S-Bahn-Chaos nahe München: Pullach reicht's
Seit Dezember 2024 sind die beiden ehemaligen S7-Äste geteilt und die S-Bahn fährt nur noch von Wolfratshausen bis zum Münchner Hauptbahnhof. Dadurch sollte die Linie pünktlicher und zuverlässiger werden – eigentlich.
Stattdessen nahmen die Verspätungen aber sogar zu. Die Gemeinde Pullach hält die Situation für nicht mehr tragbar und wendet sich jetzt mit einem Brandbrief an den S-Bahn-Betreiber. Susanna Tausendfreund (Grüne) sitzt in ihrem Büro im Pullacher Rathaus. In den Händen hält die Bürgermeisterin den Brandbrief ihrer Gemeinde an die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG), die für den S-Bahn-Verkehr zuständig ist.
Pullachs Bürgermeisterin: "Das ist die Hauptverkehrsachse"
"Wir haben jetzt hier sozusagen zur Öffentlichkeitsarbeit gegriffen. Wenn der öffentliche Druck nicht aufgebaut wird, dann passiert wahrscheinlich auch nichts", sagt Tausendfreund der AZ.
Neben der Eisenbahngesellschaft sei der Brief an viele andere Adressaten geschickt worden, die politisch Einfluss nehmen könnten. Außerdem schickte die Gemeinde Pullach das Schreiben an die weiteren betroffenen Gemeinden. "Wir tauschen uns da regelmäßig aus und schauen, dass wir, wenn wieder ein runder Tisch kommt, miteinander stark auftreten", sagt die Bürgermeisterin.

Sie betont, wie wichtig die S-Bahn für ihre Gemeinde ist: "Das ist die Hauptverkehrsachse." Wenn alles nach Plan laufe, sei man in 20 Minuten am Hauptbahnhof. "Wir können froh sein, dass so viele Leute mit der S-Bahn überwiegend in die Stadt hineinfahren und nicht mehr mit dem Auto."
Tausendfreund: "Wir haben sogar in Pullach mehr Einpendler"
Aber nicht nur für Pendler nach München sei die S-Bahn wichtig, so die Grünen-Politikerin: "Wir haben hier große Arbeitgeber mit mehreren Tausend Arbeitsplätzen. Wir haben sogar in Pullach mehr Einpendler, die hier arbeiten, als Auspendler, die zur Arbeit woanders hinfahren."
Zudem werde die S-Bahn von vielen Schülern genutzt. Die Schulen hätten teilweise sehr große Einzugsgebiete. Am Morgen und am Nachmittag seien ganze Schülerkarawanen unterwegs, sagt Tausendfreund.
Probleme seit dem Sommer
Der AZ sagt die BEG, sie könne den Unmut nachvollziehen. Verantwortlich für die Probleme seit dem Sommer seien vor allem die neu entstandenen infrastrukturellen Einschränkungen wie Langsamfahrstellen sowie Störungen der Leit- und Sicherungstechnik. Für die Schieneninfrastruktur sei aber die DB InfraGO AG zuständig, mit der man im stetigen Austausch sei.
Lange Schließzeiten sorgen für Ärger
Pendler, Schüler und andere Fahrgäste haben aber nicht nur mit Verspätungen und Ausfällen der S7 zu kämpfen. Ein weiteres Problem seien die langen Schließzeiten an den drei Schranken über die Gleise, die für Staus und Verzögerungen sorgten. "Da wird mit Sicherheit argumentiert, dass die Schranken schon viel früher als aus meiner Sicht nötig geschlossen werden. Da könnte man immer noch ein paar Minuten einsparen an Schließzeiten", sagt Tausendfreund.
Barrierefreiheit? Die Züge haben eine niedrigere Einstiegstiefe
Und auch bei der Barrierefreiheit gibt es seit den Änderungen im vergangenen Jahr Probleme. Die nun eingesetzten Züge haben eine niedrigere Einstiegstiefe, die einen barrierefreien Einstieg in den Zug vom Bahnsteig aus unmöglich machen. Das ist laut Tausendfreund von den Bahnverantwortlichen nicht erwähnt worden, als sie an einem runden Tisch über die Änderungen an der S7 gesprochen hätten.

Die BEG erklärt die Probleme beim stufenfreien Einstieg mit den unterschiedlichen Bahnsteighöhen an den Haltestellen. Mittel- bis langfristig sei aber eine Vereinheitlichung der Bahnsteighöhen und der Fahrzeugeinstiegshöhen auf den Münchner S-Bahn-Standard geplant.
Qualität der Fahrgastinformation in der Kritik
Ein weiteres Problem für Tausendfreund: Die Informationssysteme sind nicht aufeinander abgestimmt. "Man kann nicht mal über die App zuverlässig mitbekommen, ob jetzt der Zug unterwegs ist oder nicht", sagt die Bürgermeisterin frustriert. Die BEG gibt zu, dass auch sie die Qualität der Fahrgastinformation für nicht zufriedenstellend halte. Auch hier gibt sie als Grund den schlechten Zustand der Schieneninfrastruktur an.

Vom Pullacher Rathaus hin zum Pullacher Bahnhof. Bessere Stimmung herrscht dort nicht, denn die Pullacher warten mal wieder auf die verspätete S7 zum Münchner Hauptbahnhof – immerhin genügend Zeit, um mit den Fahrgästen am Bahnsteig zu sprechen. Florian Galasso wartet dort mit seinem Hund auf die S7. Der 37-Jährige fährt täglich mit der S-Bahn, um zu seiner Arbeit in einem Münchner Café zu kommen. "Was wir hier teilweise an Ausfällen und Warterei haben, ist nicht mehr normal", ärgert er sich.
"Immer ein bisschen verspätet, das ist Standard hier"
Auch die langen Schrankenschließungen bereiten ihm Probleme. "Ich kann an Jahren nicht zusammenrechnen, was ich an der Schranke gewartet habe, teilweise umsonst, weil die Schranken zwischen den Bahnen nicht aufgehen."
Auch Jonas Högerl benutzt die S-Bahn fast jeden Tag, um an die Hochschule nach München zu kommen. Der 27-Jährige hat sich an die Verspätungen inzwischen gewöhnt. "Es ist, wie es ist. Die S-Bahn ist immer ein bisschen verspätet, das ist Standard hier." Ihn stört vor allem, dass die Anzeigen selten stimmten.
Die 69-jährige Barbara Philipp wartet ebenfalls auf die S-Bahn. Sie fährt zwei bis drei Mal in der Woche mit der S7, unter anderem für Einkäufe in der Stadt oder um ihre Mutter zu besuchen. Sie sagt, die Verspätungen seien seit einigen Monaten deutlich schlimmer geworden, man müsse inzwischen gar nicht mehr pünktlich kommen. Kein Wunder also, dass der Brandbrief aus dem Rathaus gut ankam. "Wir hatten ganz viele Rückmeldungen, ganz viel positives Feedback", sagt der Pressesprecher der Gemeinde. "Unser Social-Media-Post zum Brandbrief hat mittlerweile über 52.000 Aufrufe. Da sieht man einfach, dass den Leuten der Schuh drückt."
"Ich wünsche mir Professionalität bei der Bahn"
Die Gemeinde fordert von der Bayerischen Eisenbahngesellschaft unter anderem ein persönliches Gespräch vor Ort, zeitnah und verbindlich, gemeinsam mit den anderen betroffenen Gemeinden. Man habe um eine Antwort innerhalb von 14 Tagen gebeten. Die BEG teilt der AZ mit, man werde den Brief selbstverständlich beantworten und den Themen nachgehen. Vor allem wünschen sich die Gemeinde Pullach und ihre Bürgermeisterin aber Einsicht von den S-Bahn-Betreibern und auch die Bereitschaft, tatsächlich etwas zu ändern.
"Wir können nicht weiterhin einfach nur vertröstet werden", sagt Tausendfreund. "Ich wünsche mir Professionalität bei der Bahn, dass sie diese Probleme hier in den Griff bekommt. Die Pünktlichkeit ist eigentlich inzwischen die Ausnahme. Und das wollen wir uns nicht weiter gefallen lassen."
