Weltstadt mit Schmerz
Peitschen, fesseln, demütigen – BDSM-Fans lieben die Lust an der Qual. Am Wochenende traf sich die internationale Szene in München. Die AZ hat sich vorab in einem Giesinger Fetisch-Club umgesehen
Giesing Einmal hat Martin seine Frau Edith an einer Leine über das Münchner Frühlingsfest geführt. Immer wieder schlägt er sie, aber oft haut auch Edith kräftig zu. Manchmal fesseln sie sich. Und dann gibt es da noch die „Spielzeuge“: Klammern. Nadeln. Stromschocker. Eiswürfel. Brennende Kerzen.
Martin ist 35, Edith 55, und wie die Meisten in dieser Geschichte wollen sie ihre echten Namen hier nicht lesen. Weil viele Menschen das, was das Paar macht, pervers finden. Aber die beiden lieben es: BDSM, kurz für „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“. Es geht um Macht und Unterwerfung, um Schmerz, Zwang oder Fetisch.
Das begeistert viele: Am Wochenende trafen sich BDSM-Fans aus ganz Europa auf der Messe „Boundcon“ im Zenith. München wurde zur Weltstadt mit Schmerz. Die lokale Szene ist vielfältig. Martin und Edith gehören dazu.
Freitagabend, halb zehn in Obergiesing, Gewerbegebiet Aschauerstraße. In einem Hinterhof gegenüber eines Bordells. Unter einem Vordach steht eine junge Frau mit hohen Absätzen im Mantel und raucht. Ein gepflegter Herr im adretten Anzug sieht ihr dabei zu. Die beiden könnten auch vor der Oper stehen.
Sie drückt die Zigarette aus, er nimmt ihren Arm und beide gehen rein. Ins Kinky, den einzigen festen Fetisch- und BDSM-Club der Stadt. Drinnen läuft Tango. Es riecht nach Rauch, rote Lampen und lila Scheinwerfer machen ein schummriges Licht.
Unter den Scheinwerfern tanzen zwei Pärchen in eleganter Abendrobe. Andere Gäste sitzen auf Treppen oder stehen an der Bar. Ihre Kleidung ist schwarz und meist spärlich.
Ein älteres Paar schmust, beide sind bis auf etwas Latex und ein paar dünne Ketten recht nackt. Eine Frau in Korsett und Tanga sitzt auf dem Schoß eines Rollstuhlfahrers und küsst ihn wild. Die meisten anderen reden, rauchen, trinken, flirten. Martin und Edith sind im Nebenraum. Dort gibt es eine Streckbank und andere SM-Möbel, aber auch ein gemütliches Sitzeck. Auf dem Tisch stehen Wasser und Spezi, geraucht wird hier nicht. Im Kreis sitzen etwa ein Dutzend Männer und Frauen, alle von verschiedenen Münchner BDSM-Stammtischen.
Da ist die resolute Doreen, 26, die meistens ihren Freund fesselt, aber es genießt, auch einmal festgeschnürt zu werden: „Dabei fühle ich mich wie ein glücklicher Kartoffelsack. Das Spielen macht unsere Beziehung viel tiefer.“
Da ist die ruhige Agnes, 51, die seit eineinhalb Jahren bei einem Stammtisch für dominante Frauen dabei ist und sagt: „Ich habe mich entwickelt und bin freier geworden. BDSM ist für mich Sinnlichkeit, Kreativität und Fantasie.“
Oder die herzliche Dagmar, 51, die aus der Biker-Szene kommt und hier vor allem ihr Faible für Lederkleidung auslebt. Sie steht lieber neben den anderen, weil ihr das Korsett im Sitzen die Luft raubt.
Wenn diese Gruppe Münchner über ihre Leidenschaft für BDSM diskutiert, wird schnell klar, wie unterschiedlich die Ansichten und Vorlieben sind. Und: dass es für all das in München Termine und Gruppen gibt.
Es gibt den Fetisch-Treff „Heavy Rubber“, einen Korsettstammtisch und einen Fesselzirkel. Es gibt große Events wie die monatliche Party „Blacksmith’s Dungeon“ im „Nerodom“ in Sendling oder eben die Messe „Boundcon“, die größte in Europa. Viele Münchner sind bei der „Sklavenzentrale“, wie das mit etwa 190 000 Mitgliedern größte Online-Forum für BDSM in Deutschland heißt. Und es gibt regelmäßige Treffen, zum Beispiel die Stammtische „FreieSMünchen“ oder „Smigo“, von dem der 44-jährige Robert erzählt.
Er ist ein ruhiger, zuvorkommender Mann mit gepflegtem, eher zurückhaltendem Auftreten. Und einer, der sich gerne auspeitschen lässt. Wie noch viele andere Münchner, glaubt er. „Nur ein Prozent der Menschen leben ihre SM-Neigung offen aus, aber fünf bis zehn Prozent interessieren sich für diese sinnliche Magie“, schätzt Robert. Das wären dann bis zu 140 000 Münchner.
Es freut ihn, dass seit dem Erfolg des Millionen-Bestsellers „Shades of Grey“ (die drei Bände verkauften sich in Deutschland bisher gut 6,6 Millionen Mal) auch mehr Interessierte zu den Stammtischen kommen. Trotzdem findet er wie andere BDSMler das Buch teils recht unrealistisch.
Eine Botschaft ist Robert besonders wichtig: „Wir sind keine Gewalttäter und misshandeln niemanden“, sagt er. „Das sind einvernehmliche Rollenspiele. SMler sind zärtliche, reflektierte Menschen.“
Die anderen in der Runde pflichten ihm bei. Es gebe Regeln, alles müsse sicher und abgeklärt sein. In SM-Clubs werde niemand angefasst, der das nicht möchte. Keine Grabscher und Abschlepper wie in anderen Discos. Und es gehe nicht nur ums Schlagen. Den Begriff „Sadomaso“ mögen sie nicht, der stehe für Klischees und Vorurteile. „Wir werden als pervers abgestempelt, sogar als krank. Aber das ist keine Krankheit, das zeigen wissenschaftliche Studien“, sagt Martin, der neben seiner Arbeit noch promoviert.
Dabei kam er sich selbst einmal sehr pervers vor. In der Grundschule kribbelte es bei ihm, wenn er in Kinderbüchern von Gefesselten las. Die Fantasien wuchsen. „Mit zwölf hielt ich mich für furchtbar krank, weil mir Informationen über diese Neigung fehlten.“ Erst später erfährt er, dass es anderen genauso geht. „So etwas ist nicht nur frustrierend, sondern kann gefährlich werden. Denn wer falsch fesselt oder schlägt, kann andere dabei verletzen“, sagt die 26-jährige Marion.
Sie ist bei der „SMJG“, einer Gruppe für junge Menschen mit BDSM-Neigung. Die „SMJG“ ist als gemeinnütziger Verein anerkannt. „Wir klären auf, es geht bei uns nur um das Gespräch“, sagt sie. Auch Jugendliche unter 18 Jahren könnten so über ihre Fantasien reden. „Gespielt wird bei uns nicht.“
Spielen - damit ist nicht unbedingt Sex gemeint. „Ich kann auch schlagen, ohne Sex zu haben“, sagt Martin. „Und es gibt andere Spiele, etwa ein Verhör zu stellen oder den anderen durch Anweisungen zu erniedrigen.“ Er schwärmt vom Genuss an Macht in der „Dom“-Rolle und der Lust an der Unterwerfung in der „Sub“-Rolle. Dass es ihn erregt, wenn er seiner „Spielpartnerin“ befiehlt, was sie im Restaurant zu trinken hat.
„Spiele haben einen fest vereinbarten Kontext, der wenige Stunden, Tage oder eine ganze Beziehung lange sein kann“, sagt Martin, der seit fast elf Jahren mit Edith zusammen ist, aber wie seine Frau auch noch mit anderen spielt. „BDSM geht für mich über das, was ich im Schlafzimmer mache, hinaus.“
Halb eins im Kinky, es wird etwas voller. „Wir sind kein Swingerclub“, sagt der Kinky-Chef. Im Keller haben trotzdem gerade drei Pärchen Sex. In den Räumen im Untergeschoss riecht es nach Heizöl, der Boden ist lackiert, ein paar SM-Möbel stehen herum, dazwischen die Paare. Das Stöhnen hallt vom Gewölbe wider.
An der Bar steht die Bikerin Dagmar neben Vera. Die ist Mitte fünfzig, trägt Hosenanzug, hat schwarze Haare, ist dunkel geschminkt und sagt: „Ich lasse mich so gern von meinem Mann verhauen. Das macht mich richtig an.“ Dann erzählt sie, dass sie Angst vorm Zahnarzt habe, wegen der Schmerzen. Sie zieht an ihrer Zigarette und bläst den Rauch ins lila Licht.
„Dagmar, hast du das Spielzeug von diesem Eisenschmied schon gesehen?“, fragt sie. „Halsfesseln, Krallen - toll.“ Außerdem will Vera bald mal wieder in den Baumarkt. Sie reißt die Augen auf. „Da kommen mir Fantasien.“
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