Wird dieses Stadtviertel in München zum Bauplatz für Millionäre: "Weniger wäre mehr"

Einst ein Ort der Ziegelbrenner in München, mutiert Denning zum Bauplatz für Millionäre. Sein ländlicher Charakter ist in Gefahr, Geschäfte mit Tradition schließen. Was nun?
Lutz Bäucker |
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An der Ostpreußenstraße in Denning haben in letzter Zeit viele alteingesessene Geschäfte geschlossen.
An der Ostpreußenstraße in Denning haben in letzter Zeit viele alteingesessene Geschäfte geschlossen. © Daniel von Loeper

München - Im Westen und Norden ragen die Hochhäuser des Arabellaparks und Englschalkings in den Himmel über München. Im Osten rauscht die vielbefahrene Bahnstrecke und im Süden ist der Denninger Anger die Grenze: der Stadtteil Denning ist umzingelt. Wie ein bekanntes kleines gallisches Dorf, umgeben von nicht nur positiven Veränderungen, versucht Denning seine Eigen- und Feinheiten zu bewahren: die vielen Einfamilienhäuschen, das üppige Grün, die familiäre Atmosphäre und den einzigartigen Mix traditionsreicher, inhabergeführter Einzelhandelsgeschäfte entlang der Ostpreußenstraße. "Eisenwaren Mächtlinger", "Drogerie Jacobs", "Elektro-Butt" – drei früher überregional bekannte, kultige Läden, in denen Kundschaft aus weitem Umkreis das fand, was es sonst nirgends gab. Alle drei haben dicht gemacht – und nicht nur leere Schaufenster hinterlassen.

"Eisenwaren Mächtlinger" an der Hausnummer 30 ist nicht mehr. Die Nachbarschaft vermisst das Geschäft schmerzlich.
"Eisenwaren Mächtlinger" an der Hausnummer 30 ist nicht mehr. Die Nachbarschaft vermisst das Geschäft schmerzlich. © Daniel von Loeper

Auch das einzige Tagescafé Dennings ist geschlossen. Und kurz vor Weihnachten sind auch im Schmuck- und Uhrenladen die Lichter ausgegangen. "Die Veränderungen gehen zu schnell", sagt Michael Stangl vom Schreibwarenladen, "erst recht seit Corona, das ist ein Problem für Denning." Bei ihm kaufen nicht nur die Grundschulkinder aus der Fritz-Lutz- und der Ostpreußenschule ihre Hefte und Stifte, bei ihm treffen sich auch die Alteingesessenen zum Ratschen. "Ich kenn' die meisten mit Namen", sagt Stangl, der seit 20 Jahren am Platz ist. Das freut ihn. Aber: "Immer mehr Ladenbetreiber hören altersbedingt auf, andere verkaufen ihr Geschäft, weil sie ihre Ruhe haben möchten. Alles nachvollziehbar."

Angst vor Gentrifizierung: Leerstand und teure Neubauten im Osten von München

Auf der anderen Seite der Ostpreußenstraße bieten "Schuh Ruhfass" und "Mode Friedl" ihre Waren an – seit mehr als 60 Jahren. Das Einkaufen im Internet findet Renate Seethaler (62) vom "Ruhfass" "natürlich schlimm". Aber: "In vier Jahren geh ich in Rente, dann stört's mich nimmer!" Sie beobachtet genau, wie sich die Bevölkerungsstruktur ihrer Heimat Denning verändert. Wie alte Einfamilienhäuser abgerissen und durch massige Mehrspänner ersetzt werden: "Die neuen Besitzer, beziehungsweise Mieter, kommen meist nicht aus München."

Ein bisschen erkennt man noch den einstigen Schriftzug: Hier ist lange eine Drogerie untergebracht gewesen.
Ein bisschen erkennt man noch den einstigen Schriftzug: Hier ist lange eine Drogerie untergebracht gewesen. © Daniel von Loeper

Bauherren und Immobilienmakler haben das Potenzial des einstigen Ziegelei-Dorfes am Rande der Großstadt längst erkannt: "Denning bietet ihnen ruhiges, grünes Wohnen mit hoher Lebensqualität und intaktes Gartenstadt-Flair für ein niveauvolles Publikum" lautet eine Werbung. Eine andere lockt mit "idyllischem Dorfcharakter und doch stadtnah".

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Wenn Arno Hartung so etwas liest, muss er lachen: "Durch die Neubauten wird gerade das konterkariert und zerstört, womit geworben wird!" Hartung lebt seit Jahrzehnten mitten in Denning, als ehemaliger Geschäftsführer der Olympiapark GmbH und Kirchenvorstand gehört er zu den bekannten Köpfen des Stadtteils. Er macht sich Sorgen: "Seit der Mächtlinger weg ist, verliert Denning seinen Charakter." Das Denninger Kino, die Tankstelle, ein stark frequentiertes Sportgeschäft – alles längst Geschichte. "Immerhin gibt's noch die Eisdiele, da ist wenigstens im Sommer was los!"

Kleine Geschäfte geben auf: Angst vor Verlust der Lebensqualität im Viertel Denning

"Denning – wo der Bäcker seine Kunden noch persönlich kennt!" Noch so ein Werbespruch der Immobilienbranche. Noch ist eine Bäckerei vor Ort. Noch gibt's einen Metzger, einen kleinen Obstladen. Sogar ein Mini-Reisebüro wartet auf Kunden. Und Christine Treml und ihr Modegeschäft sind auch noch da, seit nunmehr 37 Jahren: "Auch wenn die Miete immer mehr steigt, mir macht's noch Spaß", sagt die umtriebige Geschäftsfrau. "Aber langsam wird's schwieriger." Die vielen neuen Häuser stören sie prinzipiell nicht, "da sind ja auch ein paar schöne dabei", sagt sie und lächelt, "aber dass in Denning neue Häuser als 'Villa in Bogenhausen' vermarktet und verkauft werden, das gefällt mir nicht."

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Florian Ring ist Lehrer und Vorsitzender des Bezirksausschusses Bogenhausen, zu dem auch Denning gehört. Seit 2020 versucht der CSU-Mann, die Entwicklung des Stadtteils in positive Bahnen zu lenken: "Es ist nicht leicht", sagt Ring zur AZ, "natürlich sollte der einmalige individuelle Charakter der Ostpreußenstraße erhalten bleiben." Er weiß auch um die Probleme der baulichen Nachverdichtung: "Da wäre weniger oft mehr, beim Neubau muss nicht immer alles bis zum Maximum ausgereizt werden." Das gilt nach Rings Meinung auch für die Mieten: "Mehr Augenmaß wäre auch da wünschenswert." Das Bild vom kleinen Münchner Dorf gefällt ihm: "Ja, Denning wird irgendwie von allen Seiten bedrängt!" Eine schnelle Eingreiftruppe zu seiner Verteidigung hat der BA-Chef aber auch nicht zur Verfügung.

Denning befindet sich im Wandel.
Denning befindet sich im Wandel. © Lutz Bäucker

"Wir Denninger Geschäftsleute sind alle aus einer Altersklasse", stellt Modefachfrau Treml fest, "wir werden gemeinsam alt und dann sehen wir schon, was wird." Ihre Kollegin Renate Seethaler kann sich vorstellen, dass es hinterm Horizont weiter geht: "Vielleicht mach' ich im Ruhestand ein Café auf, natürlich hier in Denning. So was könnten wir brauchen, hier bei uns…" Ob dann die legendäre und bei vielen Kindern beliebte Indoor-Rutsche aus ihrem Schuhhaus im Café Platz findet? "Alles ist möglich", sagt sie und lacht.

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19 Kommentare
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  • am 21.02.2024 11:18 Uhr / Bewertung:

    Heute sollte jeder, der ein Einfamilienhaus bauen möchte „Millionär“ sein, denn ansonsten wird es finanziell eng.

  • BingoMuc am 21.02.2024 07:44 Uhr / Bewertung:

    Was bitte ist an Denning so charmant? Bin da 1000 mal durchgefahren.. habe den Charme nicht gesehen… ach ja, vor langer Zeit gabs mal einen edlen Italiener… und dann ist da noch die Nähe zur Autobahn, damit man schnell wegkommt.. wobei die Richtung ………

  • Radl Rainer am 20.02.2024 20:43 Uhr / Bewertung:

    Die Straße dort versaut eigentlich alles.

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