Transplantation: Leben mit den Händen eines Toten

München - Es war die Nacht zum 24. August 1994, als der Sprengstoffexperte Theo Kelz (damals 42) zum letzten Mal seine Hände fühlte.
Sie trugen eine acht-Kilo-Rohrbombe, die er Stunden zuvor in einer Schule im österreichischen Klagenfurt gesichert und in die Röntgenanlage am Flughafen gebracht hatte. Fast war er durch mit den Tests.
Dann kam die Explosion. Die Stichflamme. Das Zerbersten, das alles änderte. Er sagt: „Ich habe es nicht gespürt, aber gewusst: Ich habe keine Hände mehr.“
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Sechs Jahre später wacht Theo Kelz aus einer Transplantations-OP auf (siehe unten) und hat zum ersten Mal keine Stümpfe mehr an seinen Armen. Sondern die Hände eines Mannes, der – beinahe gleichaltrig – kurz zuvor an einem Hirnschlag gestorben ist.
16 Jahre lebt der ehemalige Polizist nun mit ihnen. Die AZ traf ihn gestern in München.
AZ: Herr Kelz, was war das für ein Gefühl, Ihre neuen Hände zum ersten Mal zu sehen?
THEO KELZ: Es war erstaunlich. Als wären es meine eigenen. Die gleiche Hautfarbe, die selben Härchen, fast die gleiche Handform. Es war leicht, sie für mich anzunehmen.
Wann konnten Sie erstmal etwas spüren?
Das hat Jahre gebraucht. Als meine Frau starb, habe ich ihre Haare gestreichelt – das erste, was ich fühlen konnte. Und dann, saß ich mit einem Freund bei einem Bier, hielt das Glas. Auf einmal spürte ich Kälte. Ein unbändiges Glücksgefühl.
Was können Sie heute mit Ihren Händen tun?
Fast alles. Essen, trinken, Schuhe binden. Und Motorrad fahren! Ich bin kurz nach der OP auf meine BMW gestiegen und ans Nordkap gefahren. 9200 Kilometer hin und zurück. Inzwischen habe ich 400 000 geschafft, auf der ganzen Welt.
Waren Sie nie verzweifelt?
Nein, nie. Wenn Sie mit dem Motorrad in der Sahara stehen, und es springt nicht mehr an, bringt es dann etwas, zu verzweifeln? Nein, das Leben geht weiter. Immer weiter.
Woher nehmen Sie diese Sicherheit?
Ich vertraue einfach. Ich bin sehr gläubig, das habe ich von meiner Mutter gelernt. Ich weiß, dass alles jeden Tag noch besser wird.
19 Stunden im OP: „Der am besten gelungene Fall“
Gut 21 Jahre ist es her, dass der Polizist und Sprengstoffexperte Theo Kelz (heute 63) beim Versuch, eine Rohrbombe zu entschärfen, beide Hände verlor. Zunachst lebte er mit Armprothesen und suchte weltweit nach Transplantationskliniken, die bereit waren ihm die Hände eines verstorbenen Spenders zu transplantieren.
Sechs Jahre später hatte er Glück: Die Innsbrucker Uniklinik wagte am 7. März 2000 den hochkomplizierten Eingriff, der bis dahin erst ein einziges Mal weltweit gelungen war – wenige Jahre zuvor im französischen Lyon, und damals eher schlecht als recht.
Mehrere Ärzteteams aus 20 plastischen-, Unfall-, Transplantations-Chirurgen und Anästhesisten rund um den Spezialisten Professor Milomir Ninkovic operierten Theo Kelz 19 Stunden lang. Ninkovic (59), der heute Chefarzt der Münchner Klinik für Plastische-, Rekonstruktive, Hand- und Verbrennungschirurgie am Klinikum Bogenhausen ist erklärt es so: „Wir haben zuerst die Knochen zusammengefügt, dann die Gefäße, anschließend die Muskeln und 24 Sehnen jeder Hand und am Schluss die Nerven und die Haut.“
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Dass das technisch machbar sein würde, war für ihn keine Frage. „Wir hatten ja schon viele abgetrennten Hände zurückgenäht. Die Frage war: Wird der Patient die neuen Hände als seine akzeptieren? Nur dann hatten wir eine gute Chance.“
Die OP gelang – vor allem dank der positiven Lebenseinstellung von Theo Kelz. „Ein Jahr dauerte die Nachsorge – immer begleitet von der bangen Frage: Wird sein Körper das fremde Gewebe abstoßen, oder schafft sein Immunsystem das? Bis heute hat Kelz 5000 Therapiestunden hinter sich, in denen er trainiert, seine Hände mobil zu halten. Sein Operateur sagt: „Das ist der am besten gelungene Fall überhaupt.“
Der Erfolg hat Ärzten Mut gemacht: Bis heute haben 72 Patienten weltweit fremde Hände transplantiert bekommen.