Erstmals seit 40 Jahren genutzt: Vergessener Bahnhof in München ist wieder in Betrieb

Langsam und mit quietschenden Bremsen schiebt sich der Autoreisezug in den Münchner Südbahnhof. Auf den Anhängern glänzen Motorräder und schicke Sportwagen von Porsche oder Abarth im Sonnenlicht, aber auch sonstige große und kleinere Pkw sind auf dem Auto-Anhänger des „Urlaub-Express“ geladen.
Die Passagiere steigen nach und nach aus den vorderen Waggons, einige wirken verschlafen, reiben sich die müden Augen, tragen ihre Kissen unterm Arm. Sie haben die Nacht in Liege- oder Schlafwagen verbracht. Rund 10 Stunden waren sie unterwegs auf der Strecke von Hamburg nach München.
„München Süd“ steht auf blauen Schildern am Ankunftsgleis 25 des neuen Autozug-Bahnhofs in Sendling. Kurz zuvor war auf dem weitläufigen Gelände noch kaum jemand unterwegs. Nach 40 Jahren steigen hier seit Mai dieses Jahres wieder regelmäßig Gäste ein und aus. Davor wurden ausschließlich Güter transportiert oder Züge zum Pausieren abgestellt.
Neuer Autozug-Bahnhof in Sendling: Erstmals wieder Fahrgäste nach 40 Jahren
Pünktlich gegen 7.40 Uhr an diesem Montag fährt der Autozug ein. Auch Heike Schütte und Wolfgang Drewelies aus Hamburg sind in einem der Liegewagen mitgefahren. Ihr Oldtimer ist hinten auf dem Autowaggon aufgeladen. Die Autostrecke bis München sei für sie nicht sonderlich attraktiv, sagt Schütte. „Deshalb haben wir uns für den Autoreisezug entschieden.“

750 Euro hätten sie für die einfache Zugstrecke gezahlt, sagt Drewelies. „Komfortabel ist etwas anderes“, sagt Schütte, „ich weiß nicht, ob ich es nochmal machen würde.“ Recht frisch sei die Nacht gewesen und die Liegeflächen sehr hart. Zurück nimmt das Paar dann das Auto. Für ihre Zwecke sei die Reise mit dem Autozug aber in Ordnung gewesen, sagt Drewelies.
Beim Kölner Unternehmen „Train4you“ können die Reisen ab 200 Euro, von oder nach Hamburg, gebucht werden. Das Unternehmen ist der einzige Anbieter, der den Bahnhof nutzt. Demgegenüber steht eine Investition von rund 20 Millionen Euro in die neue Anlage, die auch in die Gesamtkosten der Zweiten Stammstrecke einfließt. Theoretisch könne die Anlage von weiteren Anbietern genutzt werden, sagt Projektleiter Tobias Heinrich von der Deutschen Bahn (DB). Die DB selbst hat den Betrieb eigener Autoreisezüge schon 2016 eingestellt.

Kölner Unternehmen bietet die Zugreisen an
Für „Train4You“ scheint sich der durchaus aufwendige Betrieb von Autozügen zu lohnen. Je nach Saisonphase liege die Auslastung der Züge bei 60 bis 100 Prozent, teilt das Unternehmen auf AZ-Anfrage mit. Die Züge bieten Platz für rund 70 Autos, je nach Höhe des Motorrad-Anteils. Auch am vergangenen Montag ist der Zug gut ausgelastet.
Pro Zug sei theoretisch Platz für rund 300 Fahrgäste. Kunden würden jedoch häufig ganze Abteile buchen – für mehr Privatsphäre. Im „Urlaubs-Express“ kommen Schlafwagen und Liegewagen zum Einsatz.
Fast hätte es in München kein Autoreisezug-Terminal mehr gegeben. Vor der Errichtung der neuen Anlage kam es zu Unstimmigkeiten zwischen der DB und „Train4You“. Wie die „SZ“ damals berichtete, beabsichtigte die Bahn, den Terminal am Ostbahnhof ersatzlos aufzugeben, denn der musste dem Bau der Stammstrecke weichen. „Train4You“ kündigte dagegen rechtliche Schritte an.
Daraufhin begann die DB mit der Suche nach möglichen Ersatzstandorten, wobei unter anderem Kempten oder Rosenheim geprüft wurden. Am Ende wurden diese Vorschläge verworfen. Den Zuschlag erhielt das Gelände in Sendling.
Südbahnhof geriet eigentlich in Vergessenheit
„Die DB-Infrago ist verpflichtet, Infrastruktur zu erhalten“, sagt Tobias Heinrich. Gleichzeitig sollte eine möglichst gleichwertige Anlage zum bisherigen Standort am Ostbahnhof bereitgestellt werden. Der Südbahnhof habe den Vorteil einerseits nah am Mittleren Ring und andererseits auch über die U-Bahnlinien gut angebunden zu sein. Und: Man sei so weiterhin in der Stadt, so Heinrich.
Seit 1985 war der Südbahnhof eigentlich nur noch ein Rangier- und Güterbahnhof, Fahrgäste stiegen hier nicht mehr ein. Für viele Münchner geriet der einstige Halt „München Süd“ dadurch in Vergessenheit.

Die ankommenden Fahrgäste müssen nach ihrer Ankunft an Gleis 25 etwas umständlich über die Thalkirchner Straße bis zur Ecke Tumblinger Straße laufen – schätzungsweise 250 Meter. Die Zugänge zu dem Gleis und zu dem neuen Servicegebäude sind dafür komplett barrierefrei. Der Kundenbereich hat zudem Sitzgelegenheiten und Sanitäranlagen.
Lange warten müssen die Passagiere aber ohnehin nicht. Bis die Fahrgäste in ihre Autos oder auf die Motorräder steigen können, geht es recht schnell. Der Autowaggon wird innerhalb weniger Minuten von dem Ankunftsgleis zum Verladegleis 49 gefahren. Rund 35 bis 45 Fahrten von und nach München gibt es derzeit laut „Train4you“ pro Jahr. Die Planungen für 2026 würden laufen, auch neue Verbindungen sollen geprüft werden.
Renaissance der Autozugreisen? „Zielgruppe bleibt eng“
Auf Anfrage der AZ rechnet Norbert Moy, Vorsitzender des Fahrgastverbandes „Pro Bahn“ in Oberbayern, nicht unbedingt mit einer großen Renaissance der Autozugreisen – so wie es etwa bei Nachtzugreisen derzeit der Fall sei. „Die Zielgruppe bleibt eng“, sagt Moy, „das heißt aber trotzdem nicht, dass es auch wieder mehr Verbindungen geben kann.“
Früher sei die Nutzung von Autozügen deutlich stärker gewesen. „Mit dem Rückgang der Nachtzüge hat auch das Thema Autozüge massiv verloren“, erklärt Moy. Dass das Autoreisezug-Terminal erhalten bleibt, sei dennoch eine gute Entscheidung der Bahn gewesen. „Das neue Terminal ist aus unserer Sicht die einzige Option gewesen.“ Autozüge hätten ihre Berechtigung, sagt Moy. Und es sei natürlich besser, wenn Menschen die langen Strecken mit dem Zug zurücklegen als mit dem Auto.

In gemächlichem Takt verlassen zuerst die Autos den Waggon, rollen über die Rampe hinunter. Dann folgen die Motorräder, deren Motoren in der morgendlichen Ruhe aufheulen. Durch die Ausfahrt an der Thalkirchner Straße, Ecke Oberländerstraße löst sich der Zug der Fahrzeuge auf und verschwindet im Verkehr. Für viel Verkehr sorgt der Prozess zu den Abfahrts- und Ankunftszeiten eher nicht. „So viele Autos sind es nicht, dass es hier zu einem Verkehrschaos führen würde“, sagt auch Tobias Heinrich.
Auch die Hamburger Heike Schütte und Wolfgang Drewelies fahren inzwischen in ihrem Oldtimer von der Rampe und verabschieden sich vom Südbahnhof. Sie wollen in Richtung Alpen weiterreisen.