Studenten beim Münchner Mieterstammtisch: Ohne Moos – wohnungslos
München - Sie sitzen in der Klemme: Azubis und Studenten, die von Zuhause ausziehen wollen. Wer in München ein Zimmer oder eine Wohnung sucht, erlebt bei Besichtigungen Schlangen bis ums Eck. Jungen Leuten wird nicht zugetraut, Miete und Kaution zu bezahlen – und so pendeln sie zwischen "Ich finde nichts", und: "Ich finde etwas, aber die Eltern können es nicht zahlen – und das Bafög reicht nicht."
"Ohne Moos, wohnungslos" verkündet Vanessa Sander, die den elften Münchner Mieterstammtisch für Azubis und Studenten geplant hat: "Es fehlt massiv bezahlbarer Wohnraum für junge Leute, die sich ein Leben aufbauen wollen." In den 90er Jahren haben Studenten in Umkreis von zwei Kilometern von LMU und TU, für 30 Quadratmeter 473 Euro warm gezahlt. Inzwischen sind es 717 Euro.
Wohnungsnot: Ein Viertel der Studenten leben bei den Eltern
Das sind 23 Euro pro Quadratmeter. "Buh"-Rufe kommen aus dem Publikum. Über 70 Mieterstammtisch-Besucher tauschen sich Dienstagabend im Club "Import Export" über den Mietenwahnsinn aus. "Nur wer gut Geld hat, kommt in München weiter", findet ein Gast, "das birgt sozialen Sprengstoff." Denn wie Pilze aus dem Boden ploppen gerade neue, modern möblierte Einzimmer-Appartements für Studenten auf: schick und hochpreisig.
Nach einer Umfrage lebt ein Viertel der Studenten bei den Eltern, ein Drittel in Wohngemeinschaften, ein Sechstel im Wohnheim. "Dem Studentenwerk München fehlen 12.000 Plätze in Studentenwohnheimen. Für Azubis gibt es fast keine", bedauert Stammtisch-Organisatorin Sander. Am Innsbrucker Ring werde zwar gerade ein Azubiwohnheim mit 112 Plätzen gebaut. Die Stadtwerke haben im März 56 Werkswohnungen eingeweiht, auch mit Dreier-WG’s für ihre Azubis.
Aber in München hat sich die Zahl der Studenten stark erhöht: von 91.000 (2008) auf 129.000: "Die Stadt ist bei der Raumnot für junge Leute gefragt. Das ist ein Riesen-Thema", sagt Grünen-Politikerin Anna Hanusch (43) beim Stammtisch. Sie kam übrigens als Architektur-Studentin nach München – zuerst mit einem Zimmer im Evangelischen Studentenwohnheim.
Ines Tsartsaris "Wir wollen Unabhängigkeit"

Die 24-jährige Ines Tsartsaris ist frisch ausgebildete Krankenschwester. Sie nimmt die Arbeitgeber in die Pflicht: Sie sollen Verantwortung übernehmen für das Wohnen ihrer Azubis – und bezahlbare Wohnheime bauen.
"Es ist der totale Quatsch, wenn Azubis gezwungen sind, bei ihren Eltern wohnen zu bleiben, weil es keine Wohnheime gibt. Nicht jeder versteht sich gut mit seinen Eltern. Ich war 19 Jahre alt, hatte Abi und wollte unabhängig von meinen Eltern leben. Doch ein WG-Zimmer in München zu finden für 400 bis 600 Euro war für michwährend meines Freiwilligen Sozialen Jahrs unmöglich. Später hatte ich das Riesenglück in der Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Über meinen Arbeitgeber, das Krankenhaus, habe ich ein Wohnheimzimmer bekommen; das waren aber auch 400 Euro für mickrige 18 Quadratmeter mit Wasserflecken, ohne eigenem Bad und ohne eine eigene Küche. Diese Räume haben sich zehn Mädels geteilt.
Aber Azubis wollen Unabhängigkeit! Sobald sie im Betrieb sind, arbeiten sie fast als vollwertiges Mitglied mit. Sie können wegen der Wohnungsnot aber nicht selbstständig leben. Ich bin Mitglied bei der DGB-Jugend, also bei der Gewerkschaft, und finde, die Mindestausbildungsvergütung müsste höher sein, um die finanzielle Unabhängigkeit zu sichern. Azubis im Friseurgewerbe haben zuletzt nur 300 Euro im ersten Lehrjahr bekommen. Das war viel zu wenig. Mein Appell an die Arbeitgeber in München: Schafft Wohnheimplätze und erhöht die Mindestausbildungsvergütung weiter."
Rafael Pietsch "Soll ich von Rosenheim an die Uni?"

Der 19-Jährige studiert Informatik im ersten Semester. Die enge Stadt stört ihn: "Ich habe das Problem, ich muss bei meinen Eltern in Bogenhausen ausziehen, denn meine Eltern ziehen weg. Aber soll ich jetzt von Rosenheim zur Uni fahren? Ich bekomme kein Zimmer, obwohl ich neben dem Studium 20 Stunden pro Woche als Werkstudent arbeite. Als Einkommensnachweis reicht das aber den meisten Vermietern nicht aus.
Mit dem SDS, dem Studentenverband der Linksjugend, haben wir zu Semesterbeginn einige Zelte am Geschwister-Scholl-Platz aufgestellt, um auf die Probleme der Studierenden aufmerksam zu machen. 95 Prozent der Studenten fanden diese Aktion super, würde ich sagen. Das Akute für uns Studenten muss sichtbarer werden. Zum Beispiel heute Morgen war die U2 überfüllt, ich kam nicht rein. Ich musste fünf U-Bahnen abwarten und bin zu spät zur Vorlesung gekommen - super ...! Mein Appell: Werdet aktiv, tut etwas."
Marie Banck "Wohnen ist ein Grundrecht"

Die 34-Jährige hat in München Skandinavistik und Ethnologie studiert: "Wohnen ist ein Grundrecht. Wir können nicht unter der Brücke schlafen! Studenten können ja auch mal mit einer richtigen Mistkammer zufrieden sein. Fünf Quadratmeter ohne Heizung im S-Bahn-Bereich Neuaubing – das hatte ich, als ich zum Studium in die Stadt kam.
In den ersten drei Jahren bin ich fünf Mal umgezogen, immer von Zwischenmiete zu Zwischenmiete. Dann hatte ich eine tolle WG in der Wagnerstraße in Schwabing, unten im Haus war das Schwabinger Podium. Doch es gab einen Eigentümerwechsel, ein Multimillionär hat das Haus kernsaniert. Sein eigenes Nest bedroht zu sehen, ist absolut furchtbar! Wir Mieter haben uns zusammengeschlossen und in der Wagnerburg fünf Jahre starken Widerstand geleistet. Das hat auch Spaß gemacht. Mein Plädoyer ist: Die Kraft liegt in der Masse. Schließt euch zusammen."
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