Teil 7 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": Der Hecht im Karpfenteich

Die heutige Folge erzählt von der Neuen Deutschen Welle, den Besuchen in einer Schwulenbar – und wie man plötzlich ans Set von "Irgendwie und Sowieso" geraten kann.
Bernhard Linck |
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"Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich bei den Dreharbeiten die Fahrzeuge betreuen wollte und war sofort dabei": Bernhard Linck mit der Flex an der Werkbank.
privat "Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich bei den Dreharbeiten die Fahrzeuge betreuen wollte und war sofort dabei": Bernhard Linck mit der Flex an der Werkbank.

Mittlerweile war ich in meinem zweiten Jahr meiner Kfz-Mechaniker-Lehre angekommen, handelte nebenbei mit Autos und war donnerstagabends Türsteher im Café Steeger: Theo, der Wirt, und ich dachten, wenn ich eh jeden Tag da bin, könnte ich auch gleich ein bisschen was arbeiten, und ich war jung und brauchte das Geld.

Dummerweise hatte ich meinen schönen 71er SS Camaro beim Abbiegen um eine Tram gewickelt, genauer gesagt, die Trambahn traf mich genau auf Höhe der Fahrertür, katapultierte mich auf die Beifahrerseite und machte aus der geilen Kiste eine schrottreife Banane.

Ein paar Monate später hatte ich mir vom Konitzky Bernd einen 78er Pontiac Firebird Trans Am, 6,6 Liter, gekauft, knallrot mit herausnehmbaren Dachfenstern und starkem Sound.

Einmal wöchentlich fuhr ich mit dem Teil in die Berufsschule am Elisabethplatz. Meine Klassenkameraden waren meist erst 16 oder 17, wenn sie ihre Lehre absolvierten, sie kamen mit dem Moped – und ich war mit dem Schlitten der Hecht im Karpfenteich.

Schneeweiße Hosen, schneeweiße Stiefel, schneeweißes Sakko

Nach einem halben Jahr langweilte mich der Firebird, weil seine Dachfenster nie dicht waren, die Kiste schüttelte sich aufgrund der fehlenden Stabilisierung durch ein komplettes Dach bei jeder Bodenwelle derart, dass ich die Dachfenster mit Silikon fest einklebte und den Karren verkaufte.

Ich hatte supergünstig einen weiteren 71er SS Camaro in Metallicgrün gekauft, mit wenig Kilometern und top in Schuss. Bis auf die Farbe. . .

Wir schreiben das Jahr 1983, die neue Deutsche Welle hatte uns alle erfasst, und wir gingen am Donnerstag nach wie vor ins Steeger, am Freitag und Samstag aber ins "Zip" am Oskar-von-Miller-Ring. Mein Outfit war mittlerweile nicht mehr ganz so schrill wie in den Siebzigern, ich trug jetzt schneeweiße Hosen, schneeweiße Stiefeletten von Bartu und ein schneeweißes Sakko dazu. Den neuen Camaro hatte ich mittlerweile schneeweiß lackiert, damit er zu mir passte, denn dieses Metallicgrün ging ja überhaupt nicht.

Im Zip begrüßte uns Zoltan, der Türsteher, und wir gaben ihm immer Bescheid, wenn wir unten an der großen Bar einen Joint gerollt hatten, und er kam runter und kiffte mit uns. Keinen kümmerte das, warum auch. Außerdem zogen wir uns öfter mal Poppers rein.

Das Poppers musste man im "Ochsengarten" holen, einer Kneipe mit Dresscode in der Müllerstraße, die es heute noch gibt. Im Ochsengarten verkehrten hauptsächlich Schwule, die alle schwarze Lederklamotten trugen, und viele benutzten Poppers, ein Relaxans, das alle Muskeln schön entspannt.

Der Systemfehler zwischen den coolen Jungs im Ochsengarten

Ich hatte jedes Mal ein leicht unangenehmes Gefühl im Ochsengarten, sah ich doch in meiner schneeweißen Klamotte unter all den schwarz gekleideten Leder-, Gummi- und Uniformjungs aus wie ein Systemfehler. Aber niemand behelligte mich jemals, die Jungs waren supercool. Einige hätten schon mal angebandelt, ich aber ließ mich nicht beirren, ich stand einfach nur auf Frauen.

Schnurstracks ging ich an die Bar, bestellte ein Bier und ein Fläschchen Poppers, bestaunte das schwarz gekleidete Volk, und nach einer halben Stunde trollte ich mich wieder mit meiner Beute. Da drin war’s keine Sekunde langweilig.

Meine Freunde im Zip warteten schon aufs Poppers und waren alle heilfroh, dass immer ich es war, der diesen exotischen Auftrag übernahm.

Zum ersten Mal hörten wir Lieder wie den "Kommissar" von Falco, "Major Tom" von Peter Schilling, "Eisbär" von Grauzone, "Déjà vu" von Spliff, Trio mit "Dadada", aber auch Fehlfarben, Extrabreit, Inga und Anette Humpe mit Ideal, um nur die bekanntesten zu nennen.


So ein Gefährt hat in den frühen Achtzigern schon etwas her gemacht: Der damalige weiße Chevrolet Camaro von Bernhard Linck. Foto: privat

Irgendwie ging auf einmal alles, jeder noch so schwachsinnige Text und jeder noch so abgefahrene Bandname. Endlich verstand ich, was gesungen wurde, denn die Texte der englischen Hits waren damals noch ein großes Rätsel für mich.

In meiner Schulzeit wurde in der Hauptschule einmal pro Woche eine Dreiviertelstunde Englisch unterrichtet, das musste reichen. Daran änderte sich nichts, bis ich 1972 die Schule verließ. Erst viel später auf meinen Reisen lernte ich wirklich, Englisch zu sprechen.

Es war eine wilde, schöne Zeit im Zip, selbst als uns der Wirt bat, doch bitte nicht mehr unsere langen Joints im Lokal zu rauchen, aber er hätte nichts dagegen, wenn wir’s vor der Türe machten. So hockten wir uns in die Autos und kifften dort.

Einmal saßen wir zu viert im Camaro vorm Zip, es war saukalt, und so hatten wir die Fenster zu, ich hatte den Joint gerade im Aschenbecher ausgedrückt, als ein Polizist in Uniform an meine Seitenscheibe klopfte. Ich ließ die Scheibe herunter, und der komplette Rauch zog nach außen, quasi durch den Polizisten hindurch. Der hustete nur und meinte, ich könne hier nicht stehenbleiben, wir sollten uns doch einen Parkplatz suchen.

1984, als ich meine Lehre nach zwei Jahren erfolgreich beendet hatte, handelte ich bereits mit ersten VW Golfs, meistens Tüv-fällig oder verunfallt, sie waren klein, praktisch, begehrt und nach einmaligem Inserat sofort verkauft.

Zudem erwarb ich einen VW-Transporter und fuhr als selbstständiger Kraftfahrer "Eilige Arzneimittel". Im heutigen Rechtsverständnis ein "Scheinselbstständiger", verdiente ich damals richtig gut Kohle damit, 4400 Mark netto, und hatte einen super entspannten Job.

Irgendwann wurde mir die Fahrerei zu langweilig, ich engagierte den Breito aus Pasing als Fahrer und konnte mich wieder meinen Autos widmen.

Im Sommer war ich nach wie vor um drei Uhr nachmittags am See, fuhr mittlerweile einen (schneeweißen) Trans Am, und als meine Freunde 1985 begannen, bei den Dreharbeiten für "Irgendwie und Sowieso" mit zu arbeiten, den Franz Xaver Bogner damals in ganz Bayern drehte, war ich sofort am Start. Es begann damit, dass wir in Geretsried die drei alten Setra-Busse aus den Fünfzigern, die ja aussahen wie halt so alte Busse aussehen, komplett abschleifen mussten, damit sie neu lackiert werden konnten. Eine Schweinsarbeit. Wir waren nur zu dritt, der Schmuse, der Klausi und ich. Und so ein Bus hat Flächen. . .

In der Halle neben uns baute das Stunt-Team einen vierten Bus, der einem unserer drei zum Verwechseln ähnlich sah, für die Szene um, in der dem Bus, der in die niedrige Unterführung hineinfährt, das komplette Dach abrasiert wird. Das war schon sehr viel spannender zu sehen, wie die Jungs einen zweiten, versteckten, etwa drei Meter nach hinten versetzten Führerstand einbauten, um den Fahrer zu schützen. Vorne auf dem stillgelegten Fahrersitz würde während des Stunts nur eine Puppe sitzen.

Außerdem zeigten sie mir, wie sie das komplette Dach des Busses präparierten, damit es, ohne zu knautschen, von der Einfahrt in die Unterführung komplett abrasiert wurde.

Elmar Weppers Filmauto soff 30 Liter auf 100 Kilometer

Genauso sah es im Film hernach allerdings auch aus. Damit es spektakulärer aussah, ließ man an der Stelle den Film etwas schneller laufen und das Dach wurde, als der Bus in die Unterführung einfuhr, in einem Stück nach hinten heruntergeschoben, was ganz schön unecht aussah, weil es eben bloß oben auflag und an ein paar Stellen befestigt war.

Slapstick. Analog halt, aber süß. Niedlich geradezu.

Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich bei den Dreharbeiten die Fahrzeuge betreuen wollte und war sofort dabei. Mann, war das aufregend.

Der riesige silberne Buick Riviera, das Filmauto vom Sepp, also Elmar Wepper, war natürlich unsere Kiste. Schon alleine deswegen, weil die Schüssel zuverlässig immer ansprang und blubbernd lief. Der gewaltige 7,5 Liter große Motor soff zwar 30 Liter auf 100 Kilometer, was uns ziemlich wurst war, weil den Sprit zahlte ja die Tellux.

Sir Quickly, also Ottfried Fischer, war ja damals auch noch unbekannt und so jung wie wir.

Wir verstanden uns blendend mit ihm, schon alleine wegen seiner lockeren Sprüche und weil er sehr lustig war.


Der Autor

Auf dem linken Bild ist er 18: Ein kleines bisserl hat sich der Münchner Bernhard Linck, Jahrgang 1957, schon verändert, oder?


Und was haben Sie erlebt? Schreiben Sie an die AZ!

Die AZ wird Sie in diesen Sommertagen unterhalten mit Geschichten aus den Zeiten, in denen München doch noch münchnerischer war als heute. Als Stenze durch die Stadt strawanzten – und Striezis und Schandis aneinandergeraten sind.
Haben Sie selbst auch solche Münchner Gschichten erlebt? Schreiben Sie sie auf – und schicken sie, gern mit Fotos (falls vorhanden) – an leserforum@az-muenchen.de

Oder per Post an:
Abendzeitung
Kennwort: Gschichten
Garmischer Straße 35
81373 München

Die AZ wird ausgewählte Gschichten veröffentlichen.

Lesen Sie hier Teil 1 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": Erst ein Ohnmachts-, dann ein Tobsuchtsanfall

Lesen Sie hier Teil 2 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Sie legten uns Achter an, dann ging's in die Löwengrube"

Lesen Sie hier Teil 3 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": Straßenschlägereien, Einzelhaft und ein Wahnsinnsgeschoss

Lesen Sie hier Teil 4 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "An Zwickl-Fünfer mit de kurzn Kartn"

Lesen Sie hier Teil 5 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": Wie Fierek zum Film kam: Mit der Dogge im Commodore

Lesen Sie hier Teil 6 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ich war nie ein Striezi oder ein Stenz"

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