"Unser München verliert seine Seele"
Die Schoppenstube soll schließen. Die Stammgäste protestieren mit einem spontanen Besuch am Ruhetag. Sie stehen zu Gerti Guhl – so wie die Wirtin seit 40 Jahren zu ihnen.
München - Dienstag ist eigentlich Ruhetag bei Gerti. Doch nicht an diesem. Vorgestern um 21 Uhr schließt die Wirtin ihre Schoppenstube für Stammgäste auf. „Heut’ gibt’s a Fest“ tröpfelt es aus der Stereoanlage. Feiern will niemand, lieber zusammensitzen und beraten, was zu tun ist. Die Schoppenstube steht vor dem Aus.
Über Facebook wurde in der Nacht zum Dienstag bekannt, dass die Kult-Kneipe von Gerti Guhl bald schließen muss (AZ berichtete). Nach fast 40 Jahren wollen die Vermieter das Nachtlokal aus ihrer Immobilie an der Fraunhoferstraße haben. Die Kündigung soll im Mai oder Juni rausgehen – so berichtet Gerti Guhl. Kurz vor dem Kneipen-Jubiläum.
Ihre Gäste sind das Lebenselixier der 64-Jährigen. Während sie die erste Runde Wein noch mit feuchten Augen verteilt, hellt sich ihr Gesicht im Laufe der Nacht mit jedem Gast auf, der durch die Tür tritt und sie herzlich umarmt. Die Zuversicht wächst. Um Mitternacht scheint es, als ob die Wirtin das drohende Ende vergessen hat, als sie Schokolade und Prosecco ausgibt, ihre berühmten Fleischpflanzerl an die rund 50 Solidaritäts-Besucher verteilt.
„Das alte München verschwindet“, „Unsere Stadt verliert ihre Seele“. Es sind Sätze wie diese, die man die Gäste immer wieder sagen hört.
Nur wenige Meter von der Schoppenstube entfernt soll demnächst ein einstöckiges Gebäude, in dem früher ein Restaurant mit wunderschönem Innenhof gewesen ist, den Baggern weichen. Es wird dort ein neuer Bürokomplex entstehen. Noch einer.
Ein Büro – das schwebt wohl auch den Vermietern von Gerti Guhl vor, einem Münchner Brüderpaar. Sie wollen das Lokal loswerden. „Wir müssen durchgreifen“, erklärt einer der beiden im Telefonat mit der AZ. Immer wieder gebe es Beschwerden der anderen Mieter, weil es zu laut sei. „Wir verhandeln gerade“, sagt er auf die Frage, ob und wann die Kündigung kommt. Gerti Guhl müsse sich aber darauf einstellen.
Ein Faktencheck beim Kreisverwaltungsreferat: Beschwerden über zu laute Musik oder lärmende Gäste sind dort in den vergangenen 15 Jahren nicht eingegangen.
Viele, die an diesem Abend in die Schoppenstube kommen, halten das Argument „Lärmschutz“, das die Vermieter anbringen, ohnehin für vorgeschoben. Als wenn es einmal nicht um den schnöden Mammon gehen würde.
Es sind vor allem jüngere Leute um die 30, die ihre Anteilnahme an Gertis Schicksal mit einem spontanen Besuch zeigen. Über Facebook haben sie sich organisiert. „Jung und Alt halten z’samm“, sagt Gerti.
Der Nachtschwärmer-Nachwuchs bei Gerti ist stark, weil es hier eben kein Schickimicki gibt. Weil man die Gerti einfach mögen muss – und weil sie selbst die Menschen so mag. „Ich bin so gerührt, das hätt’ ich nie gedacht, dass sich so viele Menschen für mich einsetzen.“ Über Nacht wurden 300 Münchner neue Fans der Facebook-Seite. „So viel Menschen seh ich ja auf meiner Beerdigung nicht“, ist Gerti erstaunt. Und teilt eine Runde Glückskäfer aus.