigen, leistungsfähiger zu sein, mehr Spaß zu haben. Da kann man sich definitiv vieles im Leistungssport abschauen. In allen Profi-Teams gibt es ja inzwischen psychologische Berater. Das würde ich mir in Unternehmen standardmäßig auch wünschen.
Wie sieht eigentlich Ihr Arbeitsalltag aus?
Ein bunter Blumenstrauß. Beginnt beim Employer Branding. Also: Wie werden wir als Unternehmen nach außen wahrgenommen? Das muss authentisch sein. Wenn nicht, hat man Mitarbeiter nur sehr kurz. Ich trage auch dazu bei, dass wir mehr Diversität anziehen. Auch bei Bewerbungsprozessen feile ich mit. Da geht es vor allem um Inklusion, damit sich Menschen mit Behinderung angesprochen fühlen.
"Glück allein reicht nicht": Was Magdalena Rogl jungen Frauen empfiehlt, um erfolgreich zu werden
Sie starten in ein Sabbatical, in eine Auszeit.
Ab 1. Juli, ja.
Darf ich fragen, warum?
Es ist eine schlichte, sechsmonatige Pause. Ich habe einen fordernden Job, dazu einen tollen Arbeitgeber, der das ermöglicht. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich eigentlich seit 24 Jahren durcharbeite. Dann kommen noch die ganzen Ehrenämter dazu. Ich habe lange gehadert. Aber ich erzähle meinen Kollegen ständig, wie wichtig es ist, Pausen zu machen. Daran muss ich mich mal halten.
Was wäre Ihr Rezept für junge Frauen, um ihr Leben so zu verwandeln?
Natürlich gibt es kein Pauschalrezept. Selbstbewusstsein ist wichtig, im eigentlichen Sinne. Nicht im Sinn von Coolness, sondern wirklich das Bewusstsein über uns selbst. Wer bin ich, was sind meine eigenen Leitlinien, was fällt mir leicht, was fällt mir schwer, was ist meine Leidenschaft? Wer das weiß, hat einen Kompass und kann besser navigieren, leben, arbeiten. Ein roter Faden.
Böse Zungen würden sagen: Sie hatten Glück.
Es gehört sicher ein bisschen Glück dazu, aber letztlich ist es nie Glück allein, das uns dorthin bringt, wo wir sind. Ich habe das Gefühl, vor allem Frauen nutzen das oft als Narrativ, um nicht arrogant zu wirken. Aber ich wünsche mir da mehr Selbstvertrauen. Ich darf stolz darauf sein, was ich erreicht habe.
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