Paul-Heyse-Unterführung: Hier leben zwei Männer!

Audio von Carbonatix
AZ-Leserin Michaela Metz hat zwei Männer besucht, die in der Paul-Heyse-Unterführung leben - einem der lautesten, hässlichsten, kältesten und dreckigsten Orte der Stadt. Für diesen Beitrag hat sie eine dreiwöchige USA-Reise gewonnen.
Ludwigsvorstadt - Wie ein Kunstobjekt im öffentlichen Raum strahlt die neonblau beleuchtete Röhre über der Einfahrt zur Paul-Heyse-Unterführung. Hipp und modern, so wie München gerne sein möchte.
Doch genau darunter führt ein rußiges Gewölbe direkt in die eiskalte Realtiät.
Dort, wo der 1908 erbaute Tunnel, einer der hässlichsten Orte Münchens, zur Bayerstraße jeden Tag Tausende Autos ausspeit, dort öffnet sich wie der Eingang in die Unterwelt seitlich ein Rundbogen aus großen Steinblöcken.
Und während man im morgendlichen Stau darauf hofft, diesen ärgerlichen, stinkenden Engpass bald durchquert zu haben, regt sich in dem Gewölbe auf einem schmalen Mauervorsprung eine Gestalt.
Noch ist es kalt, obwohl der Frühling schon seinen ersten Auftritt hatte. Das Thermometer zeigt Minusgrade. Doch diese Gestalt scheint den Frost nicht zu fühlen.
Mit verschlafener Gelassenheit entschlüpft sie einem dicken Schlafsack, ignoriert den Lärm, den Gestank und streckt die Nase in die Luft, dem neuen Tag entgegen.
Seit drei Wochen ist dieser Mauervorsprung das Heim von Mario und seinem Kompagnon. Ein Zufluchtsort von einem mal drei Meter, den immer nur einer der beiden verlassen kann. Der andere bewacht die wenigen Habseligkeiten. Einen kleinen blauen Koffer, ein Kopfkissen, einen dicken beigen Pullover.
Mario stammt aus Sachsen. Seit eineinhalb Jahren ist der etwa 35-Jährige obdachlos. Er blieb eine Weile in Hamburg, doch nun will er sein Glück in München versuchen und Arbeit finden.
Warum er denn nicht in einer der Unterkünfte bleibe? Dort habe man ihm sein Geld geklaut, und so schlimm sei das gar nicht mit der Kälte. „Man gewöhnt sich daran“, sagt er mit einem zaghaften Lächeln.
Ein freundliches Gesicht sieht einen da an. Offener Blick, ebenmäßige Haut, so hätte man sich einen, der auf der Straße schläft, nicht vorgestellt, auch wenn aus seinem Mund nur noch ein einziger Zahn hervorlugt.
Mario will es anpacken im sauberen und ordentlichen München. Will den Sprung schaffen von diesem kleinen Mauervorsprung in ein Leben mit Wohnung und Job. Ob er sich da die richtige Stadt ausgesucht hat?
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