Udes Drei-Punkte-Plan für Gerti

Der Oberbürgermeister besucht die von der Schließung bedrohte „Fraunhofer Schoppenstube“, redet, trinkt und singt.
Timo Lokoschat |
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Original trifft OB: Gerti (r.) mit Christian Ude und seiner Ehefrau Edith von Welser-Ude.
Katharina Alt Original trifft OB: Gerti (r.) mit Christian Ude und seiner Ehefrau Edith von Welser-Ude.

Das Stadtoberhaupt besucht die bedrohte „Fraunhofer Schoppenstube“, redet, trinkt und singt. Ein Abend, berauschend und ernüchternd.

München - Als erstes verhängt Gerti ein Berufsverbot. „Kameras weg!“ Das gilt den Fotografen der Münchner Tageszeitungen. „Der Ude soll einen schönen Abend haben!“, befiehlt die Wirtin. Erst nach einer halben Stunde dürfe man fotografieren. Das Flair sei wichtiger als die Fotos. „Habts des verstanden?!“

Gerti ist aufgeregt. Es ist ihr großer Abend. Sie hat schon um 19 Uhr aufgesperrt, normalerweise öffnet die Kneipe erst um 21 Uhr. Über 200 Menschen haben sich vor dem Haus in der Fraunhoferstraße 41 versammelt, um gegen die drohende Schließung symbolisch einen zu trinken. Oder mehrere.

Alle Gäste passen nicht hinein. Also macht die 65-Jährige den Einlass. „Setzt euch zu den jungen Damen!“, weist sie zwei junge Männer an. Widerstand? Zwecklos. Gerti, die Kupplerin.

„Schön, dass Sie da sind!“


Eine Angestellte verteilt in Plastik eingeschweißte Liedtexte. Dann hält Gerti Guhl, die alle nur Gerti nennen, die erste von vielen Reden. Sie stellt die Ärztin vor, die ihrem 2007 verstorbenen Mann ermöglicht hat, seine letzten Tage zu Hause zu verbringen. Die ersten Tränen fließen. „Gottseidank bin ich heute nicht geschminkt.“

Dann wird’s ernst. Draußen an der Straße fährt ein dunkler BMW vor. Der OB besucht das Original. Wer jetzt noch steht, wird von Gerti auf seinen Platz geschubst. Sie eilt nach draußen, um den Ehrengast zu empfangen. Der ist mit seiner Frau Edith von Welser-Ude gekommen. „Schön, dass Sie da sind!“, sagt Gerti.

Um 20.01 Uhr betritt das Stadtoberhaupt die Schoppenstube. Und wird mit lautem Gesang begrüßt. „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ – der alte Hans-Albers-Klassiker.

Ude bestellt ein dunkles Weißbier, seine Frau ein Mineralwasser mit Zitrone. Gerti stößt mit beiden an. Nächstes Lied. „Mein kleiner grüner Kaktus“, auch nicht gerade bajuwarisches Liedgut. Hauptsache Stimmung. Während alle singen, marschiert Gerti durch die Reihen und schwenkt einen Kaktus.

„Eigentlich habe ich heute Ruhetag“, sagt sie danach keuchend. „Das heißt, dass ich mich gerade erhole.“

„Ist alles Denkmal! Quasi.“


Jetzt lässt sie für Mykonos-Urlauber Ude den Song „Griechischer Wein“ spielen. Ein Moment, den der OB mit einer kleinen Kamera festhält. Immerhin hat Gerti inzwischen auch den Pressefotografen die Ausübung ihres Berufs gestattet.

Sie hält noch eine Rede, umklammert dabei eine Säule in der Mitte des Raums. „Ist alles Denkmal! Quasi.“

Auch Stammgäste ergreifen das Wort. Wettern gegen Gentrifizierung und Luxussanierung, gegen den Verlust eines „Kommunikationszentrums“.

Dann ist Ude dran. „Ich gebe offen zu, dass ich das erste Mal hier bin. Sicher unvorstellbar für alle Stammgäste“, sagt er. Er sei gekommen, „weil ich umzingelt wurde von Anfragen, die man nicht ablehnen kann – wie es in der Mafia-Sprache heißt.“

Bemerkenswert sei die soziologische Bandbreite der Einladenden gewesen. Sogar Polizeibeamte hätten ihm einen Besuch nahegelegt. Und TV-Kommissar Udo Wachtveitl. „Dem habe ich neulich die Medaille ,München leuchtet’ verliehen – und was erzählt der mir? Dass ich bei der Gerti vorbeischauen soll!“ Als Ude das sagt, nickt Wachtveitl. Er sitzt neben ihm, ist Stammgast der Schoppenstube.

„Ein erhaltenswertes Biotop“


Wie die Stimmung denn so sei, hatte Ude den Wachtveitl und andere gefragt. Das könne man nicht beschreiben, hieß es jedes Mal. „Eine derart nichtssagende Auskunft – da wurde ich neugierig!“ Jetzt verstehe er die Wortfindungsschwierigkeiten. „Selbst ein so alter Dackel wie ich kennt sowas nur noch aus den Erzählungen der Altvorderen!“ Die Kneipe sei ein „Biotop“, das unbedingt erhaltenswert sei.

Worte, die ankommen. Trotzdem ist es keine platte Wahlkampfrede, die Ude hier hält. Er stellt klar, dass es sich nicht um einen neuen Fall von Gentrifizierung handele, nicht um eine junge Erbengemeinschaft, die aus einer Immobilie alles herauspressen wolle.

Die Vermieter, das seien zwei ältere Brüder, „die ihre Sache in Ordnung bringen wollen“. Eine energetische Sanierung durchzuführen, sei in einigen Jahren ohnehin Pflicht. Selbst in der Schoppenstube, die, wie der OB formuliert, das Äquivalent zu drei Wärmestuben bilde und deshalb „auch sozialpolitisch wichtig“ sei.

Wie geht es mit Gerti weiter?


Begeistert von den konkreten Plänen der Vermieter ist Ude allerdings nicht. „Wenn wir eins in München nicht brauchen, dann ist das zusätzlicher Büroraum!“ Er habe Kontakt zu den Eigentümern, wolle ihnen vermitteln, dass sie etwas fürs Viertel tun, „wenn sie über ihren Schatten springen“. Drei mögliche Lösungen skizziert Ude, der gut vorbereitet zum Termin erscheint:

1. Gerti darf bleiben. Bis zu ihrer Rente in zwei Jahren?
2. Gerti bekommt eine großzügige Fristverlängerung eingeräumt. Eigentlich soll sie zum 31. Dezember raus.
3. Gerti zieht um.

Bei der letzten Alternative schütteln viele Gäste den Kopf. „Dann ist das Flair weg“, sagt einer. Ude hält dagegen. In der Schwabinger Geschichte gebe es Kneipen, die fünf Mal den Ort gewechselt hätten. Und das Publikum sei mitgezogen. „Ich bin gerne bei der Suche behilflich.“

„Des sitz ma aus“, sagt Herr Hirnbeiß
 

Für seine Rede gibt es viel Applaus. „Er war sehr realistisch“, sagt ein Stammgast anerkennend. Auch Erika von Heimburg, Gertis Anwältin, ist angetan, schöpft neue Hoffnung und freut sich, dass der Oberbürgermeister auf Diplomatie statt Eskalation setze. Gerti geht erstmal vor die Tür und schnauft durch. Alles sacken lassen.

Hinter dem Gelobten, an der Theke, klebt das Konterfei von Herrn Hirnbeiß. „Des sitz ma aus“ steht darauf. Zwei Stunden bleibt der OB. Am Ende singt er Seemannslieder.

„Du, Herr Ude, ich hab noch was für Sie“, sagt Gerti um 22 Uhr. Verschwindet in der Küche und kommt mit einem trockenen „Ude-Schoppen“ aus Franken zurück. „Ihr Besuch war mir eine sehr große Ehre!“

Dann bringt die Wirtin ihren hohen Gast zur Straße. Und ratscht erstmal mit Udes Fahrer. Ungefähr drei Minuten lang. Der OB muss warten. Dann darf er einsteigen.

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