Tierische Therapeuten: Kaninchen helfen Schlaganfall-Patienten

Zum Welttag des Schlaganfalls: Im Klinikum Harlaching helfen Kaninchen bei der Behandlung von Schlaganfall-Patienten.
Sophie Anfang |
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Eine Freude, die man sieht: eine Patientin auf der Harlachinger Frühreha bei der Tiertherapie.
Städtisches Klinikum Harlaching 4 Eine Freude, die man sieht: eine Patientin auf der Harlachinger Frühreha bei der Tiertherapie.
Auch das Streicheln des Tieres hilft den Schlaganfall-Patienten.
Städtisches Klinikum Harlaching 4 Auch das Streicheln des Tieres hilft den Schlaganfall-Patienten.
Tierische Therapeuten im Klinikum Harlaching: Eines von drei Kaninchen.
Städtisches Klinikum Harlaching 4 Tierische Therapeuten im Klinikum Harlaching: Eines von drei Kaninchen.
Dr. Stefanie Böttger.
Städtisches Klinikum Harlaching 4 Dr. Stefanie Böttger.

Harlaching - Sie haben keine weißen Kittel, keine medizinische Ausbildung oder psychologisches Training. Und doch können die flauschigen Therapeuten erstaunliches bewirken: eine gelähmte Hand wieder streicheln lassen, ein Lächeln auf ein sonst vom Schmerz gequältes Gesicht zaubern. Seit mehr als zehn Jahren werden im Klinikum Harlaching Kaninchen bei der Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten eingesetzt. Mit großem Erfolg.

Die Idee hierzu stammt von der Neuropsychologin Dr. Stefanie Böttger. In den USA, Italien oder England wurden Tiere schon früher als Therapietiere eingesetzt. Hierzulande war das hingegen eher unüblich, zumindest in der Neuropsychologie. Doch Böttger sah, wie positiv ihre Patienten reagierten, wenn bei Besuchen deren Haustiere dabei waren.

Viele Patienten leiden an Depressionen

"Tiere sind etwas, für das viele Menschen einen Zugang haben", sagt sie. Wenn Böttgers Patienten auf die Frührehabilitationsstation kommen, ist deren Schlaganfall erst ein paar Tage her. Die Patienten sind noch schwach, anfangs schlafen sie viel. In der Frührehabilitation werden die Grundsteine für den Weg zurück in ein Alltagsleben gelegt – sofern ein solches möglich ist. Ein Schlaganfall zerstört Teile des Gehirns, nicht alles lässt sich wiederherstellen. Entsprechend weitreichend sind die Symptome der Patienten. Viele leiden an halbseitigen Lähmungen, haben Schluckstörungen oder Probleme, deutlich zu sprechen. Ihr Gedächtnis macht nicht mehr so mit; sich zu konzentrieren fällt schwer.

Die Therapie, so hilfreich sie auch sein mag, ist anstrengend für die Patienten. Dazu kommt die psychische Belastung. Viele Patienten werden depressiv, sagt Böttger. Flöckchen, Coco und Anabelle, die drei Zwergkaninchen, die in Harlaching eingesetzt werden, können die seelischen Schmerzen lindern.

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Schwerkranke Patienten sind in vielen Bereichen ihres Lebens eingeschränkt, sie haben über viele, auch intime Bereiche, die Kontrolle verloren. Alleine waschen, sich anziehen geht nicht mehr. Das Gefühl, für ein Lebewesen da sein zu können, es zu füttern und zu streicheln, ist für viele Schlaganfallpatienten auf der Frühreha ein Balsam für die Seele. Zweimal pro Woche werden die Kaninchen nach Harlaching gebracht. Gehalten werden sie auf dem Wörnbrunner Begegnungshof des Vereins "Menschen brauchen Tiere". Natürlich artgerecht.

Die Kaninchen werden in der Therapie gezielt eingesetzt

Die Kaninchen sind jedoch nicht nur Seelenpflaster. Tiertherapie ist keine Spielerei. Das ist Böttger wichtig. Es geht darum, systematisch Therapieziele zu erreichen – und die Wissenschaft gibt ihr recht, dass es funktioniert. Tiere werden schneller und besser wahrgenommen als leblose Dinge. Das bestätigt eine Studie, bei der die Hirnaktivität von gesunden Menschen untersucht wurde. Zeigte man ihnen Tiervideos, war die Aktivität in Bereichen, die für Gefühl, Aufmerksamkeit und Motivation zuständig sind, deutlich höher als bei bewegten Computerreizen.

Böttger macht sich das in der Tiertherapie zunutze. Bei Übungen, die die Motorik oder Konzentration trainieren oder etwa bei der Behandlung des sogenannten "Neglect", bei dem sich Patienten einer Raumhälfte nicht mehr bewusst sind. Setzt man jedoch Flöckchen oder Anabelle in die betroffene Raumhälfte, ändert sich das. "Die Patienten richten spontan ihren Blick dorthin und greifen spontan mit der Hand in Richtung des Tieres", sagt Böttger.

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Ähnliches geschieht bei der Musiktherapie, die die Neuropsychologin ebenfalls oft anwendet. Dabei setzt sie Klangbausteine in die vernachlässigte Raumhälfte und lässt die Patienten den Ton suchen. Davor wurde den Behandelten der Ton vorgespielt, sie haben ihn noch im Ohr – und suchen ihn, bis sie ihn gefunden haben, selbst in der Raumhälfte, die ihnen weniger bewusst ist.

"Wir dürfen die Seele nicht vergessen"

Das funktioniert besser als mit Fotos oder Texten. Böttger erklärt das mit Emotionen. Musik und Tiere sind ansprechendere Reize: "Wir kennen das alle: Wenn uns jemand sagt, ,mach’ diese oder jene Aufgabe’ und wir finden das anstrengend, dann fällt es uns schwer." Das Gegenteil geschehe, wenn unser Herz an etwas hängt.

Die Behandlung von Schlaganfallpatienten ist komplex. Die Übungen mit Kaninchen können deshalb nur ein Teil der Therapie sein. Physio- und Ergotherapeuten bemühen sich darum, die Lähmungserscheinungen zu lindern, dazu kommen das Pflegeteam, Logopäden und die Ärzte. "Es ist wirklich ein interdisziplinäres Team", sagt Böttger. Damit ein Patient gut betreut ist, müssen die einzelnen Abteilungen wie Zahnräder ineinandergreifen.

Die Betroffenen lernen schrittweise, wieder selbstständiger zu sein, bestimmte Leistungen abzurufen. Das sei auch wichtig, damit sie sich im Alltag wieder zurechtfinden, sagt Böttger. Trotzdem dürfe man Emotionen nicht außen vor lassen: "Wir dürfen die Seele nicht vergessen. Der Mensch ist mehr als nur Funktion." Da hilft es, neben Geräte- und Computer-gestützter Therapie, auch tierische Therapeuten an seiner Seite zu haben.

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