TSG: Tausenfüßler-Nachwuchs
Giesing - Rasante Rhythmen schallen dem Besucher entgegen aus der Turnhalle der Weißenseeschule in Giesing. Während man sich noch ungelenk aus den Straßenschuhen schält, sieht man im Augenwinkel acht bunte Turnschuhsohlen aufblitzen und hinunterschnellen, synchron im Sekundentakt. Eine späte Sportstunde? Schuldisco? Nein, hier sind Profis am Werk. Die Tanzsportgemeinschaft München e.V. hat zur Schnürsenkelprüfung im Rock 'n' Roll eingeladen, und sieben Kinder und Jugendliche stellen sich der Herausforderung.
Gleich neben dem Eingang wiederholen Alexandra, Feli, Henrike und Antonia die Schritte. Wobei „Schritte“ kaum das richtige Wort ist: es geht so schnell, dass man sich selbst beim Zuschauen konzentrieren muss. In der anderen Ecke der Halle macht sich die Jüngste warm. Lisa ist neun. Aber dass sie alleine übt, liegt nicht am Alter: während die vier Teenager, die das Tanzen erst später für sich entdeckt haben, heute den weißen Schnürsenkel anstreben, ist Lisa drei Klassen weiter und auf dem Weg zum roten.
Ihre Chancen hält sie für recht gut: „Hab schließlich viel geübt, auch zu Hause“. Ein letztes Mal die Schritte sortiert und die Pferdeschwänze straff gezogen, dann bittet Trainer Andi Rihm die ersten Prüflinge nach vorne. Eigentlich ist es nur ein Prüfling, nämlich Luca. Aber weil er im Paartanz antritt, macht Hanna mit, die den gelben Schnürsenkel schon hat. Das Publikum ist beeindruckt, spätestens, als der „Tausendfüßler“ seine Beine absolut parallel in die Höhe wirft.
Ob es auch für die Wertungsrichter gereicht hat, erfährt Luca nicht sofort, denn dazu müssen erst die Punkte addiert werden. Inzwischen treten nacheinander die Kandidatinnen für den weißen Schnürsenkel an. Obwohl hier die Taktgenauigkeit noch nicht gewertet wird, geben sie sich auch in dieser Hinsicht Mühe. Da ist keine, die nicht die ersten Takte mitflüstert oder mit dem Finger an den Oberschenkel tippt. Schließlich will niemand rausfliegen, wenn Eltern und Trainer so ausdauernd mitklatschen.
In einer Pause gibt Trainer Rihm bekannt, dass Lucas Ergebnis jetzt feststehe. „Willst Du's wissen?“ „Klar, will er“, antwortet Hanna. Sie behält recht mit ihrer Zuversicht: „Bestanden!“ Und dann ist Lisa endlich dran. „Die Monsterprüfung“ nennen die Trainer das, was jetzt kommt. Lisa nimmt's gelassen und tanzt erstmal ein Vier- und ein Dreieck, dazu das umgekehrte „N“, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Vor den Grundschrittvariationen ein kurzer Blick zu Trainer Moritz Schneider. Denn diese Übung, so hat sie vor der Prüfung verraten, flößt ihr den meisten Respekt ein.
Zu sehen ist davon nichts. Doppel-, Kreuz- und Wechselkick schafft sie ebenso problemlos wie den Schweizer und den Italienischen Grundschritt. Schneider nickt zufrieden. Er muss es wissen – schließlich hat er selbst in seiner Jugend das Schnürsenkelsystem der TSG durchlaufen und ist inzwischen ein erfolgreicher Turniertänzer. Noch drei Figuren trennen Lisa vom roten Schnürsenkel, zwei komplexe und eine mit Stopp.
Hier gelingen die schönsten Momente: die, in denen Lisa ins Schweben gerät. Jede Anstrengung scheint vergessen, höchste Konzentration geht einher mit erstaunlicher Leichtigkeit. „Geschafft!“, ruft Trainer Rihm. Und wenn nicht alles täuscht, dann heißt das mehr als nur „Überstanden!“. Mit roten Wangen kehrt Lisa zu ihren Eltern zurück. Jetzt schnell einen Schluck Wasser, und dann die letzte Prüfung ganz entspannt von der Zuschauerbank verfolgen. Nachdem es vorhin so gut geklappt hat, versuchen sich Hanna und Luca gleich noch am orangefarbenen Schnürsenkel. Ein paar 90-Grad-Grundschritte, einen American Spin und eine Kickfigur später steht es offiziell fest: Alle haben die Prüfungen bestanden.
Gratulationen von allen Seiten, Freude und Stolz bei Kindern, Eltern und Trainern. Auch im anschließenden Interview erweist sich Lisa als Profi. Das Schönste am Tanzen? – „Dass man alles benutzt: Arme, Beine, den ganzen Körper. Und die Musik natürlich.“ Lisa ist kein bisschen verlegen. Trainer Andi Rihm wundert das wenig. „Tanzen fördert das Selbstvertrauen, das merkt man überall.“
Nur einmal zögert Lisa dann doch. Wie lange sie schon dabei ist, will ihr partout nicht einfallen. Ein fragender Blick zur Mutter. Auch die muss nachdenken, so selbstverständlich gehört das Tanzen inzwischen zu Lisas Leben. Schließlich einigt man sich auf „gute zwei Jahre, in etwa“. Kinder und Jugendliche, die Rock \'n\' Roll oder auch DiscoDance ausprobieren wollen, sind herzlich zu einer Schnupperstunde eingeladen. Der Einstieg ist mit und ohne Vorkenntnisse jederzeit möglich. Weitere Informationen gibt es unter: www.tsg-muenchen.de .
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