Vier Monate nach Kriegsbeginn: So geht es den Münchner Ukraine-Helfern
München - Es begann mit einem Instagram-Post am 25. Februar. Anna Rai rief kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine dazu auf, Spendensachen bei ihr zu Hause abzuliefern. Was folgte, hätte sich die junge Frau niemals ausmalen können: Unmengen an Spenden wurden gebracht. "Meine Nachbarn konnten nicht mehr zum Aufzug gehen, die Treppenhäuser und Flure waren vollgestopft", erinnert sich Rai.
Heute, knapp vier Monate später, leitet sie die Hilfsorganisation Help Ukraine. Seit den ersten Lieferungen, damals noch mit Minibus, wurden 28 Transporte organisiert, mit 486 Paletten an Hilfsgütern, insgesamt 300 Tonnen. Die Organisation besteht aus mehr als 200 aktiven Helfern und rund 400 eingetragenen Freiwilligen, die auf Abruf helfen.
München: 40-Tonner statt Minibusse in die Ukraine
Heute fahren keine Minibusse mehr, sondern 40-Tonner. "Wir möchten ab jetzt anfangen, in Paketen zu rechnen. Wir stellen uns vor, jedes Paket rettet ein Menschenleben. Das motiviert uns", sagt Rai.
Woher sie ihre Energie geschöpft hat, kann sie sich nicht genau erklären. Sie habe sich in den ersten Wochen vollkommen verausgabt. Sie habe kaum geschlafen, denn ihre Wohnung habe sie geflüchteten Menschen aus der Ukraine zur Verfügung gestellt. Vor lauter Arbeit habe sie vergessen zu essen. Das ging nicht lange gut und sie musste lernen, für sich zu sorgen.

Anna Rai: "Auch Helfen hat seine Grenzen"
Rai weiß mittlerweile: "Auch Helfen hat seine Grenzen. Jeder muss herausfinden, wie viel er wirklich geben kann." Dass die Sachspenden abgenommen haben, die Hilfe insgesamt etwas abgeflaut ist, das wundert sie nicht. Im Gegenteil: "Ich kann es verstehen. Es ist Sommer, die Pandemie und die Ukrainekrise haben die Menschen erschöpft. Jetzt möchten sie leben, sich erholen und das ist ganz richtig so."
Sie sei sich ganz sicher, dass nach der Sommerpause die Hilfsbereitschaft wieder steige. "In den letzten Monaten habe ich festgestellt, dass die Menschen sich im Krisenfall auf jeden Fall unterstützen und füreinander da sind. Da bin ich mir ganz sicher."
Es kommen weniger Sachspenden, dafür weiterhin Geld
Sachspenden hätten zwar abgenommen, dafür werde aber immer noch Geld gespendet, welches letztendlich viel gezielter eingesetzt werden kann. Die Organisation erhalte auch Spenden von Firmen, gleich palettenweise. "Wir kriegen Bedarfsanfragen aus der Ukraine, zum Beispiel wird allergenfreie Babynahrung dringend benötigt. Bestimmte Medikamente, Erste-Hilfe-Koffer, Schutzwesten für Ärzte und Journalisten. All das können wir gezielt mit dem Geld kaufen und anliefern, wo es gebraucht wird", erklärt Rai. "Daher hilft uns Geld im Moment mehr."
Es würden ausschließlich Hilfsgüter für Zivilisten besorgt, nicht für das Militär. Außerdem sei Transparenz eine ganz wichtige Prämisse. So werden die Güter mit Aufklebern gekennzeichnet, die Lieferung wird fotografisch dokumentiert. "Wir arbeiten gerade daran, dass unsere Spender auf der Homepage jede einzelne Lieferung verfolgen können."
Weiter Helfer gesucht – Sachspenden willkommen
Dennoch seien auch Sachspenden weiterhin willkommen, auch wer beim Sortieren und Verpacken mithelfen will, kann gerne in die Nymphenburger Straße 86 kommen. "Es gibt Menschen, die bringen eine Spende vorbei, bleiben dann zum Helfen hängen und kommen immer wieder. Es scheint ihnen bei uns zu gefallen. Vielleicht sind es auch unsere selbst gepflanzten Tomaten", sagt Anna Rai und lacht.
"Mir ist aber ganz wichtig zu betonen: Jede Hilfe ist viel wert, eine einzelne Sachspende, fünf Euro, oder zwei Stunden Arbeit. Es geht nicht darum, möglichst viel zu tun, es geht darum, dass man sich selbst dabei noch gut fühlt."
Studentenorganisation sucht tatkräftige Hilfe
Vor allem auf tatkräftige Hilfe ist die Studentenorganisation Students for Ukraine momentan angewiesen. Auch hier war die Hilfsbereitschaft anfangs groß. Bei dem ersten studentischen Zoom-Treffen waren mehr als 200 Studierende aus den verschiedenen Fachschaften der LMU dabei. Sie taten sich mit Studenten der Technischen Universität und der Hochschule München zusammen, organisierten Demonstrationen, sammelten Spenden für die ukrainische griechisch-katholische Kirche.
"Uns war klar, dass die Hilfe abebben würde, die Studierenden haben oft mit Studium und Nebenjobs viel zu tun. Aber immerhin können wir unsere Programme noch aufrechterhalten", schildert Sprecherin Luca Katharina Gnibl die Entwicklung. Da gebe es zum Beispiel das Programm Students for Children. Studierende würden hier mit Unterstützung des Kulturzentrums Luise geflüchtete Kinder betreuen.

Dann sei da noch ein Peer-to-Peer-Programm, bei dem sie sich als Mentoren für ukrainische Studierende zur Verfügung stellen, die in München weiterstudieren möchten. Es gebe auch ein Sprachprogramm, das zusammen mit dem Institut Deutsch als Fremdsprache organisiert werde.
Glücklicherweise seien noch genügend Studierende aktiv, um diese Programme zu stemmen. Jeder Mensch, egal ob Student oder nicht, sei weiterhin willkommen, mitzuhelfen und sich auch mit eigenen Ideen einzubringen. "Mit mehr Unterstützung könnten wir natürlich noch so viel mehr auf die Beine stellen", weiß Gnibl. Nun sei erst einmal ein weiterer wichtiger Schritt geplant: "Als gemeinnütziger Verein hoffen wir darauf, nach außen hin mehr bewirken zu können. Die Gründung steht kurz bevor."
Immer noch kommen täglich 300 Ukrainer in München an
Auch der Caritasverband ist weiterhin stark auf Unterstützung angewiesen. Während anfangs sehr hohe Geldspenden eingegangen seien, würden diese nur noch vereinzelt eintreffen, erzählt Julia Schäfer, Leiterin der Fundraising-Abteilung.
"Wir haben immer noch einen hohen Bedarf, zum Beispiel für unseren Info-Point." Der Verband unterhält am Hauptbahnhof eine solche erste Anlaufstelle für ankommende Flüchtlinge. Dort werden sie erstversorgt, erhalten Beratung und werden weitervermittelt oder bei der Weiterreise unterstützt.
"Der Großteil der Spenden ging in diese Hilfsangebote", erklärt Schäfer. Dazu gehören auch die Sozialdienste in den Flüchtlingsunterkünften.
Laut Auskunft des Caritasverbands treffen nach wie vor täglich rund 300 aus der Ukraine geflüchtete Menschen in München ein, die auf Hilfe angewiesen sind.