Ungewöhnlicher Anblick: Baut die Stadt München neuerdings Getreide entlang der Straßen an?
Hoppala, wächst da Getreide mitten in der Stadt? Wer in diesen Tagen durch West-Schwabings Wohnstraßen spaziert, sieht es entlang von Grünstreifen am Gehsteig sprießen, unter Straßenbäumen und auf Grüninseln zwischen Parkplätzen. Wo früher schnöde Wiese gewachsen ist, stehen plötzlich kniehoch hellgrüne Ähren mit langen Grannen.
In Schwabing wachsen Ähren an etlichen Ecken – was hat es damit auf sich?
An etlichen Ecken ist das so, von der Ainmillerstraße bis zum Pündterplatz, von der Fallmerayer- bis zur Destouchesstraße. Das schaut ein bisserl aus wie auf Gerstenfeldern draußen auf dem Land. Haben die städtischen Gärtner ein neues Pflanzkonzept? Gibt’s ein Pilotprojekt, das sich noch nicht herumgesprochen hat? Hat die Stadt gar heimlich einen Anbaudeal mit Braugerste-Bauern gemacht? Eine AZ-Nachfrage beim Baureferat, das das sogenannte Straßenbegleitgrün pflegt, klärt auf.

Nein, kein Braugerste-Deal, auch kein neues Testprojekt. Was da so ungewöhnlich sprießt, ist eine Laune der Natur – und zwar: Mäuse-Gerste (Hordeum murinum), ein wilder Verwandter von Getreidegerste. Beide gehören zur Pflanzenfamilie der Süßgräser. Man könnte auch sagen: Unkraut. "Wir haben das nicht angepflanzt", erklärt die Landschaftsarchitektin und Gärtnerin Gabriele Feneberg, die im Baureferat für Umweltplanung und Artenvielfalt zuständig ist. Die Idee ist eigentlich eine andere gewesen.

Rechnet man alle Grünstreifen zusammen, kommt man auf eine Fläche, die größer ist als der Englische Garten
Seit 2021 mäht die Stadt in Schwabing-West (inzwischen auch in anderen Vierteln) testweise nur noch zweimal im Jahr das Gras entlang der Straßen und Gehwege ab. Dadurch sollen blütenreichere Wiesen entstehen – als Lebensraum für bedrohte Bienen, andere Insekten und Kleinlebewesen. Das könnte durchaus einen Effekt haben. Denn rechnet man alle Straßenbegleitgrün-Streifen zusammen (490 Hektar), kommt eine Fläche heraus, die größer ist als der komplette Englische Garten (374 Hektar).

Nun, so richtig gut geklappt hat das mit den wilden Wiesenblumen in Schwabing noch nicht. Dass bislang nur ein Teppich an Mäuse-Gerste wächst (die zwar Pollen bietet, aber keinen Nektar), darüber sei man "nicht wahnsinnig erfreut", sagt Gabriele Feneberg, "es macht uns aber auch keine Sorgen". Denn Mäuse-Gerste breite sich zwar schnell aus. Sie sei aber nur eine einjährige Pflanze. "Nächstes Jahr wird es auf den Flächen wieder ganz anders ausschauen."
Eine andere Pflanzenart macht Sorgen: "Der würde heimische Pflanzen verdrängen"
Besorgter wäre man, wenn sich etwa Japanischer Staudenknöterich ausbreiten würde. "Der würde heimische Pflanzen verdrängen, und den bekommt man nur schwer wieder aus einer Grünfläche raus." Aber wie kommt die Mäuse-Gerste, die ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammt (und Hitze und Trockenheit verträgt), nun mitten ins Viertel?

Üblicherweise wächst sie auf Stadtbrachen, an Böschungen, Bahndämmen, Wegrändern, Schuttplätzen, Mauerritzen. Überall da, wo Flächen sich selbst überlassen sind, regelmäßig zertrampelt werden und wo ihnen wenig andere Pflanzen Konkurrenz machen. "Zum einen verbreitet sie der Wind", erklärt Gabriele Feneberg, "außerdem haben die Samen Widerhaken, die sich im Fell von Tieren festsetzen, wodurch sie sich auch leicht verbreiten".

Schon in "ein bis zwei Wochen" sollen Rasenmäher anrücken
Auch denkbar sei, dass über verstreutes Taubenfutter Samen in den Boden gelangen. Und was auch eine Rolle spielen könnte: "Es kann sein, dass an diesen Grünflächen zu viele Hunde in die Wiesen gebieselt haben und deshalb die vorherige Vegetation eingegangen ist. Wo nichts anderes wächst, breitet sich die robuste Mäuse-Gerste als Pionier gerne aus."

Lange werden die Anwohner jetzt aber nicht mehr über ihren Schwabinger Getreideteppich staunen können. Schon in "ein bis zwei Wochen" sollen Rasenmäher anrücken, für die erste Mahd in diesem Jahr. Dann wachsen – jedenfalls heuer – keine Ähren mehr nach.
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