Kommentar

Verbotswahn in München: Der Kampf um die neue Kioskkultur ist absurd

Plötzlich geht die Stadt mit Härte gegen Spät-Kioske vor. Dabei schätzt sie Mehrheiten in der Stadt falsch ein, hört jungen Menschen nicht zu und gefährdet in der Konsequenz ein Stück Münchner Lebensgefühl, kommentiert AZ-Lokalchef Felix Müller.
von  Felix Müller
Im Studentenviertel kann es nachts schnell laut werden. Grund genug für mehr Verbote?
Im Studentenviertel kann es nachts schnell laut werden. Grund genug für mehr Verbote? © Andre Spannl

Diese Stadt hat große Probleme. Die Frage, ob jemand kurz vor acht im Supermarkt eine Tüte Chips kauft oder kurz danach an einem Kiosk, gehört nicht dazu. Das KVR macht München mit seinem Vorgehen zum Gespött.

Kiosk-Krach in München: Es geht um viel mehr als um Chips

Die Posse um die Chips kann man lustig finden. Muss man aber nicht. Denn die Debatte führt weit über vermeintlich banale Fragen hinaus. Es geht darum, wer etwas zu sagen hat und wem keiner zuhört, wie viel Liberalität München erträgt, wie viel Straßenleben mit jungen Menschen in einer Stadt möglich ist, die so stolz ihre räumliche und kulturelle Nähe zu Italien betont.
In der Debatte um die Spät-Kioske klingt es nicht nur bei der CSU oft, als rege sich die halbe Stadt über die kleinen Shops auf. Dabei zeigt die Münchner Realität dieser Jahre eher das Gegenteil. Viele fleißige Menschen – fast immer mit Migrationsgeschichte übrigens – entschließen sich, sieben Tage die Woche sehr viel zu arbeiten und den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen.

Und das, weil es sich lohnt. Offensichtlich Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende Münchner haben Lust auf dieses bisschen Großstadt-Gefühl, das fast überall auf der Welt normal ist. Am Sonntag einzukaufen (vielleicht sogar eine Tüte Chips!) oder an einem Sommerabend mit einer Flasche Bier in der Hand herumzuflanieren.

Es geht auch darum, dass Bars so teuer geworden sind

Kiosbesitzer Shivan Beseh / ab 22 Uhr kein Bier mehr  Kiosk in Schellingstraße  Foto: Daniel von Loeper, Fotograf: Daniel Loeper
Kiosbesitzer Shivan Beseh / ab 22 Uhr kein Bier mehr Kiosk in Schellingstraße Foto: Daniel von Loeper, Fotograf: Daniel Loeper © Daniel Loeper

Dass Zweiteres auf sehr, sehr viele Menschen (zumal unter jenen unter 50) zutrifft, lässt sich an jedem sonnigen Tag an der Isar sehen. Ja, es gehört für sehr viele zu ihrem Münchner Sommer-Gefühl. Es lässt sich aber auch daran sehen, wie riesig der Markt für die Spät-Kioske offensichtlich ist.
Dass sie nun mit einer Vehemenz bekämpft werden, die gegenüber dem Kulturgut Wirtshäuser zurecht undenkbar ist (deren Freischankflächen ja ebenso einerseits Freude und andererseits auch Belastung für Anwohner bringen), ist unfair und absurd. Übrigens auch, weil man sich Gastronomie leisten können muss.

Stadtleben verändert sich. Und viele Münchner, gerade jüngere, haben es immer schwerer, sich Besuche in Bars und Restaurants leisten zu können. Eine Halbe zum Mitnehmen aber gibt es häufig schon um die 2 Euro.

An den allermeisten Ecken der Stadt gibt es gar kein Problem

Es wird Zeit, dass sich Stadt-Politiker trauen, all diese Argumente zu sehen und ernstzunehmen. Und es wird Zeit, dass das KVR zum Augenmaß zurückkehrt. Damit nicht wegen sehr punktuellen Konflikten mit Anwohnern am Ende ein ganzer Geschäftszweig gefährdet wird. Dessen Aufblühen viele junge Münchner gerade in diesem Sommer sehr genießen. Und das an den allermeisten Ecken dieser Stadt ohne jedes Problem.

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