Streit im Stadtteil: Verschandelt ein Lidl hier bald den alten Dorfkern?
Eine fast dörfliche Idylle gab es im alten Ramersdorf im Münchner Südosten bis Anfang der 1960er-Jahre. Das sah so aus: Das Gasthaus Alter Wirt, die Wallfahrtskirche Maria Ramersdorf mit ihrem Zwiebelturm, das Metro-Kino, die Führichschule und ein Fußballplatz ergaben ein idyllisches Dorf in der Großstadt München.
Rechtsanwalt Wolfgang Thalmeir erinnert sich noch mit Wehmut an dieses Zentrum, das ein Treffpunkt war: Die Führichschule war seine Grundschule, in der Kirche hatte er Erstkommunion und im alten Wirt daneben die Feier.
Auf der jüngsten Bürgerversammlung im Bezirk zeigte Thomas Kauer (CSU), BA-Chef von Ramersdorf-Perlach, eine Präsentation, auch zum Stadtratsbeschluss von 2018: den historischen Ort zu revitalisieren. Er kritisiert: "Die Stadt setzt die falsche Priorität."
Mit dem Ortskern hab man die Bürger über Jahrzehnte heiß gemacht und umfassend beteiligt. "Jetzt setzt man einen anderen Schwerpunkt", so Kauer. Denn in naher Zukunft droht ein Lidl-Discounter den alten Ortskern zu verschandeln. Nach dem Motto: "Discounter statt Dorfkern?", so Kauer. Lidl hat hier Grundstücke gekauft und will um Baurecht ansuchen.
Kauers Fraktionskollege Simon Soukup im Stadtteilparlament sagt: "Es ist ein absurdes Trauerspiel um den alten Ortskern. Für die Stadt hat die Umgestaltung keine Priorität. Wegen einer Trambahnplanung nach Neuperlach ist der Umbau wissentlich verzögert worden."
Dabei gebe es bereits einen runden Gesamtplan: "Mit einem Marktplatz vor der Kirche, viel Grün, einer Blockrandbebauung zum Ring, der Integration der Tankstelle und einer zusammengeführten Rosenheimer Straße. Wir wollen die schöne Gesamtplanung, kein Stückwerk!"
Als München in den 60er und 70er-Jahren schnell wuchs, mussten das Kino und der Fußballplatz am Ortskern von Ramersdorf weichen. Es entstanden breite Autostraßen. Der Ortskern mit Kirche, Pfarrhaus und Mesnerhaus, der unter Ensembleschutz steht, ist verkehrsumtost. Die Insel wird heute von der stark befahrenen Rosenheimer Straße und dem Innsbrucker Ring umschlossen. Die traurige Insellage trennt den Ortskern von den benachbarten Vierteln.oha
Dabei hatte Stadtbaurätin Elisabeth Merk (parteilos) in einer Broschüre zu dem Rahmenplan mit Tempo 20 auf der Aribonen- und Ramersdorfer Straße und einem autofreien Platz vor der Wallfahrtskirche St. Maria Ramerdsorf als neuer Ortsmitte geschrieben: "Ramersdorf soll sein Herzstück zurückbekommen."
Seit sieben Jahren sind Bürger, Wohnungsbau, Einzelhandel, Kirche, Denkmalschutz und die Lokalpolitik inzwischen im Wartestand: "Erst kam die Corona-Pandemie, dann die Pläne für die neue Tram", erklärte Thomas Kauer die Verzögerung auf der Versammlung in der Turnhalle der Führichschule. "Die Rosenheimer Straße und den Ortskern vor dem Verlegen von Tramgleisen umzubauen, macht keinen Sinn", so BA-Chef Thomas Kauer.
Ein Stillstand mit Ansage: Wegen des angespannten Haushalts hat die Stadt größere Projekte zum Tramausbau erstmal verschoben. Und eine Machbarkeitsstudie für die Tram ist vertagt.
Für Unmut sorgt aktuell diese Interims-Nutzung: Auf dem gekiesten Grundstück im Ortskern, das der Firma Lidl gehört (und auf dem sie später ihren Discounter-Markt plant), wird die Sixt-Autovermietung kleine Lkw und Minivans abstellen.
Dafür wird das Grundstück versiegelt, auch Bäume müssen fallen. "Attraktiv wird das nicht. Leider ist das Schlüsselübergabesystem schon installiert", hat Simon Soukup, CSU-Fraktionsvorsitzender im BA Ramersdorf-Perlach beobachtet. Der 39-Jährige spricht aus, was viele im Viertel denken: "Ich bin sehr enttäuscht, dass die Pläne für einen idyllischen Marktplatz hier bis auf Weiteres verschoben sind."
Anwalt Wolfgang Thalmeir, der seine Kanzlei neben der Kirche hat, und Vorsitzender im Unterausschuss Bau im BA 16 ist, meint: "Der Ramersdorfer Ortskern ist eine Perle: Mit dem Torbogenhaus und dem Eingang zur Kirche, dem Friedhof und dem Alten Wirt mit Biergarten, in dem viel los ist - also das klassische bayerische Ensemble Dorfkirche und Wirtshaus. Wir haben nicht mehr viele alte Ortskerne in München."
Die Diagnose des CSU-Lokalpolitikers: "Das Problem ist, dass die Rahmenplanung wegen ständig überlagernder neuer Planungsideen nicht fortgeführt wurde. Hier fehlen der Wille und vielleicht auch die Mittel für eine konsequente Umsetzung der angefangenen Planung!"
- Themen:
- Biergärten
- CSU