Serie

Weißenburger Straße: Damals wie heute die Einkaufsmeile des Ostens

Im dritten Teil der AZ-Serie zu den Stadtteilzentren in München geht es um das alte und neue Gesicht der Weißenburger Straße. Als zentrale Versorgungsader des Viertels spiegelt sie seit jeher seine Veränderungen. Die waren und sind gewaltig.
von  Myriam Siegert
Er ist der Experte: Hermann Wilhelm, langjähriges BA-Mitglied und Gründer des Haidhausen Museums zeigt eine alte Aufnahme des Weißenburger Platzes. In der Mitte der Brunnen, der früher im Glaspalast des Botanischen Gartens und vorm alten Ostbahnhof stand.
Er ist der Experte: Hermann Wilhelm, langjähriges BA-Mitglied und Gründer des Haidhausen Museums zeigt eine alte Aufnahme des Weißenburger Platzes. In der Mitte der Brunnen, der früher im Glaspalast des Botanischen Gartens und vorm alten Ostbahnhof stand. © Martha Schlüter

Haidhausen - "Treff' ma uns beim Horn am Eck", schlägt Hermann Wilhelm vor, als die AZ um einen Spaziergang durch die Weißenburger Straße bittet. Den Horn, den gibt es so nicht mehr, aber ältere Münchner wissen, was gemeint ist – das, wie Wilhelm sagt, "fast schon legendäre" Kaufhaus Horn am Ostbahnhof, eines der ersten, die nach dem Krieg wieder eröffneten. Seit 1980 ist der Horn ein Kaufring und als klassisches Stadtteilkaufhaus immer noch gut besucht und beliebt.

Von hier startet der AZ-Spaziergang die Weißenburger Straße hinunter bis zum Rosenheimer Platz, seit jeher Haidhausens zentrale Einkaufs- und Nahversorgungsmeile. Hermann Wilhelm ist nicht nur ein Bezirksausschuss-Urgestein, sondern auch Stadtteilhistoriker sowie Gründer und Betreiber des Haidhausen Museums. Er kennt sich also aus.

Haidhausen ist ein Viertel vom Reißbrett, nach fertigem Plan gebaut

Ab 1868 wurden der Ostbahnhof und das Franzosenviertel gebaut. Die Weißenburger Straße, wie alle Straßen und Plätze des Viertels benannt nach Schauplätzen siegreicher Schlachten im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, war von Anfang an eine der Hauptachsen des neuen Stadtviertels.
Wie das Gärtnerplatzviertel ist es ein neuer Stadtteil vom Reißbrett, nach französischem Vorbild mit Plätzen, von denen die Straßen sternförmig abgehen, und ganze Häuserzeilen, die nach fertiger Planung aus einem Guss gebaut wurden. Der Wohnraum wurde gebraucht, das Ganze war aber auch ein klassisches Spekulationsobjekt, erklärt Wilhelm.

Die Wohnungen in den klassischen Bürgerhäusern waren damals keineswegs so heiß begehrt wie heute. "Das war eine Trabantenstadt auf der grünen Wiese vor der Stadtmauer", so Wilhelm. Die Wohnungen waren zu groß und teuer, viele wurden deshalb unterteilt. Ärmere Leute wohnten die Neubauten erst einmal trocken, bis die feineren Herrschaften einzogen. Die Weißenburger Straße war schon damals eine Meile mit dichter Ladenstruktur.

1980: Dichtes Treiben in der Weißenburger Straße.
1980: Dichtes Treiben in der Weißenburger Straße. © Imago/STL

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie zur Einkaufsmeile für alle, "die mit dem Zug aus dem östlichen Umfeld Münchens kamen", erzählt Wilhelm. Bis die S-Bahn gebaut wurde und fortan viele bis zum Marienplatz durchfuhren. Schon Anfang der 90er gab es deshalb Diskussionen, eine Fußgängerzone einzurichten, erinnert sich Hermann Wilhelm, der damals BA-Chef war.

Die Weißenburger Straße in München ist bunt, lebendig und gut gemischt

In der Weißenburger gibt es heute "immer noch eine gute Mischung", findet er. Und tatsächlich: An diesem ganz normalen Werktag-Vormittag geht es sehr lebendig zu und zwischen all dem Einkaufstrubel sitzen die Haidhauser, Alte wie Junge, in der Sonne, frühstücken oder machen Mittagspause. Auf dem Pariser Platz etwa, der vor ein paar Jahren mit einem großen Beet samt Sitzgelegenheit in seiner Mitte eine gelungene Verschönerung bekommen hat, in der Eisdiele Venezia oder einem der diversen Cafés.

Am Pariser Platz kann man mittlerweile richtig gut sitzen und verweilen.
Am Pariser Platz kann man mittlerweile richtig gut sitzen und verweilen. © Martha Schlüter

Es gibt alles für den täglichen Bedarf. Neben dem Kaufhaus auch Drogeriemärkte, Metzger, Getränkemarkt, Buchläden, Apotheke, Optiker, Friseure, Radlgeschäfte und Modeboutiquen, diverse Supermärkte, Bankfilialen, Schuhgeschäft, aber auch alteingesessene Spezialgeschäfte wie den Betten Lenz oder den Dolezel, der seit 40 Jahren Schlüssel, Schlösser, Tresore und Sicherheitstechnik aller Art anbietet. Hier im Hinterhof der Nummer 28 absolvierte Karl Valentin beim Möbelschreiner Hallhuber seine Lehre. Am Rosenheimer Platz, wo heute die quietschbunte Trattoria Giorgia ihre Gäste bewirtet, eröffnete einst das erste "Bella Italia"-Restaurant der Stadt, erinnert sich Wilhelm.

Die Gentrifizierung hat Haidhausen seit Jahren in ihrem Griff

Die gute Mischung, sie verändert sich aber stetig. Discounter wie Norma und Netto wichen in den letzten Jahren Alnatura, Butlers und Viani. Aus McDonalds wurde die Filiale einer Café-Kette im französischen Stil, aus einem Second-Hand-Bekleidungsgeschäft eine Pop-Art-Galerie, aus einem Backshop eine Galerie für Interior Design. Ein Gemüseladen ist in den letzten zehn Jahren verschwunden, kürzlich auch eines der ältesten Geschäfte der Straße, der Pokale- und Western-Artikel-Kaufmann. Hier gibt's jetzt sizilianische Feinkost.

Dieses Geschäft war sicher eines der ältesten in der Straße und eine Haidhauser Institution.
Dieses Geschäft war sicher eines der ältesten in der Straße und eine Haidhauser Institution. © Imago/STL Studio Liebhart

Auch in den Hinterhöfen an der Weißenburger wird stetig nachverdichtet. Bezahlbarer Wohnraum entsteht dort eher nicht. Auf dem Grund der Nummer 16, zuletzt Sitz einer kleinen Hinterhofbrauerei mit dem Lokal Meisterstück, steht aktuell nur noch die Fassade des Vorderhauses. Dahinter entsteht in einer derzeit riesenhaften Baugrube ein schickes neues Wohn- und Geschäftshaus mit Tiefgarage. Auf der anderen Seite, einige Meter weiter vorn, musste vor ein paar Jahren ein Laden der Tiefgarageneinfahrt für neue Rückgebäude weichen.

Haidhausen war Modellsanierungsgebiet bei der Aufwertung der Innenstadtrandgebiete und hat schon viele Aufwertungswellen erfahren. Längst ist es ein gehobenes Viertel. Die Ladenstruktur seiner zentralen Straße spiegelt das.

Die neue Fußgängerzone in der Weißenburger Straße erfreut nicht alle

Die Aufwertung und ihre Folgen, also Gentrifizierung, ist genau das, was viele Haidhauser und speziell Anlieger und Geschäftsleute in der Weißenburger Straße umtreibt. Denn die Weißenburger soll im Abschnitt zwischen Weißenburger Platz und Pariser Platz, so wurde es nach langen Abstimmungsprozessen in BA, Bürgerversammlungen, Stadtrat und auf diversen Bürgerbeteiligungsveranstaltungen festgelegt, ab Ende Juni zur Fußgängerzone werden – erstmal in einem Pilotversuch.

Nicht alle freuen sich darauf. Thomas Voglgsang, seit fast 20 Jahren mit seiner Buchhandlung Buch&Töne am Ort, macht sich große Sorgen. Dass der Pilotversuch am Ende doch nicht so ergebnisoffen sein wird. Und vor allem, dass eine Fußgängerzone die Mieten in der Straße und im Viertel noch mehr in die Höhe treiben wird. Die Diskussion darüber "vergiftet das Klima im Viertel", so Voglgsang. Er betont, "ich bin nicht gegen eine Verschönerung der Straße", aber "wir Gewerbetreibenden hier wollen einen Kompromiss statt einer reinen Fußgängerzone".

Der Weißenburger Platz in München – ein urbanes Idyll

Seit über 40 Jahren gibt es bereits einen kleinen Fußgängerzonenabschnitt in der Weißenburger Straße, auf ihrem vordersten Stück zwischen Weißenburger- und Rosenheimer Platz. Hier gehts gemütlich und idyllisch und zugleich lebendig zu, die Haidhauser sitzen im Café oder beim Italiener oder einfach auf einer Bank am Brunnen auf dem Weißenburger Platz. Früher gab's hier am Platz einen Metzger, eine bayerische Wirtschaft, das "renommierte Kaufhaus Götzke", einen Musikladen und sogar ein Polizeirevier.

Kaffee trinken und Panini essen mit Blick auf den Brunnen – das geht in der kleinen Haidhauser Fußgängerzone.
Kaffee trinken und Panini essen mit Blick auf den Brunnen – das geht in der kleinen Haidhauser Fußgängerzone. © Martha Schlüter

Heute gibt's Cafés einen schicken Thailänder, Friseure und einen Öko-Schuhladen. Jeden Dienstag findet hier der Wochenmarkt statt, und schon seit 1976 jedes Jahr der Haidhauser Weihnachtsmarkt. Die neue Fußgängerzone könnte eine harmonische Verlängerung der bisherigen werden – und ein Schritt zu noch mehr Gentrifizierung. Hermann Wilhelm hofft vor allem, dass das Viertel lebendig bleibt – und die Mietpreise nicht explodieren.

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