Nach Schießerei mit der Bundeswehr: Erdings Oberbürgermeister erhebt schwere Vorwürfe

Ein Feldjäger wird bei der groß angelegten Bundeswehr-Übung "Marshal Power" verletzt – offenbar durch Polizeikugeln. Anwohner in Erding alarmieren wegen einer vermummten Gestalt mit Langwaffe die Polizei – doch was als realistische Übung gedacht war, eskaliert. Wie konnte es zu dieser folgenschweren Verwechslung kommen? Jetzt haben sich erstmals die Polizei, der Erdinger Bürgermeister sowie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zu dem Vorfall geäußert.
von  Lisa Marie Albrecht, Natalie Kettinger, Tobias Singer
Erdings Oberbürgermeister Max Gotz meldet sich nach der eskalierten Bundeswehrübung in Alterding zu Wort.
Erdings Oberbürgermeister Max Gotz meldet sich nach der eskalierten Bundeswehrübung in Alterding zu Wort. © instagram.com/stadterding

Großer Schock am frühen Mittwochabend: Während der bayernweit angelegten Bundeswehr-Übung "Marshal Power" ist in Erding ein Feldjäger angeschossen worden. Der Mann wurde mit Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht. Medienberichten zufolge soll er einen Streifschuss im Gesicht erlitten haben. Noch am Abend konnte er die Klinik verlassen.

Die Übung war von der Bundeswehr angemeldet worden. Weitere Details – unter anderem, wer den Soldaten angeschossen hatte – wurden zunächst nicht mitgeteilt. Der Polizei zufolge ereignete sich der Vorfall im Bereich Hohenlindener Straße in Altenerding.

Bundeswehr-Übung in Erding: Polizei schießt auf Soldaten

 Zuvor hatten die Ordnungshüter lediglich einen größeren Einsatz bestätigt. Es seien zahlreiche Polizeikräfte und ein Hubschrauber vor Ort, hieß es am Abend. Im Umkreis der Einsatzstelle wurde der Verkehr abgeriegelt.

Die Polizei war wegen vermummter Personen kontaktiert worden.
Die Polizei war wegen vermummter Personen kontaktiert worden. © G. Herkner DigitalePressefotos

 Wie konnte es so weit kommen? Laut Polizei hatten Anwohner den Notruf gewählt, weil sie eine vermummte Person in Tarnkleidung und mit einer Langwaffe in der Nähe einer Scheune gesehen hatten. Daraufhin seien "starke Kräfte" der Ordnungshüter ausgerückt. 

Bei den Feldjägern ging man wohl davon aus, dass die Beamten Teil der Übung waren – sie schossen mit Übungsmunition auf die Polizisten. Warum die Erdinger Beamten wiederum anscheinend nichts von der Trainingseinheit wussten, und das Feuer mit scharfer Munition erwiderten, war zunächst unklar. "Aufgrund einer Fehlinterpretation vor Ort kam es zu Schussabgaben", hieß es vonseiten der Polizei.

Das sagt die Polizei zum Vorfall in Erding

Wie die Beamten auf Anfrage der AZ mitteilten, werde die Polizei über öffentliche Übungen der Bundeswehr vorab per E-Mail informiert. Darin werden über den Beginn und das Ende, sowie die Örtlichkeiten der jeweiligen Übung informiert. Wie die Beamten weiter mitteilen, war die Polizei über den Übungseinsatz der Bundeswehr informiert. Dieser sollte demnach vom 22.10. bis zum 29.10 dauern. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist folgende Information: "Eine erste Übungsaktion war allerdings erst für den Nachmittag des 23.10.25 geplant", so die Polizei zur AZ. Davor hätten sich die Soldaten in einer sogenannten Anmarschphase befunden. Weiteres müssten die Ermittlungen klären.

Die Bundeswehr spricht von einer "Fehlinterpretation".
Die Bundeswehr spricht von einer "Fehlinterpretation". © Friedrich/Vifogra/dpa

Erdings Oberbürgermeister Gotz fassungslos

Auch wenn laut Polizei zu keinem Zeitpunkt Gefahr für die Bevölkerung habe, stellen sich jetzt viele Fragen. Das sieht auch Erdings Bürgermeister Max Gotz so.  Auf dem Sozialen Netzwerk Instagram teilt er in einer Erklärung mit, dass die Stadt Erding nicht in Kenntnis über diese Bundeswehrübung gesetzt wurde. Man hätte von Polizei wie auch Bundeswehr wenigstens vertraulich informiert werden können, so der OB, der sich fassungslos über die Situation in Altenerding zeigt. Betroffen mache ihn auch die Vorgehensweise, wie etwa Kinder und Jugendliche in einer angrenzenden Turnhalle in Altenerding Süd in Sicherheit zu bringen. Die Eltern seien zwar informiert worden, hätten aber anschließend ihre Kinder wegen der Absperrung nicht abholen können. "Insgesamt ein Kommunikationsdesaster", fasst Gotz die Situation vom Mittwochabend zusammen. Auch Feuerwehr und Rotes Kreuz seien wegen der fehlenden Informationen zu der Bundeswehrübung in Angst gewesen. Man wolle zur Klärung weitere Fragen an die zuständigen bei Polizei und Bundeswehr richten.

In den Kommentaren unter dem Beitrag gibt es viel Zuspruch und Dank an die Rettungskräfte vor Ort. "Ich bin sehr dankbar, dass keiner der Beteiligten ums Leben gekommen ist. Großes Mitgefühl auch meinerseits an alle beteiligten", lautet ein Kommentar. "Haben Sie schön gesagt, danke Hr. Gotz", ein weiterer. "Danke an alle Rettungskräfte, egal ob Feuerwehr, Rettungsdienst oder Polizei, egal wer, danke", heißt es ebenso unter dem Beitrag. 

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Es gibt aber auch Kritik: "Komisch, dass sogar das Münchner Lokalradio das gewusst hat und im Vorfeld über die Übung berichtete", lautet etwas ein Kommentar unter dem Video des Erdinger Oberbürgermeisters, der selbst über 100 Likes erhalten hat. "Seit zwei Wochen kommt nix anderes im Radio. In jedem Regionalsender, aber auch bei Antenne, BR1 und 3, nachts fliegen Eurofighter, es wird mit Feld und Fallschirmjägern, Booten usw. ein Manöver durchgeführt", schreibt ein anderer Nutzer. 

Innenminister Herrmann hat noch keine Erklärung für Schuss in Erding 

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat auch keine Erklärung liefern können, wie es zu dem Vorfall kommen konnte. Herrmann sprach nur allgemein von offensichtlich mangelhafter Kommunikation. "Wir werden jetzt sehr zeitnah gemeinsam mit der Bundeswehr und den zuständigen Behörden prüfen, wo die Kommunikationswege verbessert werden müssen. So ein Vorfall darf sich nicht noch einmal ereignen", sagte Herrmann laut einer Mitteilung seines Ministeriums. Der Innenminister ist oberster Dienstherr der bayerischen Polizei.

"Dieser Vorfall wird intensiv gemeinsam aufgearbeitet, um diese Zusammenarbeit auch in Zukunft fortzuführen und weiter zu stärken", fuhr Herrmann fort. Die Bevölkerung müsse über Übungen der Bundeswehr und der Polizei im öffentlichen Raum frühzeitig und transparent über die Kommunen informiert werden. "Wir prüfen derzeit genau, warum dies in diesem Fall offenbar nicht ausreichend geschehen ist und wie wir die Informationskette in Zukunft verbessern können", sagte Herrmann.

Darum geht es bei der Bundeswehr-Übung "Marshal Power" 

Das Ziel der bis zum 29. Oktober geplanten Bundeswehr-Übung ist, den Kampf hinter einer fiktiven Frontlinie im Verteidigungsfall zu üben – und zwar zusammen mit (Militär)-Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften.

Die Einsatzkräfte sollten in der Öffentlichkeit üben

Das Besondere: Die etwa 500 Soldaten der Feldjäger und die rund 300 zivilen Einsatzkräfte sollten nicht auf abgezäunten Truppenübungsplätzen üben, sondern in der Öffentlichkeit. Die Einsatzkräfte sollen laut Bundeswehr das Vorgehen gegen Bedrohungen im sogenannten "rückwärtigen Raum", trainieren – zum Beispiel gegen Drohnen, Sabotage oder sogenannte "irreguläre Kräfte".

Ein Bundeswehrsprecher hatte mitgeteilt, dass Übungseinsätze über den gesamten Tag verteilt stattfinden könnten, auch frühmorgens und spätabends.  

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