Zwangsräumung: Zappenduster für Fotograf

Seit 20 Jahren wohnt Ulrich Handl mit Erlaubnis des Eigentümers in seinem Atelier. Jetzt lässt der Eigentümer die Wohnung zwangsräumen.
Verena Kemmer |
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Harte Zeiten für die Familie Handl: Morgen Vormittag wird die Wohnung zwangsgeräumt (v. links): Thomasz, Marzena, Ulrich und Lucas.
V. Kemmer 3 Harte Zeiten für die Familie Handl: Morgen Vormittag wird die Wohnung zwangsgeräumt (v. links): Thomasz, Marzena, Ulrich und Lucas.
20 Jahre wohnten Handls hier im ersten Stock.
U. Handl 3 20 Jahre wohnten Handls hier im ersten Stock.
20 Jahre wohnten Handls hier im Rückgebäude in Schwabing.
U. Handl 3 20 Jahre wohnten Handls hier im Rückgebäude in Schwabing.

Schwabing - „Morgen löst ein Räumkommando unser Zuhause auf. Es ist herzlos", sagt der Münchner Fotograf Ulrich Handl (69). „Der Eigentümer hat mir den Mietvertrag gekündigt. Plötzlich hat er behauptet, ich würde ohne Genehmigung Gewerberäume bewohnen. Dabei hat er mir vor 15 Jahren selbst angeboten, mit meiner Frau und meinen zwei Söhnen hier einzuziehen.“

Ulrich Handl ist kein Unbekannter. Ab Mitte der 60er Jahre knipste er so ziemlich alle Sternchen am Pophimmel: Rolling Stones, Jimi Hendrix, Beatles oder auch Rainer Werner Fassbinder, um nur ein paar zu nennen. Ob Circus Krone-Bau, Big Apple, PN Hit-House oder Blow Up – das wilde Swingin’ Schwabing hat wohl kaum keiner derart umfangreich dokumentiert wie Handl.

Im Frühjahr 1995 entschloss sich Handl, ein Archiv für seine Fotos aus über 50 Jahren anzulegen. Dazu mietete er ein Drei-Zimmer-Atelier im Rückgebäude. Etwa 80 Quadratmeter zum Freundschaftspreis von 300 Mark in der Kaulbachstraße 60.

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Ulrich Handl erzählt: „Ich war gut mit dem Hausbesitzer befreundet, er erlaubte mir ausdrücklich mit meiner Familie hier zu wohnen. Wenn er in München war, kam er gern mit seiner Frau zu Besuch.“ Handl hat viele Fotos aus der Zeit: Gemeinsam sitzen die Paare zusammen beim Ratschen. Die Kinder spielen nebenan. „Wir haben uns unterstützt: Sein Mietpreis war günstig. Und ich habe eine Wohnung im Vorderhaus renoviert, ohne etwas zu verlangen. Auch hier habe ich viel selbst gebaut: Bad, Küche, Wände.“

Nach dem Streit mit einem gemeinsamen Bekannten trübte sich die Freundschaft. Plötzlich klagte der Vermieter vor Gericht. Der Vorwurf: Handl würde unerlaubt untervermieten und sein Atelier bewohnen. „Quatsch“, sagt Handl, „er wusste und erlaubte es ja, dass wir hier wohnen. Ein Richter kam her und hat sich selbst davon überzeugt. Er fand hier nichts Unrechtes und schlug einen Vergleich vor.“ Schließlich durfte die Familie weiter im Atelier wohnen. Nur die Monatsmiete erhöhte der Besitzer, erst auf 750 Euro und dann auf 1000 Euro.

„Auch wir haben Fehler gemacht“, räumt Ehefrau Marzena Janicka-Handl (54) ein. Vor gut einem Jahr haben wir es versäumt, die Miete pünktlich zu bezahlen. Aber wir haben das nachgeholt.“ Grund genug für den Vermieter erneut zu kündigen. Ulrich Handl legte Widerspruch ein. Seine Frau dazu: „Wir haben immer wieder versucht, uns mit ihm persönlich zu einigen, aber keine Chance. Er ist nicht zu sprechen. Auch nicht über seine Anwälte.“

Mitte April dann der Schock: Im Briefkasten liegt der Bescheid zur Zwangsräumung. Sohn Thomasz Handl (25): „Es ist schon sehr schmerzhaft, wenn sich ein guter Freund nach all den Jahren plötzlich so abweisend verhält.“ Im Grunde sei es hier eine recht harmonische Hausgemeinschaft, berichtet Janicka-Handl. Oft saß die Familie mit den Nachbarn zusammen im Hof zwischen Topfpflanzen und Fahrrädern. „Wir haben uns mit fast allen hier gut verstanden. Ich bin traurig, dass es so zu Ende geht“, sagt sie.

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Auch die anderen Mieter haben Angst. Eine Bewohnerin, die anonym bleiben möchte, erzählt: „Der Eigentümer hat sich nie gekümmert, offiziell war eine Schwabinger Hausverwaltung zuständig. Vor einem Jahr hing plötzlich ein Zettel im Treppenhaus. Bald werde das Haus verkauft, stand dort zu lesen. Die Mieter sollten an einem Abendtermin zu Hause sein, damit eine Maklerin die Wohnungen besichtigen könne. Die Mieter haben das aber boykottiert. Seither ist Funkstille.“

Und wie geht es jetzt weiter? Ulrich Handl: „Wir haben keine Bleibe und stehen auf der Straße. Die Miete ist bis zum Monatsende bezahlt. Es wäre eine große Hilfe, wenn wir bis dahin noch Zeit bekommen würden.“

Der Vermieter war auf AZ-Nachfrage nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

Update: Glücklich in einer neuen Wohnung

Der Fotograf Ulrich Handl und seine Familie mussten die Wohnung in Schwabing verlassen. Allerdings haben Sie eine neue Heimat in Sendling gefunden: Eine städtische Wohnungsgesellschaft gab ihnen am Westpark ein neues Zuhause. "Wir sind sehr glücklich hier", sagt Ulrich Handl, der sehr dankbar ist für die neue Bleibe.

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