Tatort Bahnhof: Verbrechen im Münchner Nahverkehr
Viele Menschen auf engem Raum = großes Konfliktpotenzial. Vielleicht könnte man es auf diese einfache Formel bringen. Tatsache ist: Seit einigen Jahren nimmt die Gewaltkriminalität im Münchner Nahverkehr wieder zu. Nachdem die Zahlen zuvor rückläufig gewesen waren. Das berichtete die Polizei in ihrem jüngsten Sicherheitsreport 2011.
Innerhalb eines Jahres registrierte sie zuletzt 378 Gewalttaten. In den allermeisten Fälle kommt es nicht im Zug zu Übergriffen – sondern an den Haltestellen. Die sind immer wieder zum Schauplatz Aufsehen erregender Verbrechen geworden. Ein paar Beispiele.
16. Dezember 1976, 13.45 Uhr:
Im Stachus-Untergeschoss wird ein Rekord-Lösegeld übergeben, danach endet einer der spektakulärsten Entführungsfälle in der Bundesrepublik. Mit 21 Millionen Mark kauft der Fabrikant Rudolf-August Oetker seinen Sohn frei. Nie zuvor war von Kidnappern eine so hohe Summe kassiert worden.
Rückblick: Das Martyrium des Richard Oetker beginnt am 14. Dezember. Der Student (25) wird auf dem Parkplatz der Uni Weihenstephan überwältigt. Sein Kidnapper sperrt ihn in eine 1,45 Meter lange und 70 Zentimeter breite Holzkiste, die sich in einem Lieferwagen befindet. Oetker, ein großer Mann, kann dort nur in Embryonalhaltung liegen.
Besonders perfide: Die Kiste ist mit einem Folterinstrument ausgestattet – das kann dem Opfer Stromschläge versetzen. Als der Entführer beim Öffnen der Garagentür das Blechdach des Kastenwagens touchiert, wird diese Einrichtung ausgelöst. Oetker überlebt die Tortur, bleibt aber schwer gehbehindert.
Die Geldübergabe ist ausgeklügelt. Als der Bruder des Entführten im Stachus-Untergeschoss mit dem Geld auftaucht, springt der Täter aus dem Fluchtgang, der zu den Tiefgaragen führt. Er entreißt dem Überbringer den Geld-Koffer und schlägt die Tür von innen wieder zu. Sie ist von außen nicht zu öffnen. Die Polizeibeamten können nichts tun.
„Mit einem einfachen Trick legte der Entführer die Polizei herein“, schreibt die AZ, nachdem Oetker wieder frei ist. 47 Stunden hat seine Entführung gedauert. Erst zwei Jahre später kann Dieter Zlof als Täter festgenommen werden.
22. Januar 1995:
Polizeimeister Markus Jobst (21) und Polizeimeisterin Margit Haber (24) treffen im U-Bahnhof Bonner Platz auf den Räuber Boro M. (24). Der hat zuvor die Aral-Tankstelle an der Ungererstraße überfallen. Die beiden jungen Polizisten wollen den Täter stellen, doch der eröffnet sofort das Feuer. Haber wird dabei lebensgefährlich verletzt. Sie kann aber durch eine Not-OP gerettet werden.
Auch Markus Jobst wird getroffen – er fällt auf die Rolltreppe. Der Polizist verblutet auf der Fahrt in die Klinik. „Manchmal stelle ich mir vor, dass er verheiratet ist, selbst Kinder hat, dann bin ich ganz traurig“, sagt seine Mutter Christa heute. Sie geht jeden Tag auf den Friedhof.
Boro M. wird ein Jahr nach der Tat zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der Richter im Prozess sagt, Jobst habe Skrupel gehabt, dem Täter in den Rücken zu schießen. Skrupel, die Boro M. nicht kannte.
20. Dezember 2007:
Der pensionierte Schulleiter Bruno N. macht die beiden Jugendlichen bloß auf das Rauchverbot in der U-Bahn aufmerksam. Was darauf folgt, ist ein Gewaltexzess.
Serkan A. (20) und Spyridon L. (17) bringen den damals 76-Jährigen fast um – und das vor laufender Kamera. Ein Überwachungsvideo hält die Tat im Mittelgeschoss der U-Bahn-Station am Arabellapark fest. 13 Schläge und Fußtritte gegen Kopf und Oberkörper werden später gezählt.
Drei Schädelbrüche, abgebrochene Zähne, eine Nasenfraktur und Blutergüsse – die Jugendlichen richten Bruno N. übel zu. Ihre brutale Tat sorgt deutschlandweit für Aufsehen und löst eine politische Debatte über härtere Strafen aus.
„Ich bin der Boxsack auf dem Boden“, beschreibt Bruno N. selbst die Sequenz im Video. „Die Kerle wollten mich wirklich killen.“ Serkan A. und Spyridon L. werden zu zwölf und achteinhalb Jahren verurteilt. Beide sind schuldig des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung.
12. September 2009:
Der Todestag von Dominik Brunner. Mit seinem Einsatz für vier Schüler (damals 13 bis 15 Jahre) ist er zur Symbol-Figur für Zivilcourage geworden. Ausgangspunkt ist damals der S-Bahnhof Donnersberger Brücke. Markus S., Sebastian L. und ein Spezl (19) bedrängen die Schüler. Sie wollen von ihnen 15 Euro haben. Dann trennt sich das Trio.
Zwei der Täter und die Schüler steigen in die S-Bahn nach Wolfratshausen. Die Drohungen gehen weiter. Hier tritt Dominik Brunner auf den Plan. Er will die Schüler schützen. Gemeinsam mit ihnen steigt er am S-Bahnhof Solln aus. Dort kommt es zur tödlichen Eskalation. „Die Angeklagten hatten beschlossen, sich an Brunner zu rächen. Mit breiten Schultern und geballten Fäusten sind sie auf ihn zu“, wird der Richter Reinhold Baier später schildern, was dort passiert ist.
Mit Tritten versucht Brunner, sie von sich abzuhalten, rekonstruiert das Gericht. Markus S. geht weiter auf ihn zu. Baier: „Brunner versetzte einen Faustschlag gegen Markus S.“ Der bewaffnet sich mit einem Schlüssel, dessen Spitze zwischen den Fingern rausragt. Anfangs kann Brunner sich noch wehren. Plötzlich geht er zu Boden. Trotzdem schlagen und treten sie weiter auf ihn ein. 22 Mal. Erst als Brunner regungslos liegen bleibt, lässt Markus S. von ihm ab.
Die beiden Schläger werden noch in Tatortnähe festgenommen. Brunner stirbt gegen 18.20 Uhr in einer Klinik. Todesursache Herzversagen. Laut Obduktionsbericht führte keine der Verletzungen unmittelbar zum Tod Brunners. Er starb an einem Herzstillstand aufgrund eines vergrößerten Herzens. Auslöser: die Schläge. Der 19-jährige Haupttäter Markus S. bekommt neun Jahre und zehn Monate Haft wegen Mordes. Sein Komplize Sebastian L. (18) muss sieben Jahre wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge ins Gefängnis.
- Themen:
- Bonner Platz
- Dominik Brunner
- MVV
- Polizei