Heiligabend allein? Was an Münchner Tankstelle gegen Einsamkeit geplant ist

Weihnachten ganz allein unterm Christbaum? Es geht auch anders: Warum ein türkisch-bayerischer Großtankstellenpächter an Heiligabend einsame Senioren zum Essen und Feiern einlädt – kostenlos und mit Fahrservice.
von  Irene Kleber
Tafel, Tischdecke, Christbaum mitten in der Tankstelle: An Heiligabend sperrt Pächter Sönmez Günan an seiner Allguth-Tankstelle in Olching den Gastrobereich ab und macht ihn zum Weihnachtswohnzimmer für alleinstehende Seniorinnen und Senioren. Sie bekommen ein kostenloses Weihnachtsmenü und viel schöne Geselligkeit. Wer mitessen möchte, kann ihn einfach anrufen: 08142/ 440 72 10.
Tafel, Tischdecke, Christbaum mitten in der Tankstelle: An Heiligabend sperrt Pächter Sönmez Günan an seiner Allguth-Tankstelle in Olching den Gastrobereich ab und macht ihn zum Weihnachtswohnzimmer für alleinstehende Seniorinnen und Senioren. Sie bekommen ein kostenloses Weihnachtsmenü und viel schöne Geselligkeit. Wer mitessen möchte, kann ihn einfach anrufen: 08142/ 440 72 10. © privat

Die Allguth-Tankstelle in Olching nahe der A8 gehört zu den großen im Münchner Umland. Rund um die Uhr ist dort Remmidemmi, in 24 Stunden kommen über 2000 Kunden zum Tanken, Autowaschen, Getränke kaufen, Kaffeetrinken, Würstlessen und Zeitungholen. Und auf den Außenflächen trifft sich die Jugend vom Münchner Stadtrand.

Auch an den Weihnachtsfeiertagen, wenn für Familienbesuche viel getankt wird, ist Dauerbetrieb. Trotzdem: Heiligabend wird Pächter Sönmez Günan seinen Gastrobereich in der Tankstelle für Trubel aller Art absperren. Für eine geschlossene Gesellschaft.

Da richtet der türkische Betreiber, der herrliches Bairisch spricht, ab 18 Uhr nämlich ein festliches Weihnachtsessen mit drei Gängen für alleinstehende ältere Menschen aus. Auf seine Kosten. Zum zweiten Mal, nach der Premiere im letzten Jahr. Was treibt den Mann an?

Sönmez Günan betreibt die Allguth-Tankstelle in Olching. Der Familienvater (46) kam als Dreijähriger mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Mit 14 jobbte er als Autowäscher an Tankstellen, wurde Kaufmann und Tankstellenunternehmer. Die Allguth-Tankstelle in Olching mit rund 35 Mitarbeitern führt er seit 2017.
Sönmez Günan betreibt die Allguth-Tankstelle in Olching. Der Familienvater (46) kam als Dreijähriger mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Mit 14 jobbte er als Autowäscher an Tankstellen, wurde Kaufmann und Tankstellenunternehmer. Die Allguth-Tankstelle in Olching mit rund 35 Mitarbeitern führt er seit 2017. © Scheller-Kieburg\,Kerstin

"Was machst du an Weihnachten?" – "Nix."

AZ: Herr Günan, eine Großtankstelle ist keine soziale Einrichtung. Und Sie sind Muslim, der kein Weihnachten feiert. Jetzt stellen Sie einen Christbaum auf und laden 30 wildfremde Menschen ein. Wie kommt’s?
SÖNMEZ GÜNAN: Es gab diese Situation vor zwei Jahren kurz vor Heiligabend. Da war ein Stammkunde bei mir, ein älterer Herr, der oft zum Kaffeetrinken kommt. Den hab ich gefragt: Und, was machst Schönes an Weihnachten? Und er sagt: Was soll ich schon machen. Nix. Ich hab ja keinen mehr. Das hat mir echt einen Stich gegeben. Man muss kein Christ sein, um zu spüren, wenn jemand an Weihnachten einsam ist.

Was machen Sie und Ihre Familie üblicherweise Heiligabend?
Für uns als muslimische Familie ist das ein normaler Tag. Ich bin da immer im Dienst. Statt Weihnachten und Ostern feiern wir das Zuckerfest nach dem Ramadan-Fasten, das wird 2026 Mitte März sein. Und wir kommen beim Schlachtfest Kurban Bayram Ende Mai zusammen. Wir backen Süßigkeiten, es gibt Geschenke und wir teilen unser Fleisch mit Bedürftigen.

"Jeder hat es verdient, Menschen um sich zu haben"

Jetzt wollen Sie auch an Heiligabend teilen. Erzählen Sie mal.
Meine Mitarbeiterin Monika Herrmann hat bemerkt, dass um uns herum viele ältere Leute sind, die an den Feiertagen allein sind. Die keine Kinder haben, wo die Partner verstorben sind, wo die Freunde weit weg sind oder nicht mehr leben. Dabei hat es doch jeder Mensch verdient, Menschen um sich zu haben. So kam die Idee, dass wir diese Menschen zusammenbringen und für ein paar Stunden glücklich machen können. An Heiligabend. Bei uns in der Tankstelle, da ist ja Platz innen, und eine Küche haben wir auch.

In und um München gibt es viele Ältere Menschen, die die Feiertage allein verbringen müssen.
In und um München gibt es viele Ältere Menschen, die die Feiertage allein verbringen müssen. © Florian Gaertner/photothek.net via www.imago-images.de

"Die Reaktionen waren toll! So viele wollten helfen"

Auf die Schnelle haben Sie 2023 kein Fest mehr organisieren können. Im Jahr drauf dann aber schon. Wie haben Sie Ihre Gäste gefunden?
Wir haben erst in Altenheimen gefragt. Aber die machen an Weihnachten selber Veranstaltungen für ihre Bewohner. Also haben wir es mit einem Aufruf in einer Kostenlos-Zeitung versucht, die alle Haushalte bekommen. Da schauen ältere Menschen ja gerne hinein. Der Kreisbote Fürstenfeldbruck hat dann im November etwas über unsere Aktion geschrieben.

Das wurde gelesen?
Und wie. Plötzlich kamen mehrere Radiosender und haben den Aufruf verbreitet. Auch online. Die Reaktionen waren toll. Ein Musiker hat angeboten, zu unserem Fest auf seinem Keyboard Weihnachtsmusik zu spielen. Mehrere haben Fahrdienste für unsere Gäste angeboten.

Bekannte von Ihnen?
Nein, einfach Privatleute, die auch etwas beitragen wollten. Es kamen Menschen vorbei, die Geschenkpäckchen gebracht haben, damit unsere Gäste etwas zum Auspacken haben.

Was war drin?
Kalender, Süßigkeiten, solche Sachen. Ein Ehepaar hat Plätzchen gebacken. Es haben sich wahnsinnig viele Freiwillige gemeldet, dass sie bedienen helfen wollen, auch junge Leute, das hat mich sehr gefreut. Da sieht man, es muss nur einer anfangen, etwas Schönes zu planen, dann finden sich viele Helfer. Eine Dame hat sogar angeboten, 1500 Euro für das Essen zu spenden, aber das habe ich abgelehnt und vorgeschlagen, dass sie es an die Tafel spendet. Diese Reaktionen haben mich sehr glücklich gemacht.

Zwischen Zeitschriften und Getränken hat der Tankstellenpächter letztes Jahr zum ersten Mal einen Christbaum aufgestellt. Das macht er heuer wieder für seine Heiligabend-Gäste.
Zwischen Zeitschriften und Getränken hat der Tankstellenpächter letztes Jahr zum ersten Mal einen Christbaum aufgestellt. Das macht er heuer wieder für seine Heiligabend-Gäste. © privat

"Jeder hat mit jedem geratscht, über Gott und die Welt"

Wie viele Gäste haben sich gemeldet, die bei Ihnen mitfeiern wollten?
24 haben angerufen, zwei haben wieder abgesagt, zwei sind vorher krank geworden und zwei haben sich nicht mehr gemeldet. Am Ende hatten wir 18 Leute am Tisch sitzen.

In welchem Alter?
Von etwa 60 bis 90, zur Hälfte Männer und Frauen. Sie kamen aus dem ganzen Umkreis, von Olching über Germering bis Gilching, sogar aus Augsburg. Gut, dass wir Fahrdienste hatten.

Es ist nicht für jeden leicht, einzugestehen, dass er ganz allein oder einsam ist. Wie war das Zusammentreffen?
Es gab null Hemmschwelle, überhaupt keine Schamgefühle! Wir haben eine große Tafel aufgebaut mit Tischdecke und Weihnachtsdekoration, und ich habe zum ersten Mal einen Christbaum aufgestellt.

Woher kamen so viele Tische und Stühle?
Aus unserem Außenbereich. Wenn man Kissen auf die Gartenstühle legt, wird das gemütlich. Es hat dann sehr schnell jeder mit jedem geratscht, über Gott und die Welt, auch über private Sachen. Wir haben auch Weihnachtslieder gesungen.

Wer hat das Kochen übernommen?
Meine Frau Dilek, zusammen mit Monika Herrmann. Meine Zwillinge Sara und Emir haben beim Servieren geholfen. Es gab Weißwein, Rotwein, Bier, Wasser, Schorle. Wir haben alles da an der Tankstelle.

Was für ein Menü gab es?
Als Vorspeise italienische Häppchchen. Danach konnte man wählen zwischen Rollbraten, Schnitzel oder Wiener Würstl mit Kartoffelsalat. Zum Nachtisch hatten wir Tiramisu und Apfelstrudel mit Vanillesoße. Einer unserer Gäste hat gesagt: Ich fühle mich wie im Fünf-Sterne-Hotel. Das hat uns allen großen Spaß gemacht.

Damit die Tafel in der Christkindl-Tankstelle groß genug für alle Gäste wird, hat Sönmez Günan Tische und Stühle aus seinem Gartenbereich hereingeholt und mit Kissen und Tischdecke gemütlich hergerichtet.
Damit die Tafel in der Christkindl-Tankstelle groß genug für alle Gäste wird, hat Sönmez Günan Tische und Stühle aus seinem Gartenbereich hereingeholt und mit Kissen und Tischdecke gemütlich hergerichtet. © privat

"Da hatte ich echt feuchte Augen"

Und der Tankstellenbetrieb ging einfach normal weiter?
Ja, unser Personal war ja normal da. Nur den Restaurantbereich hatte ich mit Absperrband abgetrennt.

Gibt es einen Moment, der Sie besonders berührt hat?
Mehrere. Eine Dame, 86 Jahre alt, hat erzählt, dass sie immer noch überall mit ihrem Radl unterwegs ist. Sie hat die Runde sehr lustig unterhalten. Eine andere Dame, auch über 80, hat erzählt, wie dankbar sie ist, dass sie mit uns feiern kann. Sie hatte im März ihren Mann verloren und wäre zum ersten Mal an Heiligabend allein gewesen. Da hatte ich echt feuchte Augen.

Haben manche Ihrer Gäste sich später wiedergesehen?
Einer meiner Stammkunden hatte an dem Abend eine Dame kennengelernt, die Zwei haben sich im neuen Jahr auf einen Kaffee getroffen, das habe ich zufällig gesehen. Das hat mich so gefreut. Ob sie Freunde oder vielleicht ein Paar geworden sind, weiß ich nicht. Ich frage sowas nicht.

Wie hat die normale Tankstellenkundschaft auf die Absperrung reagiert?
Super, die Leute waren ganz lieb und verständnisvoll. Vor allem die Jugendlichen, zu denen ich manchmal strenger sein muss, wenn sie sich beim Chillen an der Tankstelle mal nicht an Regeln halten. Die waren ganz gerührt. Die jungen Leute sind gar nicht so unachtsam, wie es ihnen oft nachgesagt wird.

Die Allguth-Tankstelle in Olching gehört zu den großen im Münchner Umland.  In 24 Stunden kommen über 2000 Kunden zum Tanken, Autowaschen, Getränke kaufen, Kaffeetrinken, Würstlessen und Zeitungholen.
Die Allguth-Tankstelle in Olching gehört zu den großen im Münchner Umland. In 24 Stunden kommen über 2000 Kunden zum Tanken, Autowaschen, Getränke kaufen, Kaffeetrinken, Würstlessen und Zeitungholen. © Allguth

"Meine Eltern haben für mich auf vieles verzichtet"

Sie haben den Abend aus eigener Tasche bezahlt.
Das kann man sich schon leisten. Schauen Sie, es geht uns doch heute gut. Das verdanken wir auch der Generation, die nach dem Krieg fleißig war und die heute alt ist. Wir sollten die Alten achten, dankbar sein und etwas zurückgeben. Meine Eltern sind in den 60er-Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Sie haben auch viel für mich getan und auf vieles verzichtet.

Jetzt rufen Sie wieder alleinstehende Seniorinnen und Senioren auf, sich bei Ihnen für Heiligabend zum Essen anzumelden. Diesmal dürfen 30 Menschen kommen.
Ja, bitte einfach bei uns anrufen oder eine Mail schreiben! Wir freuen uns. Wenn ich an Heiligabend ein paar Menschen glücklich nach Hause schicken kann, habe ich mein Ziel erreicht. Und ich wünsche mir auch was: Ich hoffe, dass bald in jeder Ortschaft und in jedem Münchner Viertel ein paar Betriebe mitmachen, damit Menschen Weihnachten nicht allein verbringen müssen. Wer dafür Tipps braucht, darf mich ebenfalls gerne anrufen.

INFO: Sie möchten an der Christkindl-Tankstelle mitfeiern? Das Weihnachtsessen für alleinstehende ältere Menschen in der Allguth Olching (Geiselbullacher Straße 7) beginnt am 24. Dezember um 18 Uhr. Es ist Platz für bis zu 30 Personen. Es gibt kostenlos ein mehrgängiges Menü und Getränke. Bei Bedarf versucht Sönmez Günan, einen Fahrdienst zu organisieren. Anmeldung bis Mitte Dezember: Telefon: 08142/ 440 72 10 oder auch per Mail an allguth-guenan@outlook.de. Hinweis: Die 24/7-Tankstelle bleibt durchgehend für alle Kunden geöffnet.

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