Tausende Münchner: Alleinerziehend - und von Armut bedroht

Schicksal alleinerziehend und von Armut bedroht: Ohne Partner, mit Kind(ern) – da ist es schwer, den Lebensunterhalt zu verdienen. In der AZ sprechen Betroffene.
von  Tina Angerer
Akademikerin Tanja (Name geändert) bekommt derzeit Hartz IV und sucht einen Job. „Ich drehe ich jeden Cent um.“
Akademikerin Tanja (Name geändert) bekommt derzeit Hartz IV und sucht einen Job. „Ich drehe ich jeden Cent um.“ © Petra Schramek

Schicksal alleinerziehend und von Armut bedroht: Ohne Partner, mit Kind(ern) – da ist es schwer, den Lebensunterhalt zu verdienen und Kinder zu erziehen. In der AZ kommen Betroffene zu Wort.

MÜNCHEN - München ist die Stadt der Kaufkräftigen, 2177 Euro pro Monat hat der Münchner im Durchschnitt. Realität ist aber auch, dass selbst hier für viele Kinder zum Armutsrisiko geworden sind – besonders für Alleinerziehende. Rund 37,5 Prozent der Kinder Alleinerziehender sind armutsgefährdet, in München leben 20.000 Kinder von Hartz IV.

Die Alleinerziehenden sind zu 90 Prozent Frauen, in München rund 26.000. Fast 8.000 leben von Hartz IV, die Hälfte sucht derzeit eine Arbeit. Das sind nicht nur Frauen ohne Ausbildung. Auch qualifizierte Frauen können oft nicht zurück in den Beruf.

Das Schlüsselproblem ist die Kinderbetreuung: Wer keinen Kita-Platz hat, kann nicht arbeiten gehen. Es gibt viel zu wenig Plätze, und sie decken oft nicht die Arbeitszeiten ab. „Wir brauchen bessere Kinderbetreuung in den Randzeiten und am Wochenende“, sagt Brigitte Wolfram, beim Jobcenter die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. „Dazu kommt, dass manche Frauen nicht mal ihre Teilzeit absolvieren können, weil es zu wenig Mittagsbetreuung gibt.“

Wolfram trat gerade als Expertin bei der einer Messe für Alleinerziehende auf, mit der das Jobcenter Hilfen bietet. Die AZ stellt auf dieser Seite drei Frauen vor.

Der Fall Tanja (30)

Die Ethnologin (Name geändert) hat einen fast vierjährigen Sohn. Vor gut drei Jahren haben sich Tanja und ihr Mann getrennt. Als Noah geboren wurde, hat sie noch Ethnologie studiert – und immer nebenbei gearbeitet. „Ich habe an der Uni gejobbt, in der Bibliothek, als Tutorin, aber auch bei Kulturprojekten mitgemacht oder im Café gearbeitet“, erzählt sie. Ein Jahr hat sie pausiert, danach konnte sie das Studium beenden. „Ich hatte das Glück, dass Noah mit einem Jahr in die Krippe der Uni gehen konnten. Ich habe mich auch für städtische Krippen beworben – keine Chance.“

Beim Kindergartenplatz ab drei Jahren war es noch schwieriger. „Ich habe mich bei über 30 Kindergärten im ganzen Stadtgebiet beworben.“ Bei einer Elterninitiative hat es schließlich geklappt – auch da hatte Tanja großes Glück. Denn Elterninitiativen leben von der Mithilfe der Eltern. „Und gerade da können Alleinerziehende ja oft weniger leisten“, sagt Tanja. Bis jetzt hat Tanja noch keinen Job gefunden. „Zurzeit mache ich ein Praktikum in einer Beratungsstelle für natürliche Geburt. Ich habe mich da selbst mal beraten lassen und danach dort Kinder während der Beratung ihrer Mütter betreut.“

Bezahlt wird sie nicht. Weil Noahs Vater kein Geld hat, erhält Tanja vom Jugendamt Unterhaltsvorschuss, 130 Euro pro Monat, dazu Hartz IV. „Ich drehe jeden Cent um“, sagt sie. „Ich möchte auf jeden Fall wieder arbeiten, aber Vollzeit schaffe ich alleine mit Kind nicht.“ Ihre Mutter hilft, aber auch die ist berufstätig. Tanja: „Ich glaube, dass ich im Job etwas zu bieten habe – aber es muss mit meinem Sohn vereinbar sein.“

Der Fall Claudia (36)

Sie war 17 Jahre lang mit ihrem Mann zusammen, die Kinder sind 9, 6, 3 und eins. Anfang des Jahres hat sich Claudia getrennt – nach Jahren, in denen es immer wieder Streit gegeben hatte. „Ich war so weit zu sagen: Ich erziehe meine Kinder lieber alleine.“ Mit dem ersten Kind ging die festangestellte Bankkauffrau in Elternzeit – und da ist sie immer noch. Ihr Mann zahlt Unterhalt, für sie und die Kinder. „Ich habe das Glück, dass ich die Wohnung halten kann.“

Trotzdem ist die Belastung höher geworden. „Es liegt eben jetzt alles auf meinen Schultern, auch abends und am Wochenende.“ In der letzten Schwangerschaft und bei der Geburt gab es Komplikationen, deswegen ist ihr jüngster Sohn motorisch entwicklungsverzögert. Er braucht viel Zuwendung, extra Therapien. Nach dem neuen Scheidungsrecht muss der Mann für die Ex-Frau nur zeitlich begrenzt Unterhalt zahlen. „Ich habe vor, in Teilzeit zu arbeiten“, sagt sie. Wenn der Kleinste auch im Kindergarten ist.

Jetzt hofft sie, dass ihr eine Mutter-Kind-Kur bewilligt wird. Noch immer leidet sie unter den Folgen der Schwangerschaft. Auch die Trennung hat ihr zugesetzt, trotzdem ist Claudia sicher, dass sie richtig war. „Es ist bestimmt auch für die Kinder besser, wenn daheim weniger Streit ist.“

Der Fall Manuela (30)

Ihr Job ist es, anderen zu helfen. Seit 1998 hat Manuela in einem Wohnstift gearbeitet, alte Menschen betreut, 14 Jahre lang. Sie ist fest angestellt, zurzeit ist sie noch in der dreijährigen Elternzeit. Mit dem Vater des Kindes hat sie nie zusammengelebt. „Er hat sich nie um sie gekümmert und auch erst nach eineinhalb Jahren die Vaterschaft anerkannt“, erzählt sie. Weil sie festangestellt ist, hat sie nach Ende der Elternzeit weiter Anspruch auf ihre Vollzeitstelle – klingt eigentlich gut, ist für sie aber nicht praktikabel.

Das Problem sind die Arbeitszeiten. Bisher arbeitet sie in drei Schichten: Entweder ab sechs Uhr morgens oder die Nachmittagsschicht bis abends um 20 oder 21 Uhr – oder die Nachtschicht. Dazu kommen noch Wochenenddienste. „Es gibt aber keine Kindergärten mit solchen Öffnungszeiten“, sagt sie. Gerade in typischen Frauenberufen – in den sozialen Berufen, in der Gastronomie und im Einzelhandel – sind die Arbeitszeiten ungewöhnlich.

Die Flexibilität bei Arbeitgeber lässt da zu wünschen übrig. „In dem Seniorenwohnstift, in dem ich gearbeitet habe, hatte ich lauter Frauen als Kollegen – aber da war keine einzige Alleinerziehende“, erzählt Manuela. Ihre Eltern wohnen nicht in München. Manuela hofft aber auf eine Lösung: „Ich kenne eine Pflegerin, die hat sich der Arbeitgeber eingestellt auf die Zeiten der Kinderkrippe.“ Zur Not müsste sie sich einen anderen Job suchen, vieleicht in der mobilen Betreuung. Zurzeit lebt die 30-Jährige von Hartz IV und stemmt alles alleine: „Ich möchte nicht abhängig sein von HartzIV. Ich habe immer mein eigenes Geld verdient.“

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