Stoff fürs Couch-Wochenende: Tipps zum Hören, Schauen und Schmökern

München - Am Wochenende bringt Tief "Yigit" den Winter zurück nach München. Der Deutsche Wetterdienst sagt Regen und Graupel voraus. Will man bei so einem Wetter vor die Tür gehen? Eine rhetorische Frage. Bleiben Sie besser daheim!
Hinter der Fassade von Rex Gildo

Die Rahmenhandlung, die sich der eigenwillige Regisseur Rosa von Praunheim ausgedacht hat, mag manchem befremdlich erscheinen. Trotzdem ist dem queeren Aktivisten und Filmemacher eine bewegende Dokumentation über Rex Gildo († 63) gelungen. Er erzählt das Leben des als Ludwig Franz Hirtreiter in Straubing aufgewachsenen hübschen Kerls, der zum Film- und Schlagerstar aufstieg - und mit Gitte Haenning als Traumpaar der Sechziger galt. Sein Schwulsein hat Rex Gildo stets verheimlicht. Seinem Leben, das nur Fassade war, setzte er 1999 ein Ende. Michael Schilling
"Die Reputation" von Juan Gabriel Vásquez

Buchhändlerin Bettina Roetzer (60) aus der Giesinger Buch Handlung (ja, so wird die Buchhandlung geschrieben) empfiehlt "Die Reputation" von Juan Gabriel Vásquez (20 Euro): "Der Autor ist ein junger Kolumbianer und das Thema ist hochaktuell: Es geht um einen 65-jährigen Starkarikaturisten in Kolumbien, dessen Bilder die politische Landschaft bestimmen. Der Mann ist einer, der es weiß, der von sich selbst überzeugt ist - trotzdem wird er nicht unsympathisch gezeichnet. Eines Tages konfrontiert ihn eine Frau mit einer lange vergangenen Nacht und das Selbstbild des Mannes gerät ins Wanken. Das Buch ist deswegen so aktuell, weil Fragen behandelt werden wie: Wie viel Meinungsmacht darf ein einzelner Mensch haben? Lässt sich einer solchen Verantwortung gerecht werden? Das erinnert an diktatorische Machthaber. Besonders gut gefallen hat mir, dass der Autor nicht belehrt. Man lässt das Buch wirken und kommt indirekt auf die Punkte, die dahinterstehen. Die Sprache ist nicht wie die der großen südamerikanischen Klassiker, wie etwa bei Gabriel García Márquez, wo man das Gefühl hat in einem tropischen Regenwald zu stehen. Die Sprache ist klar und es ist grandios erzählt. Und - das wird oft vergessen - es ist exzellent übersetzt." Giesinger Buch Handlung, Tegernseer Landstraße 21. Jakob Mainz
Exotischer Stoff: Friedemann Karigs Roman "Dschungel"

Felix - extrovertiert, risikofreudig - reist nach Kambodscha und verschwindet spurlos. Der namenlose Erzähler des Romans - introvertiert, alles andere als risikofreudig - reist seinem langjährigen Schulfreund hinterher, mitten in den Dschungel, um seinen besten Spezl zu retten. Dabei muss er auch einen Blick zurück in eine nicht immer leichte Vergangenheit werfen und setzt gar seine große Liebe aufs Spiel. Friedemann Karig erzählt in seinem Roman "Dschungel" (22 Euro) von (toxischer) Freundschaft, Erinnerungen an die Kindheit sowie der Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuern - exotischer, guter Lesestoff bei schlechtem Wetter! Leonie Fuchs
"Sehr berührend": "Sibir" von Sabrina Janesch

"Toll erzählt" und "sehr berührend": Karen Fuchs von der Buchhandlung Lese & Lebe empfiehlt die doppelte Vertriebenengeschichte "Sibir" von Sabrina Janesch (24 Euro): "Leila wächst in den 80ern am Rand einer niedersächsischen Kleinstadt auf, in einer Siedlung von deutschstämmigen Aussiedlern aus Russland. Janesch nimmt zwei Perspektiven ein: die der Tochter, die die Andersartigkeit neben den 'normalen' Jugendlichen spürt und die ihres traumatisierten Vaters, der bei Kriegsende von den Russen nach Kasachstan (Sibir) deportiert wird. Die Stränge verknüpft die Autorin sehr gekonnt. Die Erlebnisse des kleinen Josef, seine Freundschaft mit einem kasachischen Jungen in der Steppe sind packend. Leila behauptet sich mit Witz." Lese & Lebe, Waldfriedhofstraße 78. Nina Job
Eine Familiensage: "Über Carl reden wir morgen"

Judith Taschler ist in Deutschland noch nicht so bekannt. Dabei ziehen einen ihre Bücher in einen wahren Bann. So auch "Über Carl reden wir morgen", das im Zsolnay Verlag (24 Euro) erschienen ist. Dass die gute alte Zeit vielleicht doch nicht so gut war, dämmert einem schnell. Das Leben einer Familie im Mühlviertel im 19. Jahrhundert ist hart - über Generationen hinweg. Taschler beschönigt nichts und trotzdem zieht einen dieses Buch nicht runter. Dafür ist es viel zu spannend! Raffiniert fügt sie angerissene Handlungsstränge an anderer Stelle wieder zusammen. Eine Familiensaga, die man am liebsten in einem Rutsch durchlesen würde. Heidi Geyer
Janis Joplins Stimmen-Schwester

Wer bei der kanadischen Band Bywater Call hineinschmökert, hört die ganze Zeit Janis Joplin, nur nicht ganz so rau. Dafür aber genau so kräftig - und präzise - ist die Stimme der Sängerin Meghan Parnell, umgeben von sechs weiteren Profi-Musikern, deren Instrumente sie locker übertönt, wenn sie das will. Schon auf den Alben überrollt einen diese Wucht aus Motown-Sound, Rock, Blues und auch Jazz. Wer auf Youtube-Videos klickt, merkt schnell, dass die Live-Auftritte sogar noch größere Sound- und Emotionslawinen auslösen. In den Songs müsste eigentlich für viele Geschmäcker etwas dabei sein, von langsamen Liebes- und Verlassenwerdens-Balladen bis hin zu klassisch rollendem, jazzigen Big-Band-Soul. Leider kommen die Kanadier vorerst nicht nach München zu einem Live-Auftrit. Hüseyin Ince
"Horror": Gruseln aufm hohem Niveau

Regina Moths, Inhaberin der Buchhandlung Literatur Moths, empfiehlt "Horror" eine Sammlung von Gruselgeschichten aus der Romantik (24 Euro): "Die Reihe ist im Secession Verlag erschienen - einem jungen, mutigen Verlag aus Berlin. In der Sammlung sind beispielsweise Geschichten von Heinrich von Kleist, Edgar Allan Poe oder von E.T.A. Hoffmann - Gruseln auf höchstem Niveau also! Ich würde das Buch gerade jungen Leuten empfehlen. Es sind unterhaltsame Schauergeschichten, die zeigen, dass es Abgründe wie die eines Putin immer schon gegeben hat. Es ist ein perfektes Buch zum Ablenken in diesen kalten Tagen." Literatur Moths, Rumfordstraße 48. Jakob Mainz
Welche Freiheit meinen wir?

Auch Albanien wurde 1990 vom "Wind of Change" ergriffen. Die 1979 geborene Lea Ypi erzählt in "Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte" (Suhrkamp, 28 Euro) aus der Sicht des Kindes, das sie war, wie sie erst glühende Verfechterin des Sozialismus nach Art von "Onkel Enver", dem Diktator Enver Hoxha, war und dann nach Zusammenbruch des Systems feststellen muss, dass ihr Leben auf Lügen beruht. Der verhasste Ex-Ministerpräsident, der "zufällig" den Namen des Urgroßvaters trug, entpuppt sich als echter Urgroßvater. Opas Studium war in Wahrheit eine Haftstrafe, die "Biografie" der Eltern, die Probleme machte, ist das Codewort für Widerstand. Doch als die vermeintliche Freiheit nach Albanien kommt, fühlt sie sich gar nicht so gut an wie erhofft... Martina Scheffler
"Fülle des Lebens kracht herein"

Ohne eine Sekunde nachzudenken empfiehlt Brigitte Gieseler (58) aus der Buchhandlung Lehmkuhl in Schwabing "Die Liebe an miesen Tagen" von Ewald Arenz (24 Euro): "Schon die letzten Bücher wie der 'Große Sommer' oder 'Alte Sorten' von Arenz waren großartig. Dieses ist es wieder. Wie der Titel sagt, ist es ein super Buch für miese Tage. Weil es eine ganz besondere Liebesgeschichte ist. Es ist eine Begegnungsgeschichte zwischen zwei Menschen, die nicht mehr am Anfang ihres Lebens stehen. Nach einer ersten Verliebtheitsphase tauchen die ersten Schwierigkeiten auf... Es ist eines dieser Bücher, das beschreibt, wie man versucht zu leben, und nebenbei all die Dinge passieren, die wirklich wichtig sind. Die Fülle des Lebens kracht plötzlich über einen herein und man kann nicht aufhören zu lesen. Lehmkuhl, Leopoldstraße 45. Jakob Mainz
"Das ist Weltliteratur"

Thomas Voglgsang (52), Geschäftsführer von Buch & Töne, empfiehlt zwei Bücher. "Das glückliche Geheimnis" von Arno Geiger (25 Euro) und "Die geheimste Erinnerung der Menschen" von Mohamed Mbougar Sarr (27 Euro). In beiden Büchern geht es um schriftstellerische Identität: "Und weil Schriftsteller das Leben übersetzen, geht es auch um Identitätsfragen schlechthin. Arno Geiger ist einer der bekanntesten lebenden deutschsprachigen Schriftsteller. Sein neuestes Buch ist eine Autobiografie. Er beschreibt - und ich glaube ihm das - wie er als junger, noch nicht so erfolgreicher Schriftsteller durch die Stadt zieht und in Papiertonnen und Mülleimern nach Fetzen von Authentizität sucht. Also nach weggeschmissenen Briefen, Tagebüchern und so weiter. Er sagt, das sei der beste Weg, um gute Literatur zu schreiben, und man könnte sagen: Der Erfolg gibt ihm recht. Gleichzeitig findet er auf diesen Streifzügen alte Bücher, durch deren Verkauf er sich seinen Unterhalt verdienen kann. Literatur-Containern sozusagen. Das Buch werden bestimmt noch andere Buchhändler empfehlen. Mohamed Mbougar Sarr ist ein senegalesischer Schriftsteller. In seinem Roman geht es um einen jungen senegalesischen Schriftsteller, der in Paris das Werk eines verschollenen Autors entdeckt, dem ein Plagiatsvorwurf gemacht wurde. Es geht also um ein Buch im Buch im Buch. Es ist ein Roman mit starken autobiografischen Zügen. Auch hier geht es um das Dasein als Schriftsteller, aber der Autor schützt sich durch seine Romanfigur. Im Vergleich zu Geiger ist es poetischer geschrieben. Ich würde sagen: Weltliteratur. Es ist sehr vielschichtig und nicht einfach zu lesen. Es geht auch um die Frage, wie man sich als migrantischer Autor behaupten kann." Jakob Mainz
Kaffee und Kühe

"Kaffee am Arsch der Welt" ist eine witzige Satire über die ungezählten Ratgeber, die in Buchläden inzwischen ganze Regalreihen füllen. Eine Erzählung über den Unsinn pseudophilosophischer Weisheiten von selbst ernannten Experten. Geschrieben von Leo Fischer, früher Chef bei "Titanic" und nicht zu verwechseln mit "Das Café am Rande der Welt" (Riva, 12 Euro) von John Strelecky. In seinem Buch strandet Leo Fischer während einer Fahrt im ICE spätabends in Montabaur und landet mit einer Zufallsbekanntschaft später in einer Kneipe, die ihm eine völlig absurde Welt eröffnet. Unter den Gästen begegnen ihm illustere Gestalten, unter anderem der Philosoph und Alleswisser Richard David Precht - der von Leo Fischer mit Genuss durch den Kakao gezogen wird. "Kaffee am Arsch der Welt" ist schräg, manchmal brüllend komisch und die ideale Lektüre für ein verregnetes Wochenende. Zugegeben der Titel "Die Kuh, die weinte" (Lotos, 12,99 Euro) klingt merkwürdig und könnte auf den ersten Blick in eine völlig falsche Richtung lenken. Im Grunde genommen geht es in dem Buch um das Thema Glück. Der Autor hat kurze buddhistische Geschichten um Freude, Achtsamkeit und ein Leben jenseits des westlichen Lebensstils zusammengetragen. Ein unterhaltsamer Lesestoff nicht nur für Anhänger des Buddhismus oder spirituell angehauchte Menschen. Geschrieben von Ajahn Brahm, Abt eines buddhistischen Klosters in Australien. Ralph Hub
"Ein böses Buch"

Das Buch, über das Anneliese Wasserer (68) aus der Kriminalbuchhandlung Glatteis im Glockenbachviertel so spricht, heißt "how to kill your family" und ist von Bella Mackie (22 Euro): "Wunderbar! Großartig! Ich habe mich königlich amüsiert! Es geht um eine junge Frau, die ihre Familie plattmachen will. Es ist wirklich zum Brüllen komisch! Man kann das Buch auf Deutsch oder auf Englisch lesen. Die Protagonistin ist ein uneheliches Kind, ihr Vater hat nie zu ihr gestanden. Im Laufe der Geschichte lernt man dann auf amüsante Art die Familienmitglieder kennen. Die Protagonistin beschreibt sehr detailliert, wie sie ihre Morde plant. Es ist schwarzer Humor vom Feinsten! Mitten im Buch gibt es dann eine herrliche Wendung. Es taucht nämlich ein Familienmitglied auf, das ganz ähnliche Pläne hat wie die Protagonistin. Genremäßig ist es auf jeden Fall ein Krimi. Es kommen einige Menschen um. Insgesamt ein rasantes Buch, das man in einem Rutsch durchlesen mag. Mein Mann hat es auch gelesen - ich würde sagen, es ist ein Buch für Männer und Frauen. Wir sind zwar eine Krimibuchhandlung, aber wir haben auch andere Bücher. Was ich da noch absolut empfehlen kann: ,Das glückliche Geheimnis' von Arno Geiger." Glatteis - die Kriminalbuchhandlung, Corneliusstraße 31. Jakob Mainz
Immer am Abgrund

Eigentlich lese und empfehle ich an dieser Stelle oft und gerne München-Krimis, am liebsten historische. Im Moment bin ich aber in der Hauptstadt unterwegs, denn ich habe mir die Gereon-Rath-Romane von Volker Kutscher vorgenommen, die Vorlage für die TV-Serie Babylon Berlin (Vierte Staffel aktuell bei Sky, ab dem zweiten Halbjahr 2023 auch im Ersten). Auftakt ist der erste Band der Reihe "Der nasse Fisch" (Kiwi). Im Berlin des Jahres 1929 erlebt der junge Kriminalkommissar Gereon Rath eine Stadt im Rausch und voller sozialer und politischer Spannungen. Drogen, illegale Nachtclubs, Straßenschlachten, der vielzitierte Tanz auf dem Vulkan. Rath ist neu in der Stadt, jung und ehrgeizig, und mischt sich - obwohl eigentlich beim Sittendezernat abgestellt - bald in die Arbeit der Mordkommission ein. Dabei sticht er in ein Wespennest. Kutscher schickt seinen Kommissar durch das Berlin der 20er und 30 Jahre und mitten in die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche der Zeit. Myriam Siegert
"Tragikomödie zum Wohlfühlen"

Veronika Murr (30) aus dem Buch & Café Lentner empfiehlt "Pandatage" von James Gould-Bourn (12 Euro): "Das Buch spielt in London - das ist schon mal ein sehr interessantes Setting. Die Ausgangsgeschichte ist tragisch: Nach dem Tod der Mutter hört der Sohn der Familie auf zu sprechen. Der Vater - ein Verlierertyp, bei dem alles Mögliche schief läuft - versucht im Folgenden wieder in Kontakt mit seinem Sohn zu treten. Das gelingt ihm dann auf skurrile Weise: Weil er pleite ist, kauft sich der Vater von seinem letzten Geld ein Pandakostüm, er will als Tanzbär seinen Unterhalt verdienen. Auch das klappt nicht so richtig. Eines Tages - er tritt gerade in einem Park auf - beobachtet er, wie sein Sohn gemobbt wird. Er schreitet ein und der Junge - sein Sohn! - fasst Vertrauen zu dem fremden Bären. Er beginnt auch wieder zu sprechen. Eine Vater-Sohn-Geschichte zum Wohlfühlen mit einem schönen Ende. Einfach geschrieben, aber nicht dumm! Mit einem sehr subtilen Humor. Ich denke, es ist eher ein Buch für Frauen, obwohl die Protagonisten männlich sind. Man kann es als Buch gegen toxische Männlichkeit lesen. Buch & Café Lentner, Balanstraße 14, Jakob Mainz