Viktualienmarkt: Münchens Seele und Bauch

Der Viktualienmarkt ist Treffpunkt für Münchner wie für Touristen. Seine Tradition zeichnet ihn aus, gleichzeitig steht er vor großen Veränderungen.
Tina Angerer |
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Der Viktualienmarkt ist Treffpunkt für Münchner wie für Touristen. Seine Tradition zeichnet ihn aus, gleichzeitig steht er vor großen Veränderungen.

München - Nach den ersten richtig warmen Tagen ist auch der Viktualienmarkt in Hochform – die Münchner sitzen dort und schauen den Touristen zu, die Touristen schauen den Standlfrauen zu – und das Geschäft brummt. Wenn auch nicht mehr ganz so wie früher, auch das ist hier immer zu hören, denn auch der Grant wohnt auf dem Markt. In zweiter, dritter und sogar vierter Generation sind Händler hier, und sie sind skeptisch, was zu starke Veränderungen des Marktes angeht.

Doch Veränderung wird kommen. „Wir müssen den Markt sanieren, schon alleine wegen der neuen EU-Richtlinien”, sagt Bernd Plank vom Kommunalreferat. Um Fluchtwege geht es da, um Brandschutz. Die Stadt will den Markt aber auch ein einheitlicheres, moderneres Bild geben. Doch da wollen die Händler mitreden. Nach ordentlich Zoff im vergangenen Jahr stehen die Zeichen jetzt auf Zusammenarbeit. „Wir haben unsere Bedenken geäußert und das ist auch zur Kenntnis genommen worden”, sagt Elke Fett, die Sprecherin der Marktfrauen.

„Die Stimmung am Markt ist gut, wir halten untereinander zusammen.” Ein Beraterteam hat den Markt, seine Stärken und Schwächen analysiert, im Juni soll das Ergebnis den Händlern vorgelegt werden. Danach wird es wohl einen Architektenwettbewerb geben. Plank beruhigt: „Wir wollen Modernisierung, aber es ist auch klar, dass wir den Charakter des Marktes erhalten wollen.” Dieser Charakter lebt vor allem von der Individualität der Marktleute und Vielfalt der Produkte.

In der AZ zeigen zehn Standlbesitzer ihre besonderen Spezialitäten. 

 

 


 

Fischsuppe zum Nachmachen

Wenn es was Besseres sein soll, ist Fisch Witte immer die richtige Adresse: Edles in allen Varianten, Austern-Bar, Exotisches aus den Weltmeeren und heimisches Süßwasser-Getier. „If it swims, we have it“, heißt der international gehaltene Werbeslogan. Innendrin spricht man aber auch noch bairisch. Wie zum Beispiel Verkäuferin Luise Romeike, eine Tölzerin, die ihren Nachnamen von ihrem norddeutschen Mann hat. Im Bistro empfiehlt sie die Original Witte Fischsuppe (13,50 Euro). Aber nicht nur da. Denn noch raffinierter ist Fisch Witte für die, die Gäste haben und mal so richtig was hermachen wollen. Für die gibt’s nämlich die Fischsuppe zum Nachmachen. Man nehme Wittes Fischpfanne, bestehend aus Seeteufel, Lachs, Black-Tiger-Garnelen, kleinen Tintenfischen und Jakobsmuscheln (100 g, 4,50 Euro). Dazu die von Witte bereits vorblanchierte Gemüsemischung und den von Witte eingekochten Fischfonds – fast fertig ist die „Soupe de poisson“. Veredelt wir das Ganze dann noch mit der französischen Knoblauch-Chili-Mayonnaise, genannt Rouille – natürlich auch von Fisch Witte. Voilà! Oder wie Luise Romeike es ausdrückt: „Da kann man wirklich gar nix falsch machen.“

 


Savoir Vivre mit Obatzdem

Im Thoma – fromages et vins ist, unschwer zu erkennen, französische Lebensart angesagt. Rund 300 Sorten Käse verkauft Gisela van Riesen, besonders viele kommen aus Frankreich. Wenn man die Chefin um einen Käsetipp bittet, ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch eine der vielen Ziegenkäse-Sorten dabei. Der absolute Renner allerdings ist hier der Obatzde aus heimischer Herstellung (100 Gramm, 1,80 Euro). Mit dem nämlich, was der Münchner in den meisten Biergärten bekommt, hat der Obatzde hier nichts zu tun. „Das is ja meistens nur Quark mit ein bissl Camembert“, sagt sie und winkt ab. Ihr Obatzder besteht aus 15 bis 20 verschiedenen Sorten Käse, das genaue Rezept ist natürlich geheim. „Und Quark tun wir gar keinen rein“, sagt Gisela van Riesen. Jeden Tag wird der Obatzde mindestens einmal frisch gemacht – an den warmen Ostertagen waren es 60 Kilo am Tag. Dazu essen sollte man allerdings, so rät die Chefin, kein französisches Baguette, sondern natürlich eine bayerische Brezn. Die verkauft sie nicht, aber derlei gibt es ja am Markt genügend. Bei Kennern hält sich die These, dass es die besten Brezn bei Karnoll’s Back und Kaffeestandl gibt.

 


„Meine Sachen sind für die Seele“

Elke Fett ist nie weit weit. Sie steht nicht nur jeden Tag an ihrem Standl, sondern kann auch von ihrer Wohnung aus auf den Markt schauen. Duftschmankerl heißt ihr Laden: „Die Sachen, die ich habe, die braucht man eigentlich nicht. Aber haben will sie jeder“, lautet ihre Analyse. Duftpotpourris, die sie in kleinen Sackerln zusammengestellt hat, ätherische Öle, die man auf die Säckchen träufeln kann, handgemachte Ge-stecke – Elke Fett entwirft alle Kreationen selbst. „Bei mir gibt es nur Natur, da ist nichts aus Plastik.“ Früher war Elke Fett Buchhalterin, als sie hier anfing, war sie 50 Jahre alt. „Ich hatte keine Ahnung, aber ich wollte unbedingt auf den Markt – die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt sie heute. Viele Touristen kaufen bei ihr, aber nicht nur. „Wenn ein Mann grad Vater geworden ist, dann bleibt er bei mir stehen. Meine Sachen sind eben für die Seele.“ Ihr Lieblingsduft ist das Zitronenpotpourri: „Das ist erfrischend, hängen Sie sich das ins Bad oder ins Büro“, rät sie. Eine anderer Tipp sind handgemachte Schutzengel. „Die gibt’s nur bei mir. Die sind 100-prozentig aktiv“, verspricht sie, lacht und sagt dann leise: „Wenn Sie dran glauben.“

 


 Suppenküche ist der Klassiker

Für die kurze Mittagspause oder die Rast beim Einkaufen ist die Münchner Suppenküche der Klassiker. 1981 eröffnete ein Münchner Metzger die Suppenküche, in Anlehnung an die Tradition der „Auskochküchen, die in schlechten Zeiten heiße Suppe an arme Leute verkauften“. „Wir kochen garantiert ohne Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe“, sagt Filialleiter Martin Kretschmann. Filialleiter deswegen, weil die Suppenküche inzwischen vom Markt aus expandiert hat. Es gibt noch ein Geschäft in der Schäfflerstraße und neuerdings werden die Kreationen auch in Bechern als „Soops“ in einigen Supermärkten angeboten. Das Original ist und bleibt aber die Küche am Markt, die jetzt eine Spargelsuppe im Sortiment hat. Wenn es noch wärmer wird, kommen bald die kalte Joghurt-Gurkencremesuppe, die spanische Gazpacho und die geeiste Erdbeer-Rhabarbersuppe. „Unser absoluter Renner ist aber die Karotte-Kokos-Ingwer-Suppe“, sagt Kretschmann (4,20 Euro). Die ist ganzjährig ein Muss, nicht nur für Vegetarier. Neu ist das hausgemachte Bauernhofeis, das an der Suppenküche verkauft wird – mit dabei sind lactosefreie Fruchtsorbets und Soja-Eis.  


Radi und Radieserl vom Feldmochinger See

Elfriede Stockinger ist 71 Jahre alt, aber sie steht immer noch jeden Tag auf dem Markt. „Ich bin arbeiten gewöhnt“, sagt sie. Schon als Kind hat sie im Familienbetrieb mitgeholfen. Ihre Mutter kam als junge Frau in den 20er Jahren auf den Viktualienmarkt, sie übernahm 1975. Hier beim „Gartenbau Wilhelm Stockinger“ werden zum großen Teil Selbsterzeugnisse verkauft, die in der Nähe vom Feldmochinger See wachsen. „Früher war es einfacher auf dem Markt. Heute gibt’s ja überall alles, und viele Leute wissen nicht zu schätzen, dass unsere Ware etwas ganz anderes ist als das Zeug aus dem Supermarkt“. sagt Elfriede Stockinger. Zurzeit empfiehlt sie jungen Spinat, Eichblattsalat – und, passend zum Start der Biergartensaison, Radi, weißen und den roten, der mit Radieserl gekreuzt ist. „Der Radi ist noch aus Glashauszucht, richtigen Freilandradi gibt es erst in rund sechs Wochen, je nach Wetter“, sagt sie. Aber ihre Radieserl sind schon unter freiem Himmel gewachsen. Doch Vorsicht: „Freilandradieserl sind immer ein bissl schärfer.“

 


 Der süßeste Wein

Bienen sind sehr fleißig, das sieht man im Honighäusl – selbst aus Neuseeland, kommt der Honig, rund 70 Sorten sind es insgesamt. Bei den Touristen sind deswegen die Sammlungen von verschiedenen kleinen Gläschen beliebt, außerdem Kerzen, Seifen, Cremes. Die Einheimischen allerdings wissen vor allem zwei Dinge zu schätzen, die man eben in aller Welt so nicht kaufen kann: Den offenen Waldhonig, der aus Niederbayern kommt und in einem großen Fass bereit zum Zapfen steht (500 Gramm 5,95 Euro). „Die Leute bringen ihr eigenes Glasl mit und wir füllen auf“, sagt Inhaberin Eva Henn. Zweitens den Honigwein, auch Met genannt. Er wird eigens fürs Hoinghäusl hergestellt, die elf Prozent Alkohol entstehen durch die Zugabe der Hefe (0,7 Liter 5,90 Euro). Der Klassiker ist der Honigwein, gewärmt im Winter, wie eine Art Glühwein. „Er ist aber durchaus auch ein Sommergetränk, zum Beispiel gekühlt als Aperitif“, sagt Eva Henn. Und für die Verfeinerung von Eis gibt’s dann auch noch verschiedene Honigliköre.

 

 

 


„Bei uns ist schon Frühsommer“

Oster war Hochsaison für Erikas Blumenstandl, doch rein botanisch gesehen ist der Frühling jetzt definitiv vorbei. „Wir sind ja immer ein bisschen voraus – bei uns ist schon Frühsommer. Die Leute wollen jetzt keine Hyazinten mehr, sondern sind schon auf Pfingstrosen aus“, sagt Floristin Manuela -Yvonne Rannefeld. Den Stand hat Erika Schuster einst von ihrem Vater geerbt und inzwischen an ihre Tochter übergeben – der Name wird aber bleiben, er ist heute eine Marke für sich. Manuela arbeitet seit zehn Jahren am Markt. „Der Markt hat eine Eigendynamik, die kann man mit keinem geschlossenen Geschäft vergleichen“, sagt sie. „Die Leute genießen es, hier zu sein. Und das spürt man.“ Besondern liebt Manuela, dass die Menschen, die hierher kommen, so unterschiedlich sind. „Da kommt die Rentnerin, die sich nur eine einzige Blume kauft genauso wie die Steuerkanzlei, die was sucht, was richtig Eindruck macht.“ Manuelas Tipp jetzt: einheimische Rosen, Gerbera, Flieder, und wer etwas Zarteres möchte: Wicken und Maiglöckchen.

 

 


Auf eine Himbeer-Prosecco-Bowle

Seit vergangenem Sommer ist das Café Nymphenburg Sekt in neuer Hand – und hat den Markt insgesamt verändert. Nicht alle waren damals davon begeistert, dass Wirtefamilie Glöckle raus musste und das Café auch äußerlich verändert wurde. Offener und freundlicher schaut es nach dem Umbau aus. Ein bisschen, sagt Wirtin Antje Augstburger, hat sich das Publikum seit der Neueröffnung geändert. „Wir sind aber froh, dass immer mehr auch alte Stammkunden wieder zu uns kommen. Sie mischen sich mit jüngeren und Touristen“, sagt Augstburger. Das Café setzt auf saisonale Ware, zur Zeit gibt’s Spargelsuppe (5 Euro.) Spezialisiert haben sich die Betreiber auf hausgemachte Kuchen (jeweils 3,50 Euro). „Zurzeit haben wir Rhabarber-Streusel und einen Schmandkuchen mit Himbeeren“, sagt Augstburger. Ihr Frühlingstipp ist außerdem die Himbeer-Prosecco-Bowle (5 Euro). Wer gedacht hat, dass Sprizz bereits out ist, der wird hier eines Besseren belehrt. „Wir haben neben dem klassischen Aperol-Sprizz auch einen Limoncello-Sprizz und einen mit Holler-Sirup.“ (jeweils 5 Euro)

 


 

Schweinernes in Rot-Weiß-Rot

Ja, das hört der Bayer nicht so gerne, aber vom Essen haben die Österreicher nunmal Ahnung, besonders vom deftigen Umgang mit Schwein. „Sie würzen einfach besser“, meint Fatmir Kabashi von Martin Bablers Räucherkistl aus Österreich. Deswegen empfiehlt er Knoblauchspeck und Schwarzgeräuchertes. Bei Kindern ist der Renner die Extrawurst, eine österreichische Fleischwurst. Die Tiere stammen ebenfalls alle aus Österreich, sagt Kabashi. Wer hier einkauft, sollte außerdem nicht ohne Grammeln heimgehen. Auf Deutsch heißen sie Grieben, das ist ausgelassener Schweinespeck. „Aber Grieben gibt es hier immer weniger“, sagt Fatmir und zeigt seinen großen Grammel-Topf. Die Österreicher verarbeiten sie gerne in Knödel oder Strudel, sie taugen aber auch für Soßen. Danach, auch davon verstehen die Österreicher was, brauchen manche einen Schnaps. Fatmir em-pfiehlt die Obstbrände der Familie Hofbauer: 0,5 Liter 10,60 Euro, garantiert parfümfrei.

 


Ludwig der Dritte, König der Gurken

„Ich bin Ludwig der Dritte“, sagt Ludwig Freisinger. „Das ist besonders praktisch, weil wir das Schild nicht austauschen müssen.“ Der erste Ludwig Freisinger war sein Opa, aber schon dessen Vater, Johann Baptist Freisinger war es, der die Familientradition begründete und 1903 auf den Viktualienmarkt kam – damit ist der Freisinger einer der ältesten Stände. Hier gab es die ersten Oliven am Markt, und die Münchner staunten, als der Freisinger von der ungarischen Grenze die ersten Peperoni mitbrachte und mit Paprika gefüllte Oliven – absolut exotisch. Heute hat er 125 Olivensorten, Gewürze, selbstgemachtes Pesto. Berühmt aber ist Freisinger besonders für seine Gurken – für die süß-saueren oder die scharfen Essiggurken, die Salz- und die Senfgurken. Sie stammen alle aus Niederbayern, einlegen tut sie Freisinger selbst und hat damit heute die einzige Gurkeneinlegerei Oberbayerns. „Eingelegt wird ab Mitte Juli, nach vier Wochen sind die erste Gurken dann durchgezogen“, erklärt Freisinger – sie halten aber über ein Jahr. Und die Salzgurken, die legt er heute noch nach dem gleichen Rezept ein wie einst sein Urgroßvater Johann Baptist.

 

 

 

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